31.07.2020
Energiewende der Digitalisierung
Ein Bericht von Jörg Sutter
Die Digitalisierung der Energiewende ist in aller Munde und schreitet mit dem Smart-Meter-Rollout und jedem weiteren digitalen Sensor an einem Trafo, einem Kraftwerk oder an einer Stromleitung weiter voran. Doch wie steht es umgekehrt? Die Digitalisierung benötigt Strom, viel Strom sogar. Eher leise, aber schnell wird in diesem Bereich derzeit die Wende zur Nachhaltigkeit vollzogen.
Wir betrachten zuerst die Kette der Geräte, die wir persönlich bei unseren digitalen Aktivitäten einsetzen: Beginnend mit den Endgeräten im Haushalt wie Smartphone, Tablet und Laptop über den häufig vorhandenen WLAN-Router, der das Bindeglied ins Kommunikationsnetz darstellt. Dann folgen die Datenleitungen der Kommunikationsanbieter, die zu Verteilstellen führen und irgendwann an einem großen Rechenzentrum enden. Hier findet derzeit der größte Energiehunger statt.
Wie klimaneutral ist die Digitalisierung?
Bei den erstgenannten Geräten im eigenen Haushalt haben wir das alle selbst in der Hand. Beim Autor dieses Beitrags lädt Laptop und Smartphone an sonnigen Tagen wie derzeit mit Strom aus dem Steckersolar-Gerät auf dem Balkon. Wird nachts geladen, so fließt wie im ganzen Haushalt Ökostrom aus deutschen Wind- und Wasserkraftwerken in die Geräte. Durch eine kleine Investition oder den schlichten Tarifwechsel beim Stromversorger kann hier die Klimaneutralität des eigenen Stromverbrauchs hergestellt werden. Bei modernen Routern ist der Stromverbrauch gering und kann z.B. Nachts durch Aktivierung eines Energiesparmodus noch weiter abgesenkt werden.
Für die Leitungen und Verteiler der Kommunikationsnetze sind die Betreiber wie Telekom, Vodafone usw. verantwortlich. Ein Blick ins Internet zeigt die Größenordnung: So veröffentlicht die Deutsche Telekom seit einigen Jahren die Kennzahl der Energie-Intensität bezogen auf das transportierte Datenvolumen. Im Jahr 2018 betrug dieser Wert 110 kWh/Terabyte, eine deutliche Reduktion gegenüber 146 kWh/Terabyte noch zwei Jahre zuvor.
Konkret: wird ein Fußballspiel gestreamt, also per Internet-Datenleitung in guter Qualität übertragen, so hat das - ohne Verlängerung oder Elfmeterschießen - ein Datenvolumen von rund 2,7 GB. Nach oben genannter Kennzahl bedeutet das einen Stromverbrauch von 0,3 kWh für die Übertragung des Fußballspiels. Das klingt nun nicht nach viel, aber bei einer Meisterschaft werden mit 10 Mio. Zuschauern vor den Bildschirmen daraus ganz schnell 3 Mio. kWh. Die Telekom hat für 2018 in Deutschland einen Anteil an erneuerbarem Strom von 62 % des Stromverbrauchs ausgewiesen, der Anteil ist damit höher als der regenerative Anteil der allgemeinen Stromversorgung. Vodafone, der zweite große Netzbetreiber, will bis zum Jahr 2022 seine Netze zu 100% erneuerbar versorgen und stattet derzeit schon Sendemasten mit PV-Modulen aus. Testweise in Norddeutschland wurden auch bereits große Sendemasten mit Mikro-Windanlagen ausgerüstet.
Internet of Things
Zukünftig sollen möglichst viele Geräte mit dem Internet verbunden werden – vom Kühlschrank bis zur einzelnen Straßenlampe, die dann eine Funktionsstörung selbst an die Zentrale melden kann. Einzelne Städte haben hier schon begonnen, eine entsprechende Infrastruktur mit LoRaWAN-Netzen aufzubauen (siehe DGS-News vom 29.03.19). Bei dieser Technik wird der Energieverbrauch – zumindest bei Sensoren und Meßstellen – von vorneherein stark optimiert, so dass es möglich ist, z.B. Sensoren für Luftschadstoffe im Stadtgebiet dezentral mit einer kleinen Solarzelle und Speicherbatterie autark über Jahre hinweg zu versorgen. Hier kann also schon weitgehend mit Erneuerbaren Energien gearbeitet werden.
