05.07.2024
Kurspeilungen der Energiewende Teil 12: Abschied von den Illusionen
Eine Skizze von Götz Warnke
Dies ist der letzte Teil zu den Grundorientierungen/Kursen und entsprechenden Maßnahmen für eine Energiewende, die verhindert, dass die Klimakrise ins Klimachaos abgleitet. Die in den vorherigen elf Beiträgen aufgeführten notwendigen Maßnahmen waren anspruchsvoll, teilweise disruptiv, und vielfach auch schwierig in der Umsetzung. Kein Wunder, dass viele Menschen sich in der Klimakrise wünschen, es möge nicht so anstrengend für sie werden; dass der Kelche an ihnen vorbei gehen; dass andere den Hauptteil der Krisen-Kosten „bezahlen“ – ob nun in Form materieller Wohlstandsverluste, Änderungen des Lebensstils oder Aufgabe ideologischer Überzeugungen. Wie so oft und überall regiert auch hier das Sankt-Florian-Prinzip.
Doch die Klimakrise ist eine weltweite Bedrohung, die noch dazu in verschiedensten Formen auftritt: Extremwetter-Ereignisse, Hunger, Veränderungen in der Umwelt, steigende Meeresspiegel, Verluste und Entwertungen von Eigentum etc. Vor ihr kann niemand „in die Nische treten“ und selbst den Unbeteiligten geben. Es wird alle treffen: Reiche und Arme, politische Richtungen von links bis rechts, und vor allem auch langjährige Überzeugungen und ideologische „Heiligtümer“, von denen sich zu verabschieden es Menschen oft schwerer fällt als gewisse finanzielle Einbußen oder Veränderungen am eigenen Lebensstil hinzunehmen. Gerade deshalb soll sich dieses letzte Kapitel mit den Illusionen und Ideologien beschäftigen.
Zuvor noch eine Bitte: Sollten Sie, liebe Leser, empfindlich gegenüber Kritik an Ihren Grundüberzeugungen sein; sollten Sie Ihre ideologische Welt wohl sortiert und fest zementiert haben; sollten Ihre ideellen „Heiligtümer“ unverhandelbar sein, so tun Sie Sich einen Gefallen:
Hören Sie hier bitte auf zu lesen!
Denn was nun kommt, ist wie die Klimakrise: hart, unnachsichtig, konsequent und wenig erbaulich.
Kurz vor der Bundestagswahl 2021 stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie fest: Mit keinem der Wahlprogramme der Parteien seien die deutschen Klimaziele für 2030 bzw. gar das 1,5°C-Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 erreichbar. Gleiches könnte man natürlich auch von den ideologischen Überzeugungen der politischen Richtungen sagen. Deren ideologische Illusionen sollen im Folgenden aus Perspektive des Klimaschutzes einer Kritik unterzogen werden, schon um nicht den Windungen der Parteilinien folgen zu müssen.
Die Konservativen
Der stete Wandel ist der einzig konstante Faktor dieser Welt. Wer aber die Welt angesichts der großen Veränderungsprozesse wie Bevölkerungswachstum, steigendem Meeresspiegel, Verlust unserer Lebensgrundlagen bewahren will, kommt um Veränderungen nicht umhin. Das gilt auch für das Energiesystem. Konservative haben längst verdrängt, dass (preußische) Energie-Sparsamkeit (→ Holzsparöfen des 18. Jahrhunderts) und die Erneuerbaren Energien ursprünglich auch konservative Projekte waren: So war es z.B. das Ziel des dänischen Windkraftpioniers Poul la Cour (1846-1908), die fromm-konservativen Landwirte ökonomisch unabhängig zu machen. Doch die deutschen Konservativen gingen nach 1949 ein ideell-praktisches Bündnis mit dem rheinischen Kapitalismus ein. Unter dem Deckmantel des marktwirtschaftlichen „Wirtschaftswachstums“ verhinderten Konservative vielfach die energetische Selbstversorgung der Bürger: von Aktionen, in dem man ab Ende der 1970er Jahre zwangsweise Solarkollektoren und PV-Module von den Dächern der Dachbesitzer holte* – ähnlich wie die DDR bei den Westfernseh-Antennen – bis zu den Merkeljahren und der Demontage der deutschen Solarindustrie. Spätestens mit dem § 2 des Habeckschen EEG 2023 und des EU-Rechts auf eigene Energie-Selbstversorgung ist die Illusion einer kollektiven, großindustriellen Energieversorgung endgültig dahin. Die Illusion eines unendlichen Wirtschaftswachstums wird ihr bald folgen – auf einem begrenzten Planeten kann es nun mal kein grenzenloses Wachstum geben –; da helfen auch keine lautstarken Forderungen noch so wichtiger Wirtschaftskapitäne nach Staatsunterstützung.
