21.04.2023
Die Hühner unterm Solarschirm: Agri-PV gibt es tatsächlich!
Eine Feststellung von Heinz Wraneschitz
Dass am heutigen Freitag Bayerns Vize-Ministerpräsident und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ausgerechnet dem 70-Einwohner-Flecken Siedelbach einen Besuch abstatten wird, daran sind 3.000 Hühner und 10.000 Kilowatt (10 MWp) Solarmodule schuld. Denn mit diesen beiden „Komponenten“ Eier aus Boden- und Freilandhaltung sowie Photovoltaik (PV) hat die Firma Naturenergie Zeilinger UG im Markt Erlbacher Ortsteil die erste so genannte Agri-PV-Anlage weit und breit auf die Beine, oder besser auf ein 10-Hektar-Feld gestellt.
Von Agri-PV ist zwar ständig und fast überall zu hören oder lesen. Doch egal wo man anruft oder gugelt: es geht um Theorie, Forschung, geförderte Projekte. In Siedelbach, einem 70-Einwohner-Dorf im mittelfränkischen Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim steht tatsächlich eine solche Anlage, die ohne Forschungsgelder auf die Beine bzw. hohen Stahlfüße gestellt worden ist.
Hinter der Naturenergie Zeilinger (NEZ) stecken in erster Linie Geschäftsführer Reinhold Zeilinger sowie seine Tochter und Prokuristin Katrin Held. Und die haben mit dem als Bürger-Solaranlage Siedelbach UG firmierenden Sonnenkraftwerk etwas umgesetzt, was zwar in Fachkreisen schon lange als wegweisend gepriesen, aber bislang fast nur in Forschungsprojekten verwirklicht wurde: eine Agri-PV-Anlage. Was das genau ist, dafür existiert bis heute keine klare Definition. Nur grundsätzlich gilt: Es ist die Kombination aus Ökostromproduktion und landwirtschaftlicher Nutzung an einem Ort. Das kann ein Hopfengarten sein mit Solardach – oder eben wie in Siedelbach eine in Reihen aufgestellte PV-Anlage, unter der die Hühner nach ihrem Futter picken. „Oder sich drunter verstecken, wenn ein Flugzeug kommt“, ergänzt Katrin Held.
Vom Eierlandwirt zum Energieprojektentwickler
Fakt ist: Die Hühner sind an diesem Ort schon lange da. Denn eigentlich sind die Zeilingers eine Landwirtsfamilie, die sich auf Eierproduktion spezialisiert hat. 1989 haben sie ihren Aussiedlerhof am östlichen Ortsende von Siedelbach bezogen. Damals hatte noch Reinholds Vater das Sagen. Und der war nicht wirklich überzeugt von seines Sohnes Idee, mit Solarstrom vom Dach den Strom für die einstige Metzgerei zu produzieren. „Doch inzwischen trägt der Opa es auch mit“, kann Enkelin Katrin Held heute offenbar guten Gewissens sagen. Denn mittlerweile hat sich Landwirt Reinhold Zeiliger auch als Projektentwickler für Wind– und Solarkraftwerke einen Namen gemacht. Wie es scheint, sieht er seit einigen Jahren hier seine Haupt-Aufgabe.
„Wir analysieren und beraten Sie bei allen Fragen und übernehmen die Bauüberwachung sowie die technische und kaufmännische Betriebsführung“, steht auf der Firmenwebseite. Und: „Bürgerbeteiligung.“ Denn nach diesem Modell sind die bisherigen Ökostromprojekte der NEZ entstanden: Bürger, möglichst aus der Nachbarschaft des geplanten Kraftwerks, finanzieren die Investition. Dadurch bleibt der aus dem Anlagenbetrieb eingespielte Gewinn vor Ort; fließt nicht an fremde, anonyme Großinvestoren, wie anderswo oft üblich. Auch wenn die Finanzierung per Nachrangdarlehensgeber den Anlegenden sicher nicht dieselben Rechte einräumt, als wenn das Projekt als Kapitalgesellschaft mit Kommanditist:innen firmieren würde.
An den Konzepten großen Anteil hat ganz augenscheinlich Katrin Held. Denn die ist eigentlich Filialdirektorin einer Bank, hat sich aber für ein Sabbatical freistellen lassen. „Man sieht, was man vor Ort machen kann“, sagt sie, wenn sie auf die Jahre der Planung der Agri-PV-Anlage direkt hinterm Hühnerhof zurückblickt. Die sechs Monate, für den reinen Aufbau der Gestelle und Module; für den Anschluss ans Stromnetz im Nachbarort, waren dabei der geringste Anteil.
Nach der gefassten Projektidee habe man an einer Ausschreibung der Bundesnetzagentur teilnehmen müssen. Von der Behörde gab es den Zuschlag, den Strom für gut fünf ct/kWh ins öffentliche Netz einspeisen zu dürfen. Doch ein in Fachkreisen „PPA“ genannter Abnahmevertrag mit einem regionalen Energieversorger erbringt wohl mehr also diesen Mindestpreis. Was auch für die Anleger – „die haben wir innerhalb von zwei Wochen über eine Schwarmfinanzierung gewonnen“ (Held) – einen höheren als den ursprünglich prognostizierten Gewinn bedeuten könnte. Wenn auch die hierfür eingeworbenen Gewährenden von Nachrangdarlehen nicht voll an möglichen Zusatzgewinnen beteiligt werden müssen.
Außerdem liegen bei Agri-PV-Anlagen auch die Kosten höher als bei „normalen“ Freiflächen-Solarkraftwerken. Im Falle des Hühner-Solarschirms nennt die Prokuristin beispielweise „Doppelglasmodule, damit mehr Licht auf die Fläche darunter fällt oder höhere und aufwändigere Gestelle“ als Gründe dafür. Doch dass es nicht noch teurer wurde, zum Beispiel wegen hoher Sonderauflagen, das lag laut Held auch an der Gemeinde Markt Erlbach. Die bekommt ihr Lob für „die gute Begleitung bis hin zum Bauamt“ ab. Augenscheinlich hat die Verwaltung also das Projekt für gut befunden. Was Bürgermeisterin Birgit Kreß auch ganz offen zeigt, wenn sie sich mit Hühnern und dem Firmenteam unter dem Agri-PV-Kraftwerk ablichten lässt. Aber wird ihr Parteichef Hubert Aiwanger heute auch ein Huhn in den Arm nehmen? Vielleicht kuschelt er ja lieber mit einem der Schafe vom Nachbarshof. Für die ist nämlich auch noch viel Platz unterm Sonnenschirm. Man darf gespannt sein.
PS / Bitte an die Leser:innenschaft:
Selbst vom Bundesverband Solarwirtschaft BSW kommt nur die Auskunft: „Leider liegt uns keine belastbare Statistik zur Anzahl der bereits realisierten Agri-PV-Projekte vor. Die BNetzA erfasst diese Kategorie auch nicht getrennt. Aus Gesprächen mit Mitgliedern, die derartige Projekte realisieren, wissen wir aber, dass es sich bislang fast ausschließlich um eine sehr überschaubare Anzahl an Pilotprojekten handelt.“ Deshalb ist der Autor interessiert, zu erfahren: Wo gibt es weitere wirtschaftlich betriebene Agri-PV-Anlagen über 1 MWp? Mail bitte an heinz(at)bildtext.de