20.10.2017
Wertkonservative Außenpolitik oder Klimaschutz
„Der Kohleausstieg allein wird nicht reichen“, sagte die Grüne Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden am 17. Oktober bei der vierten ZEIT Konferenz Energie & Klimaschutz im Hinblick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen im Bund. Es sei „keine Option, die Klimaziele zu verändern“. Sie versuchte damit zum Ausdruck zu bringen, dass die Grünen bei einer Jamaika-Koalition beim Klimaschutz nicht nachgeben dürften. Schon gar nicht angesichts von COP 23, der UN-Klimakonferenz, die vom 6. bis 17. November 2017 ausgerechnet in Bonn stattfindet. „Die hohe Akzeptanz, die wir für die Energiewende in der Bevölkerung haben, darf jetzt nicht verspielt werden.“
Genau dieses Dilemma hatte am Wochenende aber die Landtagswahl in Niedersachsen offenbart. Die Grünen konnten oder wollten im Bundestagswahlkampf die Energiepolitik und den Klimaschutz nicht als ihr zentrales Thema in den Vordergrund stellen. Stattdessen nahmen sie, trotz parallel ablaufender „Steilvorlagen“ in Form von Wetter- und Klimakatastrophen, die Gelegenheit nicht war ihr traditionelles Profil zu schärfen. Im Gegenteil, sie folgten dem von Kanzlerin Merkel angeführten Todschweigen dieser Thematik. Spätestens die Niedersachsenwahl machte deutlich, wie saft- und kraftlos sie inzwischen bei ihrem einstigen Kernthema geworden waren bzw. sind. Mit minus 5,3 Prozent bedeuteten die Verluste nicht nur die höchsten bei allen angetretenen Landtagsparteien, sie bedeuteten auch das Ende der rot-grünen Koalition in Hannover.
Die Auswirkungen auf die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition in Berlin ließen denn nicht lange auf sich warten. Denn ohne Mehrheit für ein rot-grünes Niedersachsen gibt es für die Grünen nur die Möglichkeit über eine Jamaika-Option in Hannover in der Regierungsverantwortung zu bleiben.. Wie sehr die Niederlage der Grünen erwartet oder erwünscht war, zeigte noch am Wahlabend die Reaktion des FDP-Vorsitzenden Lindner. Er schloss eine Bündnis mit der SPD und somit eine Ampelkoalition kategorisch aus und brachte die gleiche Konstellation wie im Bund ins Spiel. Auf die Frage, wieso er in der einen Konstellation mit den Grünen zusammenarbeiten könne und in der anderen nicht, gab er eine bezeichnende Antwort: Er wolle in Bund und Land einen Politikwechsel. Der ginge nicht mit der SPD. Mit den Grünen vermutlich schon.
Bei der Bundestagswahl hätten sich die Grünen für Umweltschutz und eine wertkonservative Außenpolitik engagiert, darin sehe er, Lindner, die möglichen Schnittmengen für eine Jamaika-Koalition. Nun mag mancher Leser den kleinen aber feinen Unterschied zwischen Klimaschutz und Umweltschutz überlesen oder aus seinem Verständnis heraus für belanglos halten. Das entspricht aber nicht der politischen Inszenierung, die in Berlin aufgeführt wird. Sowohl FDP wie auch CDU ist bewusst, dass der Unterschied ein grundlegender ist. Es geht darum, ob und wie die Pariser Klimaziele der COP 21, die ein Temperaturlimit möglichst 1,5 °C postuliert haben, erreicht werden sollen. In dieser Frage stehen sich inzwischen, nicht nur in Deutschland sondern weltweit, zwei Fronten gegenüber. Die einen meinen mit energieeffizienten Übergangstechnologien rund um das Erdgas die Klimakrise in Griff kriegen zu können, ohne dabei auf Wirtschaftswachstum verzichten zu müssen. Die Gegenposition postuliert, ohne eine grundlegende Transformation des Energiesystems sei das nicht machbar. Gemeint ist damit der massive Ausbau von Erneuerbaren Energien auf breiter Front, auch im Bereich der Wärme und der Mobilität.
Nach vier Jahren großer Koalition ist hinlänglich deutlich geworden, wie Umweltschutz aus Sicht der „Klimakanzlerin“ Merkel auszusehen hat. Die Energie- und Klimapolitik wird nicht im Umweltministerium gemacht, dort geht es um den „Rest“ der Umweltthemen. Die scheidenden Ministerin Barbara Hendricks hatte, neben leisen Protesten, mit diesem Gang der Dinge nichts mehr zu tun. Deutlich wurde das beispielsweise, als der vom Umweltministerium verfasste Klimaschutzplan 2050 vom Wirtschaftsministerium zensiert und blockiert wurde. Stattdessen wurde die Politik der Energieeffizienz und der Brückentechnologie Erdgas, die schon von der vorangegangenen schwarz-gelben Koalition auf die Schiene gesetzt worden war, intensiviert. Ob neoliberal oder strukturkonservativ, im Wirtschaftsministerium werden fossile Energien zu einem „technologieoffener Ansatz“ und als Wachstumsmotor angepriesen. Die Ostseepipeline North Stream 2 markiert die eine Seite dieser Politik, die Deckelung der solaren Erzeugungstechnologien die andere. Wie gut diese neoliberale Sicht der Wirtschaftspolitik ins außenpolitische Kalkül passt, belegt unter anderem die Berufung von Altkanzler Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden des russischen Energiekonzerns Roznef.
Dazu passen offenbar die wertkonservativen und eitlen Vorstellungen von Exponenten der grünen Führungsspitze. Es war Grünen Chef Cem Özdemir, der diesen Begriff in den Wahlkampf einbrachte und der unverhohlen signalisierte, wie gerne er deutscher Außenminister werden würde. Angenommen, dies wäre, neben anderen Punkten und Posten eines der Ergebnisse der Jamaika-Koalitionsverhandlungen, was bliebe von den Vorstellungen einer Julia Verlinden übrig? Denn auch in den Reihen der Grünen ist diese Spaltung zwischen „effizienten Übergangstechnologen“ und Verfechtern einer konsequenten Solarisierung zu finden. Ohne unken zu wollen, steht nicht nur die Frage an, welche Linie sich bei den Grünen durchsetzt, sondern ob die Partei eine solche Zerreisprobe aushält. Regierungsbeteiligung um jeden Preis oder der Kampf um die Authentizität einer Partei, die seit langem ihre einstmals führende Rolle in der Energiewendebewegung verloren hat und sich im Unterschied zwischen Umwelt- und Klimaschutz, effizienten Brückentechnologien und Solarisierung heillos verheddert hat.
Am 18. Oktober, zum Beginn der ersten Jamaika-Sondierungen, mahnte Fraktionschef Anton Hofreiter Spiegel-Gespräch zur Einigkeit: „Es muss das Ziel einer künftigen Regierung sein, die Spaltung der Gesellschaft - in Arme und Reiche, in Stadt und Land sowie in kulturellen Fragen - zu überwinden“. Das klingt nach Staatraison, die Klimafrage kommt in dieser Aufzählung aber nicht vor. Wahrscheinlich deshalb, weil die Bürger in dieser Frage weniger gespalten sind als die Grünen selbst. Oder wie sagte der Philosoph Richard David Precht? Ich habe die Grünen nicht dafür gewählt, dass Özdemir Außenminister wird. Wie diese Zerreisprobe ausgehen wird, ist offen. Die SPD hat sich um ihrer Existenz Willen für die Opposition entschieden. Welchen Preis sind die Grünen bereit, zu bezahlen?
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