25.06.2021
Wahlprogramm der Union: „#wegenmorgen“ ist nicht der Plan
Eine subjektive Analyse auf Energie und Klima von Heinz Wraneschitz
„Alles, was wir tun, tun wir #wegenmorgen.“ So macht zurzeit die Webseite der Kanzler*innenpartei CDU groß auf. #wegenmorgen – zielt der Hashtag nur auf die drei Monate bis zur Bundestagswahl? Oder soll er zeigen, die Partei macht sich fit für die Zukunft?
Über dem 140-seitigen Wahlprogramm, das die Vorsitzenden von Christlich-Demokratischer und Christlich-Sozialer Union (CDSU) in dieser Woche gemeinsam in die Öffentlichkeit getragen haben,
steht jedenfalls ein ganz anderes Motto: „Das Programm für Stabilität und Erneuerung.“ „Na, was stimmt denn nun?“, habe ich mich gefragt und den CDSU-Wahlkampf-Wälzer auf den Computerbildschirm genommen.
„Wollen“ will die Union jedenfalls viel. Sage und schreibe 483 (!) mal ist das Wort im Papier, also durchschnittlich 3,5 mal auf jeder Seite. „Man muss nur Wollen wollen“, hat schon „Momo“ in Michael Endes gleichnamigem Roman gewusst. Dennoch habe ich so meine Zweifel, dass die CDSU-Autor*innen, vor allem aber die ausführenden politischen Köpfe Momos „Wollen wollen“ verinnerlicht haben. Gerade, weil ich die Worte „soll(te)“ und „könnte“ zusammen 327-fach finde.
Denn für „Deutschland als klimaneutrales Industrieland bis (sic!) 2045“, „Unser Energiekonzept für die Zukunft“ und „Nachhaltiges Wirtschaften zum Schutz unserer Ressourcen“ sind insgesamt gerade mal sieben Seiten reserviert! Dort finden sich solch bedeutungsschwangere Absätze wie dieser zu Stromnetzen: Die seien „die Lebensadern der Energiewende. Sie sind Garanten für die Versorgungsicherheit Deutschlands. Wir wollen prüfen, wie wir im Bereich der Übertragungsnetze für mehr Kostenwettbewerb und beschleunigte Investitionen sorgen können. Wir wollen den Bau der notwendigen Stromleitungen beschleunigen. Wo immer möglich, sollen Trassen klug gebündelt und anwohnerverträglich realisiert werden.“ Übersetzt heißt das wohl: Weg mit den in den Aarhus-Völkerrechtsverträgen festgelegten Beteiligungsmöglichkeiten. Das ist seit Jahren ausdrücklicher Wunsch des „Wirtschaftsrats der Union“.
Und wenn die Übertragungsnetzbetreiber – wie zu erwarten – sagen werden, „es ist halt so teuer“ und „wir machen das nicht anwohnerfreundlich“, dann würde auch dies voraussichtlich von einer CDSU-Regierung akzeptiert.
Das Wort „Zukunft“ finde ich in insgesamt 53 Versionen im Papier – aber nicht in Verbindung mit Energie. Zum zurzeit wie die Sau durchs Dorf getriebenen Thema Wasserstoff bekennen die Stabilisierer und Erneuerer zwar: „Wir werden Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien gewinnen.“ Aber tatsächlich will die CDSU „neben diesem sogenannten grünen Wasserstoff in der Übergangszeit auch den blauen Wasserstoff akzeptieren“.
Erdgas als Wasserstoff-Basis
Wie lange aber soll Erdgas unter Energiezufuhr in H2 umgewandelt werden? Das steht bereits in der Überschrift des Kapitels 3.3: „bis 2045“; dann soll „Treibhausneutralität“ erreicht werden. Aber soll wie in den dann noch verbleibenden fünf Jahren bis 2050 all das CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt werden, das wir bis dahin in die Luft blasen? Darauf gibt es auf 140 Seiten keine konkrete Antwort: Lediglich „anstreben“ wolle man die Pariser Klimaziele, steht da.
Wägt man die Begriffe „Klima“ und „Wirtschaft“ gegeneinander ab, dann spürt man schnell, wo bei der CDSU der Schwerpunkt liegt: „Klima“ in allen Wort-Varianten ist 39-fach zu finden, Wirtschaft dagegen wurde 84 mal verwendet. Sogar die Zuständigkeit der Industrienation Deutschland für die Erderwärmung will man exportieren: Auf der nächsten Welt-Klimakonferenz in Glasgow will man dafür sorgen, dass „auf nationaler und europäischer Ebene auch Emissionsminderungen durch Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern auf nationale Klimaziele anteilig anzurechnen“ seien. Das ist für mich Energiekolonialismus reloaded, passend zur „Nationalen Wasserstoffstrategie“ der (aktuellen) Bundesregierung, die „internationale Kooperationen zum Import von Wasserstoff“ vorsieht. Na immerhin kommen „Atom“ und „Kernkraft“ nicht im CDSU-Text vor.
Ich möchte aber den – aus meiner Sicht einzigen - positiven Ansatz für Regenerativenergien nicht verschweigen. Beim Bau von Freiflächen-Photovoltaikanlagen sollen künftig „der Landwirtschaft keine zusätzlichen Flächen für naturschutzrechtlichen Ausgleich entzogen werden, wenn Mindestkriterien für Naturschutz und biologische Vielfalt auf der Anlagenfläche erfüllt werden“. Wird dieses seit Jahrzehnten gültige Unding tatsächlich fallen? Das war’s dann wohl auch. Denn zwar gehört auch für die Union zur nachhaltigen Energiegewinnung „Sonne und Wind genauso wie nachhaltige Biomasse, Wasserkraft und Geothermie im ländlichen Raum“. Aber der nächste Satz zeigt Energiewendegegners Einfluss: Für den Ausbau der Erneuerbaren Energien „wird die Akzeptanz der Bevölkerung ebenso entscheidend sein wie Planungssicherheit und wenig Bürokratie“. Wie dann der erhoffte „deutlich schnellere Ausbau“ vorangehen soll? Dazu kein Sterbenswörtchen!
Vielfach bleibt die Union sich treu: „Wir stehen zum vereinbarten Kohle-Kompromiss. Die Braunkohle-Regionen, die betroffenen Energieunternehmen, die Zulieferer und vor allem die Beschäftigten können sich auf uns verlassen.“ Der Solarwirtschaft und deren zigtausenden plattgemachten Arbeitsplätzen dagegen wird – weil weder im Papier noch in der Realität mehr vorhanden – kein Tränchen nachgeweint. Oder: „Ein Dieselfahrverbot lehnen wir ebenso ab wie ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Stattdessen setzen wir auf innovative, moderne Verkehrssteuerung.“ Man merkt, Andi Scheuer lebt!
Ob deshalb die konkret für Jedermensch spürbare „Klimakrise“ im CDSU-Papier an keiner Stelle vorkommt? Dabei steht die vor der Haustür – bereits jetzt! Und sie wird auch nach der Bundestagswahl ständig bei der – dann neuen - Regierung anklopfen. Aber sollten die Unionsparteien dann wieder die Führung haben, dürfte vor der Klimakrise weiter der Wahrnehmungsriegel vorgeschoben bleiben. Jedenfalls dann, wenn das CDSU-Wahlprogramm wirklich zum Tragen kommt. Ich setze auf das Prinzip Hoffnung. Noch. #wegenmorgen.