05.03.2021
Was bedeutet klimaneutral konkret?
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Während die CO2-Emissionen seit etwa 150 Jahren kontinuierlich gestiegen sind, nimmt die Erderhitzung immer weiter zu. Auch fünf Jahre nach dem Übereinkommen von Paris, steigen die Treibhausgasemissionen unvermindert an. Dabei haben sich viele Politiker und auch Unternehmen Klimaneutralität zum Ziel gesetzt. Doch was bedeutet klimaneutral konkret und meinen alle immer das Gleiche damit, wenn sie diesen Begriff verwenden? Der Weltklimarat (IPCC) definiert »Klimaneutralität« als Konzept eines Zustands, in dem menschliche Aktivitäten keine Nettoauswirkung auf das Klimasystem haben. So steht es im Glossar in Anhang I des Berichts »Global Warming of 1.5 °C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5 °C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustanable development, and efforts to eradicate poverty« aus dem Jahr 2018. Die Definition beinhaltet auch die Ergänzung, dass das Erreichen eines solchen Zustands eine Aufhebung von Restemissionen mittels Rückholung von Kohlenstoffdioxid (CO2) erfordern würde sowie die Berücksichtigung regionaler oder lokaler biogeophysikalischer Auswirkungen menschlicher Aktivitäten, die beispielsweise die Reflexionsstrahlung von diffus reflektierenden Oberflächen (Albedo) oder das lokale Klima beeinflussen. Ein synonym verwendeter Begriff ist »Netto-Null-Emissionen«.
In einer Pressemeldung von 2018 weist die Umweltorganisation Deutsche Umwelthilfe auf diese Thematik hin: »Im Grunde bedeutet der Begriff klimaneutral erst einmal, dass durch das Produkt oder die Dienstleistung die Menge an klimaschädlichen Gasen in der Atmosphäre nicht erhöht wird. ›Klimaneutral‹ ist also auf den ersten Blick eine gute Sache. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, WIE klimaschädliche Gase vermieden werden.« Dabei verzögere die Reduktion an anderer Stelle (Kompensation) eine dringend nötige Entwicklung CO2-freier Produkte. Laut DUH könnten hier auch Verbraucher ein Zeichen für Klimaschutz setzen: »Hinterfragen Sie den Begriff ›klimaneutral‹ bei Produkten und Dienstleistungen.«
Ein anderer Begriff, der oft von »Klimaneutralität« und »Netto-Null-Emissionen« nicht klar abgegrenzt wird, ist die »Klimawirksamkeit« – die Klimaschädlichkeit der Treibhausgase (in Englisch: Global Warming Potential). Für den Ausstoß an Treibhausgasen wurden im Rahmen des Kyoto-Protokolls erstmals völkerrechtlich verbindliche Zielwerte vereinbart – für Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) und fluorierten Treibhausgase: wasserstoffhaltige Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW) und Schwefelhexafluorid (SF6). Seit 2015 wird Stickstofftrifluorid (NF3) zusätzlich einbezogen. Wobei die »Klimawirksamkeit« in CO2-Äquivalenten (CO2eq) gemessen wird, mit Kohlenstoffdioxid als Richtgröße, zu der die anderen Treibhausgase entsprechend ihrer Wirksamkeit in Bezug gesetzt werden. Beispielsweise ist Methan 25-mal klimawirksamer als Kohlendioxid; 10 ppm Methan sind umgerechnet dementsprechend 250 ppm CO2eq.
Nun steigen die Treibhausgasemissionen unvermindert an, und die mittlere globale Temperatur lag im Dezember bereits etwa 1,2 °C oberhalb des vorindustriellen Wertes, wie die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in einer Pressemeldung mitgeteilt hat. »Es besteht eine Wahrscheinlichkeit von mindestens eins zu fünf, dass sie bis 2024 vorübergehend 1,5 °C überschreitet«, sagt WMO-Generalsekretär Prof. Petteri Taalas.
Klimaschutzziele in Deutschland
Das Klimaschutzziel in Deutschland gemäß dem Klimaschutzplan 2050 lautet: »weitgehend treibhausgasneutral bis 2050« zu sein, hierbei wurden konkrete Sektorziele festgelegt, die SONNENENERGIE berichte. Gemäß des im Dezember 2019 verabschiedeten Klimaschutzgesetzes sollen die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 % gemindert werden. Im § 3 wurde auch festgelegt: Sollten zur Erfüllung europäischer oder internationaler Klimaschutzziele höhere nationale Klimaschutzziele erforderlich werden, so leitet die Bundesregierung die zur Erhöhung der Zielwerte notwendigen Schritte ein. Auch der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD bekräftigt diese Ziele sowie die europäischen und internationalen Klimaschutzziele.
Im aktuellen Wahljahr hat die Klima-Allianz Deutschland, ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, Klimaschutz-Forderungen an die Parteien vorgelegt. Demnach sollte Deutschland Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 anstreben. In diesem Zusammenhang könne Klimaneutralität nur bedeuten »den Ausstoß fossiler Emissionen so schnell wie möglich gegen Null zu senken, die Emissionen aus der Land- und Forstwirtschaft deutlich zu verringern und zusätzlich die Regeneration natürlicher Klimasenken und ihrer Artenvielfalt voranzutreiben«. Nach Angaben von Stefanie Langkamp, der Leiterin für Nationale Energie- und Klimapolitik der Klima-Allianz Deutschland, sind die deutschen Ziele zu gering, um auf den europäischen Pfad zu kommen. »Es müssten mindestens 65 % sein. Mit Paris im Blick bräuchte es aber noch mehr: Für das Ziel von einer Erwärmung von maximal 1,5 °C müsste es eine Minderung von 70 % bis 2030 sein«, ergänzt sie.
In der EEG-Novelle wurde als Ziel des Gesetzes eine Steigerung des Anteils des aus Erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch auf 65 % im Jahr 2030 formuliert. Auf Nachfrage, ob eine Anpassung des Klimaschutzziels für Deutschland in der EEG-Novelle hätte festgelegt werden sollen, sagt sie: »Ja natürlich, seit Jahren ist bekannt, dass die festgelegte Ausbaumenge zu gering ist. Eine Anhebung auf 65 % ist immer noch nicht vernünftig umgesetzt. Das gilt auch für die Sektorkopplung.« Nötig sei eine Anhebung des EE-Ausbaus auf 80 % bis 2030.