Rechenzentren sind Großverbraucher
Doch nun betrachten wir die energetisch wirklich dicken Fische in der Kette der Digitalisierung: Server und Rechenzentren. Rund 50.000 Rechenzentren mit ungefähr 2,3 Mio. physikalischen Servern soll es in der Bundesrepublik heute geben, so prognostizierte es eine BITCOM-Studie vor einiger Zeit für das Jahr 2020. Diese Computer hatten nach Angaben von Eon im Jahr 2017 einen Stromverbrauch von 13,2 Mrd. kWh, das entspricht dem Jahresverbrauch der Hauptstadt Berlin. Erschreckend dabei ist weniger der absolute Wert, sondern der rasante Zuwachs: Zwischen 6 und 9 Prozent werden als jährliche Steigerung - je nach Quelle - genannt. Die Wünsche nach schnellerer Übertragung, besserer Bildqualität und größeren Fernsehgeräten fordern ihren Tribut. Neue Streaming-Anbieter kommen auf den Markt und das Angebot wächst: Allein bei YouTube werden rund 400 bis 500 Stunden Videomaterial neu eingestellt – und das jede Minute.
In den DGS-News vom 06.09.2019 haben wir bereits auf die Abwärmenutzung von Rechenzentren aufmerksam gemacht. Doch die Bestrebungen gehen weiter: Der Einsatz von moderner Technik mit geringerem Kühlbedarf, eine effizientere Auslastung der Server und auch eine Zusammenlegung von kleineren Rechenzentren sollen zusätzlich helfen, den Stromverbrauch zu senken. Der Stromverbrauch muss deutlich runter, zum einen, weil das hohe Betriebskosten verursacht, zum anderen, weil die Kunden eine umweltfreundliche Bereitstellung von Datencentern fordern. Große Hosting-Rechenzentren haben einen Stromkostenanteil von 20 %, bei kleineren steigt der Stromkostenanteil sogar auf rund 30 bis 40 % der gesamten Betriebsausgaben. Heute geht der Trend zur Versorgung mit 100% Erneuerbaren Energien.
Großkonzerne vorne dabei
Ungewöhnlich: Die großen Konzerne gehen hier voran und hinken nicht – wie in anderen Branchen – der Entwicklung hinterher. Google betreibt seine Rechenzentren bereits seit 2016 zu 100 % aus Erneuerbaren Energien. Rund 5 GW Wind- und Solarleistung hat sich Google gesichert und ist damit der größte gewerbliche Käufer von Erneuerbarer Energie weltweit. In einem nächsten Schritt soll der Workload, also die „Aufgaben“ der Datenverarbeitung, unter den einzelnen Rechnerstandorten so verteilt werden, dass die jeweils verfügbare Erneuerbare Energie bestmöglich genutzt wird.
Auch die deutschen Anbieter sind dabei: Ionos, Hosting-Anbieter der 1&1, bezieht den kompletten Strom für Rechenzentren und Bürogebäude vollständig aus Erneuerbaren Energien und legt Wert darauf, dabei keinen Zertifikatehandel zu betreiben. Die Walldorfer SAP benutzt auch Zertifikate, erreicht damit ebenfalls eine vollständige Grünstrom-Versorgung aller Gebäude und Datenzentren.
Ende August wird in Norddeutschland ein weiteres Vorreiter-Projekt eingeweiht: Ein erstes CO2-freies Rechenzentrum wird in Betrieb genommen. Auf dem Dach des Gebäudes, einer alten Bundeswehrkaserne, wird eine Algenfarm entstehen, die aktiv CO2 abbauen soll. Damit die Algen sich auch im Winter wohlfühlen, wird die Abwärme aus dem Serverpark auf das Dach gepustet, wo die Wasserpflanzen in einer Gewächshaus-Konstruktion in durchsichtigen Plastikschläuchen gedeihen. Das Unternehmen sitzt nicht aus Zufall westlich von Flensburg: Das Rechenzentrum wird physikalisch auf direktem Weg mit Windstrom aus großen Parks der Umgebung versorgt.
Und zuletzt sei noch eine aktuelle und innovative Aktivität genannt: Der Konzernriese Microsoft hat erstmals den Einsatz von Wasserstoff anstelle von Diesel für die Notstromversorgung eines Rechenzentrums ausprobiert. Technisch ist eine Brennstoffzelle genauso schnell startbar wie eine Dieselmaschine und steht innerhalb weniger Sekunden die mit Batterien überbrückt werden mit Volllast zur Verfügung. Der Konzern rechnet aktuell damit, dass schon in ein bis zwei Jahren das auch preislich die günstigere Option ist, vom Umweltnutzen ganz abgesehen, denn es wird nur grüner Wasserstoff eingesetzt.
Als Fazit bleibt: Ja, die Internetnutzung und die damit verbundene Datenverteilung und Rechenleistung verbraucht viel Energie. Doch der Verbrauch wird weiter zurückgefahren und bei vielen Unternehmen schon heute vielfach vollständig mit Erneuerbaren Energien gedeckt. Die Energiewende der Digitalisierung ist weiter fortgeschritten als die Digitalisierung der Energiewende.