Die Liberalen
Liberale kämpfen gemeinhin für die Freiheit des Individuums und gegen die Autorität von Institutionen und Organisationen. Das wird dann zum Problem, wenn es sich bei der Autorität um eine Naturwissenschaft wie etwa um die Physik handelt. Die Physik mit ihren Gesetzen ähnelt nun mal eher einem kommandohallenden Kasernenhof als einer Klausurtagung der FDP-Bundestagsfraktion – nicht umsonst heißt das Schlagwort der Fridays-for-Future-Bewegung in der einen oder anderen Form: „Physik verhandelt nicht“. Dennoch wollen einige liberale Geister(-Fahrer) sich nicht mit der universellen Gültigkeit der Naturwissenschaften abfinden, und von einer omnipotenten Liberalität Abstand nehmen.
Nun sollte man einerseits nicht allzu viel auf die klimatologischen Weisheiten eines fachfremden Betriebswirts geben – wir lassen uns ja andererseits auch nicht von fachfremden Leuten den Blinddarm entfernen. Doch diese Haltung wirkt sich auch bei den Illusionen der sog. „Technologieoffenheit“ aus. Natürlich gibt es oft mehrere Möglichkeiten, ein Problem technisch zu lösen. Allerdings gilt die Technologieoffenheit nur eingeschränkt: Das wusste die Französische Akademie der Wissenschaften bereits 1777, als sie es für künftige Zeiten ablehnte, Patente für physikalisch unmögliche Perpetua Mobilia anzunehmen. Und auch bei den direkten und indirekten Autoantrieben sollte eigentlich klar sein: Direkte Erzeugung, Speicherung und Nutzung von elektrischem Strom sind günstiger und energetisch sinnvoller als die technisch komplexe, verlustbehaftete Umwandlung des Stroms in E-Fuels, um diese dann in vergleichsweise ineffektiven Verbrennungsmotoren zu nutzen.
So ist das Gerede von der Technologieoffenheit letztlich oft nur die Illusion einer universellen Entscheidungsfreiheit – oder ein „Ich habe keine Ahnung; das übersteigt meinen geistigen Horizont“.
Die Sozialdemokratie
Nicht nur die deutschen Sozialisten begreifen sich traditionell als Schutzmacht der arbeitenden Bevölkerung, die einen sozialen Aufstieg sucht und dazu gern die Unterstützung des Staates in Anspruch nimmt. Diese Erwartung zu erfüllen ist angesichts einer sich weiter ausdifferenzierenden Arbeitswelt für die Sozialisten immer schwieriger. So setzen die deutschen Sozialdemokraten unter Olaf Scholz – erst als Hamburger Bürgermeister, dann als Bundeskanzler – auf ein massives Wohnungsbauprogramm; schöner Wohnen geht halt immer. Doch diese Form von sozialem Aufstieg qua toller Wohnung ist wegen der grauen Energie des Bauens extrem klimafeindlich, und auf Dauer eine Illusion. Politisch begründet wird die Bauwut mit einem angeblichen Wohnraummangel, der aber vorwiegend die attraktiven Metropolen betrifft. Dabei werden einige unangenehme Wahrheiten verschwiegen: Die Ansprüche der Deutschen an Wohnfläche haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verdreifacht, was erheblich zur Knappheit des Angebots beiträgt. Es gibt kein Menschenrecht auf das Umziehen in eine attraktive Stadt, womöglich noch in eine günstige Wohnung in einem angesagten Stadtteil. Wer beruflich in eine Metropole zieht, muss sich ggf. mit einer Wohnung in einem weniger attraktiven Stadtteil, einem Tinyhaus bzw. Wohnwagen am Stadtrand oder einem Zimmer zur Untermiete begnügen – alles keine Verstöße gegen die Menschenwürde.
Die Grünen
Die Grünen haben seit dem Aufkommen ihrer Bewegung viele „Federn lassen müssen“, aber solche aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes waren nicht drunter. Es gab zwar auch einige Streiter gegen die Wasserkraft und für „Grünes Wachstum“, doch diese Positionen waren immer relativ: Die Energieexperten in der Partei wussten, dass die grundlastfähige Wasserkraft für das Energiesystem unverzichtbar ist, die Ökologie- und Ökonomie-Experten, dass auch Grünes Wachstum nicht auf Dauer und nur in Zeit der Verdrängung der fossilen Wirtschaft möglich ist.
Dennoch steht der nächste Abschied an – und damit auch der nächste Konflikt: der Abschied von einem museumshaften Naturschutz, der den Bürgern vorschreibt, was als schöne Landschaft zu gelten hat, was „Natur“ ist, dass ggf. auch Kulturlandschaften als Natur zu gelten haben, und dass man ggf. auch sich natürlich verändernde Naturlandschaften mittels massiver Eingriffe (z.B. das Abflammen oder Roden von Heideflächen) im gewohnten Landschaftsbild erhalten kann. Solcher Naturschutz ist klimafeindlich und passt nicht mehr in unsere Welt.
