19.11.2021
Das notwendige Atomendlager und die Krux mit der Öffentlichkeit
Ein Sachstandsbericht von Heinz Wraneschitz
Vor wenigen Wochen überschlugen sich die Headlineschreibenden der deutschen Presse. Es sollte wohl wie eine Horrormeldung klingen, was der Michael Sailer da von sich gegeben hatte: „Ex-Endlagerkommissionschef warnt: Atommüll-Endlager erst 2050 in Betrieb.“
Dabei ist dieser Zeitrahmen, bis endlich der erste Müll aus deutschen Atommeilern unter die Erde gebracht werden kann, seit langem bekannt. Denn vor dem Graben des Lochs steht die Suche nach dem besten Standort für die nächste Million Jahre. Das deutsche Standortauswahlgesetz, kurz StandAG, verabschiedet 2017 vom Deutschen Bundestag, gibt vor, wie der unterirdische Platz für den Müll aus gerade mal 60 Jahren „friedlicher Kernenergienutzung“ in diesem unserem Lande ablaufen soll. 2031 ist das Jahr, an dem sich wiederum der Bundestag für den einen, den einzigen Standort entscheiden soll; so sieht es das StandAG vor. Wie es genau bis dahin weitergehen soll, darüber haben die DGS-News erst vergangene Woche berichtet.
Bei der letzten Tagung der im StandAG festgelegten Dreierreihe „Fachkonferenz Teilgebiete“ im August diesen Jahres schien es, als könnte das vom Gesetzgeber gewollte Konstrukt „Selbstorganisation“ beim weiteren Beteiligungsverfahren platzen. Das wiederum hatte den vom Gesetzgeber jeweils persönlich ausgewählten Mitgliedern des „Nationalen Begleitgremiums für ein faires Verfahren“ NBG nicht wirklich gefallen.
Und deshalb hatte das NBG am 6. November zu einer Veranstaltung geladen, um die Frage zu diskutieren: Wie gelingt gute Beteiligung? Rein „online“ gelingt die sicherlich nicht, lautete ein Ergebnis des Gutachtens, das Matthias Trénel den knapp 150 im Saal und im Netz Zuhörenden präsentierte. Zwar habe die digitale Fachkonferenz-Form Menschen von überall die grundsätzliche Chance gegeben, mitzudiskutieren. Doch gab es laut Trénel „deutliche Einschränkungen der Beteiligungsqualität durch die digitale Durchführung im Bereich der Meinungsbildung: beim Ausdruck von Meinungen, bei der Erörterung, bei der Vernetzung. Viele haben es als Zwangsjacke empfunden. Persönliche Gespräche gehören einfach dazu.“
NBG-Mitglied Marion Durst bemängelte gerade den Zeitdruck der beendeten Fachkonferenz Teilgebiete: „Qualität muss vor Zeit stehen – auch bei Wahlen und Antragsbearbeitung“, forderte sie für die Zukunft der Beteiligungsformate. Woraufhin Ina Stelljes, beim BASE für die Öffentlichkeitsbeteiligung zuständig, zugab: „Auch wir haben einen Lernprozess hinter uns.“
Partizipationsbeauftragter moderiert erfolgreich
Dennoch wusste im Sommer niemand so recht, wie es weitergehen könnte bis zu „Phase 2“. Die ist im StandAG als „Start der oberirdischen Erkundung“ definiert. Und parallel zu dieser oberirdischen Suche nach dem besten Platz fürs Atommüllloch sieht das StandAG die Einrichtung der so genannten „Regionalkonferenzen“ und des „Rates der Regionen“ vor. Doch weil die BGE - anders als allgemein erwartet – sich eben noch nicht auf eine Zahl der Regionen im Dutzendbereich konzentriert, sondern sage und schreibe 90 solcher „Teilgebiete“ benannt hat, wird es jetzt einige Jahre dauern, bis die wirklich potenziell betroffenen Bewohner wissen, dass ausgerechnet ihre Heimat in der engeren Wahl ist. Für die Zeit bis dahin ist im StandAG aber keine laufende Beteiligung festgeschrieben. Nur die Möglichkeit, entsprechende Formate einzuführen, hat der Bundestag erwähnt. Genau das forderte die „Fachkonferenz“ per Beschluss ein, und zwar in Selbstorganisation.
Um den Konflikt mit dem BASE zu lösen, hatte Hans Hagedorn am vergangenen Samstag zu einer weiteren Hybridkonferenz geladen. Hagedorn ist hauptamtlicher „Partizipationsbeauftragter“ des NBG, hat also damit eine Schlüsselposition im ganzen Prozess inne. „Er soll frühzeitig Konflikte erkennen und bei möglichen Spannungen zwischen den Akteuren vermitteln“, steht in der Aufgabenbeschreibung. Und genau das hat er mit der Tagung, vor allem aber in einigen vorbereitenden teilöffentlichen Sitzungen augenscheinlich erreicht. Denn anders als in der ersten Version der BASE-Vorlage hat die Behörde jetzt sowohl das Großteils öffentliche Tagen der neu zu installierenden Planungs- und Beratungsgruppe (PuB) akzeptiert, und auch die „Gleichrangigkeit“ der dort vertretenen Personen: zwei davon kommen von BASE, die BGE entsendet zwei Beobachter. Die acht Mitglieder aus der Zivilgesellschaft stammen aus gesellschaftlichen Organisationen, der Wissenschaft, den Kommunen; auch zwei Bürger*innen sind dabei. Nicht zu vergessen: Die „junge Generation U30“ ist ebenfalls mit dabei. Das so genannte „Fachforum“, ein offener Tagungsraum, der sich mindestens einmal jährlich trifft, wählt diese „Zivilisten“ jedes Jahr neu.
