17.09.2021
Vorfahrt für Erneuerbare – wie glaubwürdig sind die Parteien?
Eine Kurzbeschreibung von Jörg Sutter
Die Glaubwürdigkeit in der Politik ist ein hohes Gut, sie kann überzeugen. Und man kann sie bewerten, indem aktuelle Versprechungen nicht einfach hingenommen, sondern auch mit dem Agieren in der näheren Vergangenheit oder aktuellen Anlässen auf anderer politischer Ebene verglichen werden. Ja, die folgende Zusammenstellung ist sicherlich subjektiv und nicht vollumfassend, viele Aspekte fehlen. Doch einige Punkte sind enthalten, aus denen jeder seine Rückschlüsse für ein Wahlverhalten ziehen kann. Im Falle einer aktuellen Unschlüssigkeit kann auch noch ein Blick auf unsere aktuelle Seite zur Bundestagswahl nutzen, dort helfen diverse Links bei der Bewertung und der Einordnung von Parteien, Zielen und Programmen weiter. Meine persönliche Bitte: Gehen Sie am 26.09. wählen (oder wählen Sie vorher per Briefwahl) und berücksichtigen Sie den Klimaschutz bei Ihrer Wahl angemessen.
CDU
Bei der CDU ist ein deutlicher Zickzack-Kurs zu beobachten: Im März wurde die Klimaunion gegründet, die mit Forderungen der 100% erneuerbaren Energieversorgung bis 2030 Aufsehen erregte. Spät im Sommer wurde das Wahlprogramm der Partei veröffentlicht, dass dann kein echtes Erkennen der Klimakrise oder einen Aufbruch hin zu Erneuerbaren Energien erkennen ließ, hier analysiert. Anschließend wurde kurzfristig ein Klimateam berufen, dessen Papier „Ein Turbo für die Erneuerbaren“ einige Ansätze enthält, jedoch die Klimaneutralität wieder bis 2045 hinausschiebt und weitgehend konkreten Angaben zu Ausbauzielen (außer einem 10 GW-PV-Ausbau pro Jahr durch das „Sonnenpaket“) vermeidet. Jeder, der sich schon einmal intensiv durch einen KfW-Förderantrag wursteln musste, wird sich bei der Beschreibung der CDU-Idee eines „KfW-Deutschland-Dach-Programms“ die Schenkel klopfen: „ … mit dem jeder Eigentümer ein zinsloses Darlehen erhält. Dies ist alles über eine Onlineplattform mit einem Mausklick zu erhalten“. Ist die Regierungspartei hier glaubwürdig bei der aktuellen Geschwindigkeit der Digitalisierung in unserem Land? Ich glaube nicht. Auch dass Armin Laschet einen vorgezogenen Kohleausstieg weiter ablehnt und aktuell ein vorgezogenes Aus des Verbrennungsmotors als „kontraproduktiv für den Klimaschutz“ bezeichnet hat, ist für die Glaubwürdigkeit echter Klimaschutzanstrengungen wohl eher hinderlich.
FDP
Die FDP, die für viele PV´ler seit den ersten Abschaffungsforderung des EEG vor Jahren nicht gut dasteht, bleibt auch in diesem Jahr der bisherigen Argumentation treu: Konkrete Ausbauziele für Erneuerbare Energien werden abgelehnt, ebenso nationale Anstrengungen, die nicht marktwirtschaftlich und gesamteuropäisch angelegt sind. Nach dieser Lesart müsste dann europäisch gewartet werden, bis auch Polen Lust hat, aus der Kohle auszusteigen. Und angesichts der Milliardenförderung des Kohlausstiegs eine marktwirtschaftliche Lösung zu fordern, ist wenig nachvollziehbar, ebenso das Fehlen jeglicher konkreten Ziele z.B. beim Energieverbrauch im Gebäudebereich. Die Forderung nach mehr Markt steht auch im klaren Widerspruch zum Einsatz von Wasserstoff, für dessen Herstellung bekanntermaßen viel Energie (und damit auch Geld ...) benötigt wird und der sich auf absehbare Zeit wirtschaftlich nicht tragen kann. Für die Partei aber kein Hindernis, darin große Hoffnungen für die Zukunft zu sehen. Einige aktuelle Antworten der FDP auf Fragen zum Klimaschutz sind auch hier nachzulesen. Anzumerken ist vielleicht noch, dass die Partei über das FDP-eigene Wirtschaftsministerium im größten Bundesland NRW mit Minister Pinkwart verfügt, der nicht nur acht Jahre Landesvorsitzender der Partei war, sondern auch aktuell Energieminister ist. Über die konkreten Aktivitäten der NRW-Landesregierung (von Hambacher Forst über Windabstandsregel bis zur Abschaffung der Energieagentur NRW) mussten wir in der Vergangenheit des Öfteren negativ aus Sicht der Energiewende berichten.