Die Linken
Die Linken als Vertreter der „Internationale“ setzen sich gegen nationalstaatliche Abgrenzungen ein; dazu gehört auch die Abschottung gegen Migration. Linke Bewegungen vertreten daher, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, eine Open-Border-Politik. Doch große Migrationsbewegungen verursachen im Zielland einen hohen Neubaubedarf, verbunden mit hohen zusätzlichen Klimagas-Emissionen, den wir uns angesichts der Klimakrise nicht mehr in diesem Umfang leisten können. Es ist wie bei der Titanic: Bevor das Schiff mit dem Eisberg (Klimakrise) kollidierte, war das Herumrennen an Deck kein Problem; jetzt, in den Rettungsboten, sollte jeder möglichst sitzen bleiben, und nur im Notfall den Platz wechseln. Für solche Notfälle haben wir zum Glück das Asylrecht und die Annahme der Genfer Flüchtlingskonvention bei uns rechtlich fest verankert. Aber nicht jeder Hergekommene ist ein Flüchtling, und viele kommen aus wirtschaftlichen Interessen. Insofern ist die beschlossene Asylpolitik von EU und Bundesregierung klimafreundlich, und die Open-Border-Politik linker Vertreter eine zu verabschiedende Illusion.
Die Rechten
Diese Gruppe hat zumindest in Deutschland keine Illusionen – sie ist schon bei den Absurditäten stehen geblieben. Denn kann man im Ernst einerseits bei medizinischen Geräten und beim Fliegen in Flugzeugen fest auf die Physik vertrauen, und andererseits die Physik ablehnen, wenn es um die Ursachen der Klimakrise geht? Sich einerseits über die Flüchtlingsströme und die Terroristen aus der arabischen Welt beklagen, andererseits – statt heimische Erneuerbare Energien zu nutzen – mit dem Einkauf fossiler Energie bei Putins Russland und den Potentaten am Persischen Golf gerade die Leute unterstützen, die diese Probleme verursachen – soll das etwa eine Alternative für Deutschland sein?! Am Schlimmsten sind die gebildeten Rechten, die z.B. als studierte Volks- und Betriebswirte gelernt haben, Statistiken zu lesen und zu interpretieren: wenn diese Leute eine Statistik mit so extremen Ausschlägen in kurzen Zeiträumen sehen – ganz gleich, ob das Extremhitzejahre oder Unternehmes-Verluste betrifft –, dann wissen sie, dass Handlungsbedarf besteht. Dennoch bleiben sie lieber bei der Lüge „Es gibt keinen menschengemachten Klimawandel“.
Fazit
Soweit die Illusionen der verschiedenen politischen Richtungen. Andere klimarelevante Sektoren wie z.B. Militär oder Kriminalität werden nicht oder nur ganz am Rande als Klimaproblem wahrgenommen. Und bei anderen Themen wie z.B. Reichtum wird ebenso geschwiegen bzw. nur auf die Reichen der anderen Seite gezeigt.
Klar ist einerseits, dass wir uns künftig nicht mehr einen so das Klima zerstörenden Lebensstil mehr leisten können, wie ihn manche Reiche mit Weltraumflügen, Luxusyachten und Privatjets zelebrieren. Dass die teilweise extremen Klimafußabdrücke nicht zwangsläufig mit der Größe des Vermögens einhergehen, zeigt das Beispiel von Roman Abramowitsch, der als zweitklassiger Milliardär 2018 achtmal mehr CO2 verursachte als die Supermilliardäre Elon Musk und Jeff Bezos zusammen. Darüber wird bei Konservativen nur ungern gesprochen. Es bleibt die Frage, warum man Reichen das Sonderrecht auf Klimaverwüstung zugestehen sollte, wo man ihnen doch auch nicht Sonderrechte auf Waffen- und Rauschgifthandel zugesteht.
Andererseits gibt es auch die Zeit-Reichen, über die die Linken nur ungern sprechen, die man aber auch „zur Kasse bitten“ muss. Meist handelt es sich um junge Bürgergeld-Bezieher, die keine Ausbildung machen, keinen Beruf anstreben, sondern sich bequem in staatlicher Alimentation eingerichtet haben, während überall sonst Arbeitskräfte fehlen und sich Menschen – auch im Bereich der Erneuerbaren Energien – im wahrsten Sinne des Wortes tot arbeiten. Solche Zeit-Reichen brauchen keine sozialpädagogische Betreuung, sondern finanziell einen kräftigen „Tritt in den Hintern“!
* siehe hobby – magazin der technik Nr. 22 vom 15.10.1979, S. 46-50
Teil 1: Temperaturen senken, Verbrennung beenden
Teil 2: Ein EE-System installieren
Teil 3: CO2-lastige Stoffe vermeiden
Teil 4: Geschwindigkeiten anpassen
Teil 9: Fußabdruck verschlanken