08.12.2017
Disruptionen werden schneller kommen als erwartet
"Wie disruptive Innovationen Kohle, Uran, Erdöl, Erdgas, konventionelle Autos und Energieversorger verdrängen", so lautet Untertitel des druckfrisch in deutscher Übersetzung erschienenen Buches "Saubere Revolution 2030" von Tony Seba. Damit verbindet der Autor zugleich die Vorhersage, dass Solartechnologie und elektrische Mobilität die herkömmlichen Technologien bis zum Jahr 2030 zersetzen und sprengen werden. Denn nichts anderes meint der aus dem Kalifornischen Silicon Valley stammende Begriff der Disruption: Innovationen fegen überholte Technologien weg. Daniel Bannasch von Metropolsolar Rhein-Neckar (Mannheim) hat die deutsche Übersetzung von " Clean Disruption of Energy and Transportation", das bereits 2014 erschienen war, besorgt. Der Autor Tony Seba, selbst Silicon Valley-Unternehmer und Stanford Dozent, legt darin seine Theorie von „Clean Disruption“ vor, die davon ausgeht, dass die Energiewende nach den gleichen wirtschaftlichen Spielregeln abläuft, wie wir sie bei Computern, Digitalfotographie oder Smartphones erlebt haben.
Firmen wie Apple, Google, Intel, Cisco, Facebook, Twitter oder Ebay unterliegen seiner Meinung nach den „Gesetzen der Informationsökonomie“. Deswegen seien sie wegen steigender Skalenerträge schnell und stark gewachsen. Das Gleiche gelte für die Solar- und Windbranche, die Teil dieser neuen Industriekultur seien. Während es bei der ressourcenbasierten Energieerzeugung um Knappheit, Raubbau und hierarchisch organisierte Monopole gehe, basiere das Geschäftsmodell bei Solar- und Windenergie auf vollständig anderen Prinzipien. Sind regenerative Erzeugungsanlagen erst einmal erbaut, stehe die saubere Energie im Wesentlichen kostenfrei und unbegrenzt zur Verfügung. Hier bei den „Null Grenzkosten“ sieht Seba die innere Ursache für die Disruptionswellen, die von dieser „informationstechnischen Revolution“ ausgingen.
Solar als Teil der Informationstechnik anzusehen, ist neu und hier zu Lande nicht üblicher Bestandteil der Erzählung von der Energiewende. „Die saubere Disruption der Bereiche Energie und Mobilität ist unvermeidlich, wenn man die exponentiellen Kostenverbesserungen der disruptiven Technologien, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die Demokratisierung der Erzeugung, der Finanzierung und des Zugangs zu Energie und Mobilität sowie den exponentiell wachsenden Markt betrachtet“, fasst Seba seine Theorie zusammen. Die jetzige aktuelle Welle der Disruption umfasse auch Elektrofahrzeuge und autonome, also selbst fahrende Autos. Die Solar- und Windenergie sei weltweit dabei, alle Arten konventioneller Energie abzulösen. Sie sei bereits jetzt günstiger als z.B. Atomkraft und habe die Großhandelspreise für Strom in vielen Ländern bereits gesenkt.
E-Autos gelten schon heute als besser, schneller und sicherer als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Sie sind günstiger zu betreiben und Instand zu halten. Zwar seien die Kosten für den Akku noch ein Knackpunkt, was an den noch zu geringen Stückzahlen liege. Aber die Kostenkurve für Elektroautos weise auf einen baldigen Umbruch hin. Innovative Geschäftsmodelle werden auch hier den Übergang vom Benzinauto zum Elektroauto beschleunigen. Das beziehe sich, so Seba, auch auf das selbstfahrende Auto, das den Fetischcharakter des eigenen Autos überwinden hilft. Es werde mit dazu beitragen, die letzten Überreste der Benzinfahrzeuge und der Ölindustrie zu beseitigen. Im Bereich der sauberen Energien ergänzen und beschleunigten sich nämlich die Treiber des Umbruchs – Sonne, E-Autos und autonome Fahrzeuge – gegenseitig. Deshalb werde die Disruption der Energie und Transportindustrie so wie wir sie heute kennen nicht nur sehr dynamisch ablaufen, sondern bis zum Jahr 2030 im Wesentlichen entschieden sein.
Auch wenn dies in der deutschen Situation scheinbar verborgen bleibt, müsse man davon ausgehen, dass es sich bei der Energiewende nicht um einen von Regierungen bestimmten Prozess handele. „Die Disruption wird nicht wegen, sondern trotz der Regierung stattfinden“. Daniel Bannasch, der sich wohl gerade wegen solcher Thesen bewusst für die deutsche Publikation von Sebas Buch entschieden hat, will offenbar den deutschsprachigen Lesern Mut machen. Auch wenn die Große Koalition unter der Regentschaft von Kanzlerin Merkel den Ausbau der Erneuerbaren und der Elektromobilität mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gebremst habe, werde der Markt zu einem exponentiellen Wachstum der sauberen Technologien und Produkte verhelfen. Natürlich ist Seba ein Anhänger neoliberaler Markttheorien und man kann einwenden, dass es problematisch sei, sich alleine auf die Kräfte des Marktes zu verlassen. Aber auch wenn dies bei Seba der Fall sein mag, ist die Veröffentlichung seiner Thesen zum jetzigen Zeitpunkt doch richtig und informativ. Gestattet es doch den Blick über den deutschen Tellerrand, der sehr, sehr hoch ist und wenig harte Fakten über die Entwicklung der sauberen Technologien im Rest der Welt bietet.
In Deutschland sitzt gewissermaßen der harte Kern der fossilen Energiewirtschaft. Diese schaut auf eine weit über einhundertjährige Erfahrung zurück. Sie hat nicht nur die technologische Entwicklung der Verbrennungstechnologien in den Bereichen Kohleverstromung, Heizungstechnik und Automobilbau nachhaltig geprägt. Sie hat sich eine Machtposition erkämpft und über die verschiedenen Epochen der deutschen Geschichte, von der Reichsgründung 1871 über die Weltkriege bis heute, erhalten, die weltweit einmalig ist und höchstens mit den USA zu vergleichen ist. Gerade deshalb kämpft die „Deutschland AG“ so verbissen und trickreich gegen die Energiewende und gaukelt mit ihrer medialen Macht das Bild einer fernen Energiewende mit Zwischenschritten und Brückentechnologien vor. Toni Seba zeigt nicht nur, dass es in anderen Ländern eine völlig andere Sichtweise über die Energiewende gibt, er benennt und belegt auch die Fakten, die für einen schnellen Wechsel ohne Zwischenschritte sprechen. Er lässt aber auch erahnen, welche Umwälzungen und Krisen dieser disruptive Prozess gerade für die Bundesrepublik mit sich bringen dürfte.
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