16.09.2022
Zur Kritik an meinem Artikel „Massenmigration ist klimafeindlich, Teil 3“
Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke
Am vergangenen 5. August veröffentlichte ich als dritten und letzten Teil einer Serie, die sich mit den Folgen von Massenmigrationen in den verschiedensten Formen (Urlaubsreisen, Verstädterung) beschäftigt, einen Beitrag zur Zuwanderung. Wenngleich der Tenor hier wie in den anderen Artikeln der gleiche war – bei Massenmigration sind nicht die Transportenergien und deren Emissionen das größte Problem, sondern die Emissionen des durch die Migration bedingten Bauwesens –, so richtete sich die Kritik praktisch nur gegen diesen letzten Teil. Auf Bitten der Chefredaktion der DGS-News gehe ich an dieser Stelle nochmals auf die Kritik ein, und versuche, sie aus meiner Sicht einzuordnen.
In den News der letzten Woche hatte der DGS-Landesverband Berlin-Brandenburg e.V., ein eigenständiger Verein innerhalb der DGS, seine Kritik an dieser Stelle ausgeführt. Die Hauptargumente für die Ablehnung meiner Thesen zur Migration sind hier vor allem zwei:
1. „Wir sehen keinen Grund, davon abzulenken, dass in Deutschland der Flächenbedarf pro Kopf in der Vergangenheit massiv gestiegen ist und wir es in verschiedenen Bereichen nicht schaffen unsere nicht einmal ambitioniert gesetzten Energieeffizienzziele zu erreichen.“
Dieses Argument ist auch aus meiner Sicht richtig; in den DGS-Newslettern haben sowohl die Redaktion als auch ich wiederholt auf diese Problematik hingewiesen. Nur: Weil es einerseits ein großes Problem gibt, werden andererseits die anderen Probleme nicht obsolet. Man kann, z.B., die Braunkohlekraft als größten CO2-Emittenten pro kWh ablehnen, und gleichzeitig Gaskraftwerke als klimaschädlich kritisieren. Die Existenz des größten Übels rechtfertigt nicht den Fortbestand der vermeintlich kleineren Übel.
2. „Die Europäer haben in den letzten 200 Jahren Grenzen in Afrika und anderswo willkürlich gezogen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Einwohner:innen. Das hat die politische Situation dort verschlechtert. Zudem geht unser Lebensstandard zu großen Teilen auf Kosten der Länder des globalen Südens.“
Auch dieses Argument ist auch aus meiner Sicht grundsätzlich richtig, wirkt aber auf mich zugleich schon etwas verharmlosend: schon kurz vor 1444, als in Lagos/Südportugal der erste europäische Sklavenmarkt der Neuzeit errichtet wurde, begann die Zerstörung Afrikas durch europäische Großmächte. Schon damals ging es um Energie, nämlich die der billigen menschlichen Arbeitskraft, die sich die Kolonialherren aneigneten. Selbst verbündete afrikanische Staaten wie das christlich gewordene Königreich Kongo, das sogar Botschafter zum Vatikan geschickt hatte, wurden gnadenlos ausgeplündert. Ab dem 17. Jahrhundert folgte dann die als „Transatlantischer Dreieckshandel“ beschönigte systematische Versklavung und Ausbeutung der Afrikaner in großem Stil, wobei auch arabische Potentaten und Sklavenhändler fleißig mithalfen. Weniger bekannt ist, dass auch die Weiterentwicklung der Dampfmaschine von James Watt, die Basis unserer Industrialisierung, mit dem Geld karibischer Sklavenhalter finanziert wurde.
Soweit ist alles – mehr oder minder – bekannt und unstrittig. Nur ist dies kein Argument für eine Open-Borders-Politik! Man kann kein Menschheitsverbrechen dadurch wieder gut machen, indem man von der betroffenen Menschengruppe – in diesem Fall die Afrikaner – einen kleinen Teil durch die bedingungslose Aufnahme hier in Europa privilegiert. Denn es sind ja nicht die wirklich Armen, die nach Europa streben: z.B. die Frau in Dafur oder im Südsudan, die dort nicht mal ihre Kinder ernähren kann und hungern muss, wird es nicht bis an die europäischen Außengrenzen schaffen. Ebenso ist es für die Massen an Hirten und Kleinbauern. Es sind ja vor allem die Mittelschichten, deren Mitglieder sich auf den Weg machen, eben auch weil sie sich die mehreren tausend Dollar/Euro für die Schleuser leisten können. Es ist fraglich, ob die afrikanischen Staaten eine solche Form der „Wiedergutmachung“ auf Dauer überhaupt akzeptieren werden.
Ähnlich sieht es bei den Migrationsbewegungen aus dem Nahen und Mittleren Osten aus, wobei hier wie auch bei den afrikanischen Migranten auffällt, dass – anders als man es bei die gesamte Bevölkerung betreffenden Kriegen und Klimakrisen erwarten sollte – Familien und insbesondere Frauen und Kinder deutlich unterrepräsentiert sind, so dass sogar schon von einer Frauenquote für die Migration die Rede ist.
