21.06.2019
Sommer fürs Winterpaket
Im Dezember 2018 hat das EU-Parlament die neuen Richtlinien (auch „Winterpaket“ genannt) für den Übergang auf die Erneuerbaren Energien und zur Erfüllung des Pariser Klimaschutzabkommens verabschiedet. Von besonderem Interesse ist darin der Rechtsrahmen für Eigenverbrauch („Prosumer“), sowie zur Förderung dezentraler „Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften“.
In der „RICHTLINIE 2018/2001 … zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen“ heißt es:
- „Mit dem Übergang zur dezentralisierten Energieproduktion sind viele Vorteile verbunden, beispielsweise die Nutzung vor Ort verfügbarer Energiequellen, eine bessere lokale Energieversorgungssicherheit, kürzere Transportwege und geringere übertragungsbedingte Energieverluste. Diese Dezentralisierung wirkt sich auch positiv auf die Entwicklung und den Zusammenhalt der Gemeinschaft aus, weil vor Ort Erwerbsquellen und Arbeitsplätze entstehen.“ (Randziffer 65, S. 91)
- „Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität sollten keine diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Lasten und Kosten zu tragen haben, und ihnen sollten keine ungerechtfertigten Umlagen und Abgaben auferlegt werden. Ihr Beitrag zur Verwirklichung des Klimaschutz- und Energieziels sowie die Kosten und Nutzen, die sie für das Energiesystem im weiteren Sinne mit sich bringen, sollten berücksichtigt werden. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten grundsätzlich keine Umlagen und Abgaben auf erneuerbare Elektrizität, die Eigenversorger am selben Ort produzieren und verbrauchen, erheben.“ (Rz 68, S. 92)
Artikel 21 („Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität“) konkretisiert:
Eigenversorger sind individuell oder über Aggregatoren berechtigt,
- „erneuerbare Energie einschließlich für die Eigenversorgung zu erzeugen und die Überschussproduktion … zu speichern und, auch … mittels Liefervereinbarungen mit Elektrizitätsversorgern und Peer-to-Peer-Geschäftsvereinbarungen, zu verkaufen, ohne dass die eigenerzeugte Elektrizität … diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Verfahren und jeglichen Abgaben, Umlagen oder Gebühren unterworfen ist“. (Abs. 2, S. 120, Hervorhebungen von C.L.)
Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass
- „alle Endkunden, einschließlich einkommensschwacher oder bedürftiger Haushalte, Zugang zur Eigenversorgung mit erneuerbarer Elektrizität erhalten“, sowie „ungerechtfertigte rechtliche Hindernisse für die Eigenversorgung mit erneuerbarer Elektrizität, auch für Mieter, beseitigt werden“. (Abs. 6, S. 121)
Laut Artikel 22 sollen die Mitgliedstaaten „die Entwicklung von Erneuerbare- Energie-Gemeinschaften“ unterstützen und voranbringen, indem sie sicherstellen, dass
- „ungerechtfertigte rechtliche und verwaltungstechnische Hindernisse für Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften beseitigt werden;
- der jeweilige Verteilernetzbetreiber mit Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften zusammenarbeitet, um Energieübert¬ragungen innerhalb von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften zu erleichtern;
- die Beteiligung an Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften allen Verbrauchern offensteht, auch jenen, die in einkommensschwachen oder bedürftigen Haushalten leben“. (Abs. 4, S. 121)
Auf Schritt und Tritt enthält die Richtlinie das Eingeständnis, dass es bisher Vorschriften gibt, die ungerechtfertigt und diskriminierend sind und daher beseitigt gehören. Die wiederholte Hervorhebung sozialer Aspekte und ausdrückliche Nennung der Mieter kann für Deutschland nur bedeuten, dass die missbräuchlich als Ausbaubremse eingesetzte EEG-Umlage auf Mieterstrom abgeschafft wird. Die Vorschriften für Balkonkraftwerke, die trotz den von der DGS durchgesetzten Verbesserungen für Viele immer noch ein Hindernis darstellen, müssen dahingehend weiterentwickelt werden, dass sie nicht abschrecken, sondern zum Einsatz von Steckermodulen einladen.
Die beabsichtigte Förderung von „Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften“ kann nur bedeuten, dass allen Formen eines kreativen örtlichen und nachbarschaftlichen Zusammenwirkens bei der Erkundung und Nutzung der insbesondere durch die Photovoltaik gegebenen vielfältigen Möglichkeiten Tür und Tor geöffnet wird.
Mehrfach werden Befreiungen jedoch auch wieder eingeschränkt. So folgt auf „von Eigenversorgern am selben Ort produzierte und verbrauchte erneuerbare Elektrizität grundsätzlich keine Umlagen und Abgaben“ der Nachsatz „Damit die finanzielle Tragfähigkeit von Förderregelungen für erneuerbare Energie durch diesen Anreiz nicht beeinträchtigt wird, kann seine Anwendung auf kleine Anlagen mit einer Stromerzeugungskapazität bis 30 Kilowatt beschränkt werden.“ (Rz 69, S. 92)
Oder: Eigenversorger dürfen an „den mit der Produktion, der Verteilung und dem Verbrauch von Strom verbundenen Gesamtkosten“ beteiligt werden (Rz 68, S. 92).
Zwar wird regelmäßig betont, dass „Umlagen und Abgaben“ „nichtdiskriminierend und verhältnismäßig“ sein müssen. Dennoch ist zu befürchten, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht mit Hilfe solcher Stellen versuchen wird, die Richtlinie zu deformieren. Schließlich bildet deren ganzer Geist den diametralen Gegensatz zur Politik der deutschen Regierungen, die seit vielen Jahren ihre Aufgabe darin sehen, böswillige bürokratische Fußangeln zu erfinden, um eine freie und kreative Nutzung insbesondere der Photovoltaik zu torpedieren. Vermutungen, dass die Bundesregierung den für die Umsetzung der Richtlinie gesetzten Zeitrahmen (1. Januar 2021) bis zum letzten Moment ausreizen wird, dürften daher nicht aus der Luft gegriffen sein.
Die Akteure und Organisationen der Energiewende kann die zu erwartende Verschleppungstaktik aber nur zu umso zügigerer Aktualisierung der in der Richtlinie enthaltenen Werte anregen – zumal die Zeichen für Kampf und Ungehorsam nicht schlecht stehen! Das Bewusstsein, dass der Klimawandel durch Vorschriften, die das Notwendige behindern, nicht noch zusätzlich angeheizt werden darf, steigt. Die Schülerbewegung wirkt aufrüttelnd auf die ganze Gesellschaft. Organisationen der Energiewende sind bereits dabei, ihre Vorstellungen, wie die EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden sollte, zu entwickeln und in die Öffentlichkeit zu tragen. Und es wird bestimmt Menschen geben, die nicht zögern werden, das dann auch praktisch zu erproben.
Christfried Lenz