Zunächst aber haben die etwa 300 Stimmberechtigten fast nur altbekannte Gesichter in die PuB gewählt. Die meisten waren schon in der AG Vorbereitung für die Fachkonferenz aktiv und kommen aus der Antiatombewegung. Für das BASE wird u.a. Vizepräsidentin Patrizia Nanz teilnehmen, BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz und ein Mitarbeiter vertreten die Suchgesellschaft. Nicht zu vergessen: Die „Junge Generation“ darf eine zehnköpfige U30-AG benennen, doch waren nur sieben „Junge“ zur Kandidatur bereit.
Dass die Wahl so ruhig vonstatten ging, lag sicher zu großen Teilen an der akribischen Vorbereitung durch Hans Hagedorn. Nun hat die PuB-Gruppe erst einmal die Legitimation und Aufgabe, das erste Fachforum im Frühjahr 2022 vorzubereiten.
Aber wird es der PuB in dieser Zusammensetzung gelingen, aller Interessen zu berücksichtigen, vor allem mit Blick auf die kommenden Regionalkonferenzen? Im öffentlichen Chat der Veranstaltung meldete Hinrich Ohlenroth, Stellvertretender Landrat des Kreises Emmendingen seine Zweifel an. „Die BuP hat eine starke Stellung. In der Vorstellung war vom gemeinschaftlichen Arbeiten (mit BGE, BASE) und von Kooperation die Rede sowie davon, dass die Zivilgesellschaft in der BuP (inhaltlich) Einfluss auf das Verfahren nehmen soll. Die BuP besteht aber aus extrem wenigen Mitgliedern der Zivilgesellschaft, gemessen an der Größe aller Teilgebiete. Kann das nicht schnell dazu führen, dass später aus den Standortregionen, wenn diese feststehen, der Vorwurf erhoben wird, die BuP sei eine "Klüngelgruppe im Hinterzimmer" gewesen - insbesondere dann, wenn sich später herausstellen sollte, dass kein zivilgesellschaftliches Mitglied der BuP aus einer Standortregion kommt? Wie wird einem solchen Szenario begegnet?“ Man darf also gespannt sein auf das erste Fachforum – oder schaut einfach bei den Sitzungen der PuB online vorbei. Die werden sicher bald auf der „Endlagersuche-Infoplattform“ veröffentlicht.
19.11.2021
Ein Ex-Ministerpräsident auf Endlagersuche
Eine Anmerkung zum Nationalen Begleitgremium NBG von Heinz Wraneschitz
Das „Nationale Begleitgremium für ein faires Verfahren“, kurz NBG, hat als „zentrale Aufgabe: die vermittelnde und unabhängige Begleitung des Standortauswahlverfahrens. Das Ziel: Vertrauen in das Verfahren ermöglichen.“ Es ist „ein unabhängiges, pluralistisch zusammengesetztes gesellschaftliches Gremium“. Dabei sind Wissenschaftler*innen, Studierende, interessierte Bürger*innen. „Die Bandbreite der Mitglieder spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft wider“, ist die Selbsteinschätzung. Das NBG wolle „die Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle vermittelnd zu begleiten - unabhängig, transparent und bürgernah“.
Bürgernah ist auch der Rentner Günther Beckstein. Und das war er auch schon in jener kurzen Zeit, in der er als Ministerpräsident die Politik des Freistaats Bayern bestimmte. Der hochrangige Ex-Politiker wurde von Bundestag und Bundesrat ins NBG gewählt als eine von zwölf „anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“. Weil aber nur sechs Bürgervertreter*innen, darunter zwei der sogenannten „jungen Generation“ dem NBG angehören, sehen viele dessen Unabhängigkeit und Bürgernähe kritisch.
Günther Beckstein hat seine Forderung an die Standortauswahl am 6. November so zusammengefasst: „Es soll keine politisch motivierte, sondern eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung sein.“ Bislang jedenfalls haben Beobachter eher das Gefühl, dass der Streit zwischen Atomgegnern und Befürwortern dieses Auswahlverfahren in erheblichem Maße bestimmt. Nicht zuletzt, weil momentan immer wieder „neue Atomkraftwerkstechniken“ gepriesen werden, die den jetzigen Atommüll ja sogar als Brennstoff verwenden könnten.
Doch ab wann die „neuen“ AKW – sie sollen zudem „absolut sicher“ sein – verfügbar sind: darüber schweigen sich die Atomfans aus. Wobei einige von ihnen sogar in Sozialen Medien bekennen, damit beim noch CDU-geführten Bundesenergieministerium auf offene Ohren zu stoßen.