Grüne
Im Bereich der Forderung nach Klimaschutz stehen in puncto Glaubwürdigkeit die Grünen sicherlich am besten da. Schon seit Parteigründung steht die erneuerbare Energieversorgung als eines der zentralen Ziele der Partei, unabhängig von den jeweiligen Wahlen. „Eine zukunftsorientierte ökologische Energiepolitik muss alle Möglichkeiten nutzen, die zu einer Verringerung des Energiebedarfs führen und die optimale Verwendung bereits vorhandener Energien gewährleisten“ – dieser Satz hat seine Gültigkeit bis heute, auch wenn er bereits 1980 im Gründungsprogramm formuliert wurde. Und die Energie-Forderung Nr. 11 aus dem damaligen Parteiprogramm: „Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes und aller rechtlichen Vorschriften, die einem dezentralen, regenerativen Energiesystem im Wege stehen“. Auch dieser Satz ist heute nach wie vor aktuell. Ein Haar in der Suppe der Glaubwürdigkeit findet man natürlich auch bei den Grünen. So wird für Deutschland – entgegen den Angaben des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) – im Wahlprogramm ein Restbudget von 6,6 Gigatonnen CO2 angesetzt, um Paris noch einhalten zu können. Doch der SRU kommuniziert öffentlich einen Wert von 4,20 Gigatonnen für Deutschland ab 2020, um die 1,5 Grad mit 50% Wahrscheinlichkeit zu erreichen und 6,7 Gigatonnen für eine 67-Prozent-Einhaltung von nur 1,75 Grad. Doch diese Ungenauigkeit sei relativiert: Sämtliche anderen Parteien nennen kein konkretes Restbudget an CO2 und entziehen sich dieser Fragestellung damit unverständlicherweise. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien gibt es bei der grünen Partei kein Glaubwürdigkeitsproblem: Es ist Forderung schon seit Jahren und z.B. in Baden-Württemberg, wo die Grünen Verantwortung als größte Regierungspartei in der Landesregierung tragen, gilt ab 01.01.2022 eine Solarpflicht für gewerbliche Gebäude und Parkplatzüberdachungen (siehe auch hier). Wo Einfluss genommen werden kann, wird also auch „geliefert“.
SPD
Zuletzt in der alphabetischen Reihenfolge seien die Sozialdemokraten betrachtet: Bei der Partei, die ihren Spitzenkandidaten als „Kanzler für Klimaschutz“ auf Plakate druckt, gleichzeitig aber mit den Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern das Projekt NorthStream II und in anderen Bundesländern die weitere Kohleverfeuerung bis 2038 unterstützt, hat es die Glaubwürdigkeit auch nicht leichter. Es muss gewürdigt werden, dass die SPD auch in der großen Koalition des Öfteren versucht hat, mehr für die Erneuerbaren Energien zu erreichen und damit an der Union gescheitert ist. „Wir müssen noch mehr für den Klimaschutz tun“ ist eine gute aktuelle Erkenntnis der Partei, aber die Klimaneutralität erst im Jahr 2045 ist dafür schlicht zu spät. Und das Ziel, eine Absenkung des Strompreises durch Verlagerung der EEG-Kosten in den Bundeshaushalt zu erreichen, kann nicht überzeugen, denn es ist doch der gleiche Bürger, der in gleicher Höhe die dann notwendigen Beträge zum Bundeshaushalt aus seinen Steuern beibringen muss statt bisher über die EEG-Umlage. Hier so zu tun, als seien die Kosten damit zukünftig einfach verschwunden, ist wenig ehrlich.
Aktuelle Ohrfeige für alle
Eine Ohrfeige können sich aktuell alle Parteien beim Deutschen Institut für Wirtschaft abholen: Im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität analysierte DIW Econ unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia Kemfert (DIW Berlin), die Programme der Parteien: im Hinblick auf die Einhaltung der 2030-Ziele des aktuellen Klimaschutzgesetzes. Klare Aussage dazu: Keine der untersuchten Parteien hat geeignete Maßnahmen im Programm, die zur Erfüllung der Ziele des aktuellen Klimaschutzgesetzes (KSG) ausreichen – und damit erst recht nicht für das noch schärfere 1,5 Grad-Ziel von Paris. Das DIW hat bei der Analyse nur die Texte der Parteiprogramme betrachtet, nicht im Wahlkampf nachgereichte Beschlüsse oder Papiere. Dafür, dass das Klimaschutzgesetz von den beiden großen Parteien beschlossen, der Paris-Beschluss im Jahr 2016 sogar einstimmig von der Regierung im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, ist diese Ohrfeige des DIW mehr als peinlich. Glaubwürdigkeit sieht anders aus.