Soweit zur Kritik des DGS-Landesverbandes Berlin-Brandenburg. Unabhängig davon gab es von anderer Seite noch weitere – substantielle – Kritikpunkte:
> So wurde beispielsweise darauf verwiesen, dass wir wegen der Überalterung unserer Gesellschaft einen hohen Bedarf an Arbeitskräften hätten, der nur durch Zuwanderung gedeckt werden könne. Das ist richtig; schon jetzt bemühen sich die EU und die Bundesregierung um bessere Zugangsmöglichkeiten zum europäischen Arbeitsmarkt. Allerdings läuft diese Politik auf ein Auswahlverfahren wie in den klassischen Einwanderungsländern hinaus, und nicht auf eine Open-Borders-Ideologie. Letztere ist auch gar nicht notwendig, zumal einerseits auch Arbeitskräfte in schrumpfenden Bereichen wie der fossilen Energiewirtschaft und der Autoindustrie freigesetzt werden, es andererseits eine große Zahl an anerkannten Migranten (Asylbewerber, Kriegsflüchtlinge) gibt. Insbesondere für die Unternehmen der Erneuerbaren Energien, die jetzt im Aufschwung sind und dringend Arbeitskräfte brauchen, tut sich jetzt hier ein großes Potential auf, das man 2015 und danach auf Grund der Anti-EE-Politik der Bundesregierung gar nicht nutzen konnte. Viele der regulären Migranten suchen nach ihrem erzwungenen Lebensumbruch Sicherheit, die ihnen Arbeitsplatz bei den langfristig wachsenden Erneuerbaren Energien bieten kann. Insgesamt wäre zu überlegen, wie sich hier die Solarverbände fördernd einbringen können.
> Kritik gab es an dem Begriff „Festung Europa“, der für manche mit kriminellen Grenz-Zurückweisungen/ „Push Backs“ konotiert ist. Da dieser Begriff missverständlich war, und ich ihn nicht erklärt habe, war er unnötig provokativ; insofern ist die Kritik auch aus meiner Sicht berechtigt.
> Kritisiert wurde auch, „die Menschen können nicht den Bomben oder dem Verhungern oder Ertrinken überlassen werden.“ Dazu ist anzumerken, dass die von Bomben bedrohten Menschen unter den Schutzstatus der Genfer Flüchtlingskonvention fallen, die Verhungernden dieser Welt es nie bis zu unseren Grenzen schaffen, und eine spätere Abschiebung kein Gegenargument für humanitäre Rettungsaktionen ist. Denn die Gesamtschutzquote der Migranten belief sich im vergangenen Jahr auf gerade einmal 40%, d.h. die weit überwiegende Mehrheit der Migranten waren keine „Geflüchteten“, sondern Flüchtlinge ohne legalen Status. So sehr es menschlich verständlich ist, wenn Migranten sich an der für sie besten wirtschaftlichen Perspektive orientieren – bei der Binnenwanderung/Verstädterung in Deutschland geschieht es ja schließlich auch –, so ist es unsere klimapolitische Verantwortung, dem nicht nachzukommen; das deutsche Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bietet für Abschiebungen die rechtliche Grundlage.
Angesichts der immer bedrohlicher werdenden Klimakrise, und der Tatsache, dass wir die notwendige Reduktion der Bauemissionen stets verfehlen und wohl auch weiterhin verfehlen werden, halte ich meine Position weiterhin für richtig: Eine Open-Border-Welt, in der jeder dorthin wandert, wo es ihm (wirtschaftlich) am besten gefällt, wäre wahrscheinlich das Ende der Menschheit in einer Klimakatastrophe; Massenmigration in einer vollen Welt ist ... nicht klimakompatibel. Abgesehen vom im Grundgesetz verankerten Asylrecht und der verbindlichen UN-Flüchtlingskonvention, die erhalten werden müssen, sollte die Zuwanderung - wie alle Formen der Massenmigration - aus Klimaschutzgründen künftig stärker unterbunden werden. Klimaschutz ist eine Überlebensfrage für die Menschheit. Hierfür werden alle politischen und gesellschaftlichen Gruppen Abstriche an Ihren liebgewonnenen ideologischen „Naturschutzgebieten“ machen müssen – ob rechts oder links, ob arm oder reich. Auch wenn manchen der Spruch „Die Physik verhandelt nicht“ immer besonders dann leicht über die Lippen geht, wenn nicht die eigenen ideologischen oder finanziellen „Naturschutzgebiete“ betroffen sind – es wird alle treffen. Angesichts der drohenden Klimakatastrophe zu glauben, nur die jeweils gesellschaftlich oder politisch andere Seite würde die Kosten der Krise bezahlen, wäre schon reichlich naiv.