03.07.2020
Die Parteien in der Klimakrise (II): Die Klientel-Parteien FDP und DIE LINKE
Eine Kritik von Götz Warnke
Die deutschen Parteien wirken, so will es das Grundgesetz laut Artikel 21, bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Diese umfängliche und durch höchstrichterliche Urteile ausgestaltete Mitwirkung ist aber nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Verantwortung. Dieser Verantwortung werden die verschiedenen Parteien je nach Thema in unterschiedlichster Maß (nicht) gerecht. Insbesondere im Zusammenhang mit der Klimakrise und den deutschen Verpflichtungen gemäß des Pariser Klimaabkommens vorn 2015 ist von den Klimabewegungen „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ etc. immer wieder der Vorwurf erhoben wurden, keine der deutschen Parteien würde mit ihren Konzepten dem Ernst der Klimakrise gerecht. Dieses ist ein verheerendes Zeugnis angesichts einer Krise, die völlig aus dem Ruder laufen und bis Mitte diesen Jahrhunderts dem größten Teil der Menschheit das Leben kosten könnte. Da sich unser Schicksal mehr am Agieren der Parteien und den daraus resultierenden Folgen entscheidet als an schönen Sonntagsreden und wohlklingenden Parteiprogrammen, sollen im Folgenden die sechs Parteien im Deutschen Bundestag unter die Lupe genommen werden.
Die FDP
„Sie vertritt nicht mehr den Liberalismus mit der selben Durchschlagskraft in seiner gesamten Breite, sondern sie verhält sich wie eine Partei, die für die Interessen des Mittelstandes da ist.“ Diese Sicht auf die FDP stammt nicht etwa von einem notorischen FDP-Gegner, sondern vom angesehenen FDP-Politiker Burkhard Hirsch, 1994 bis 98 Vizepräsident des Deutschen Bundestages (siehe Tagesschau-Nachruf am 12.03.2020, 20:00 Uhr). Ja, und dieses Zitat ist leider wahr. Die FDP ist heute eine Klientelpartei, eine „Partei der Besserverdienenden“, eine Partei, die die Lieder „Steuern senken“ und „mehr netto“ in der Dauerschleife spielt. Zwar vertritt die FDP bei Datenschutz, Demokratie und Rechtsstaat weiterhin liberale Positionen, aber das den breitesten Raum einnehmende Thema ist die Freiheit der Märkte. Diese Marktfreiheit ist längst zu einem ideologischen Konstrukt geronnen, das mit dem Wirtschaftswachstums-Narrativ verbunden, ideologisch überhöht und einseitig interpretiert wird.
Natürlich wissen auch die Liberalen, dass es absolut freie Märkte nicht geben kann: Es hat gute Gründe, warum es keine freien Märkte für Waffen, Kinderpornographie, Rauschgift, gefälschte Arzneimittel etc. gibt, und warum der berufsmäßige Handel mit gestohlenen Waren strafrechtlich unter Hehlerei (§ 259 StGB) fällt. So weit, so gut. Nur liebe Liberale, dass sich dann andererseits die FDP dafür stark macht, dass Klimazerstörung und Eigentumsvernichtung (Extremwetter) im EU-Emissionshandel marktwirtschaftlich verwurstet werden, hat schon Geschmäckle und ist klimapolitisch kontraproduktiv.
Märkte und Wachstum bilden so eine klimapolitisch unheilige Allianz des „Mehr, Mehr!“, besonders wenn man sie unter den Schlagworten Freihandel und Weltwirtschaft, verbunden mit ungedeckten Versprechen eines künftigen Wohlstands für alle, rund um den Globus ausdehnen möchte. Da spielt es dann auch keine Rolle, ob man dabei wie Chinas Präsident Xi Jinping an die Neue Seidenstraße und den damit verbundenen Ausbau chinesischer Weltgeltung denkt, oder wie FDP-Chef Christian Lindner die globale Durchsetzung der Marktwirtschaft im Sinn hat. Eine auf Wachstum ausgerichtete, über unterschiedliche Staats- und Rechtssysteme ausgreifende Marktwirtschaft wird sich immer Orte des möglichst billigen Einkaufs suchen, und dabei aus Konkurrenzgründen oft keine Rücksicht auf Klima (Regenwald-Abholzung), Umwelt (Monokulturen) und Menschenrechte (Lohnsklaven, Landraub) nehmen.
In ihrem Marktfetischismus übersieht die FDP geflissentlich, dass es neben der Freiheit zum Markt (Marktzugang) und der Freiheit am Markt (Vertragsfreiheit) auch noch die Freiheit vom Markt gibt! Also solche Dinge wie Suffizienz, Selbstversorgung aus dem Garten, Eigenerzeugung von Energie, Autarkie, Do-it-yourself, Recht auf Reparatur, Recht auf saubere Umwelt und ein stabiles Klima. Mit diesen wichtigen Formen der Freiheit, die sich dem Marktmechanismus entziehen und den Menschen eine gewisse Autonomie gegenüber der Wirtschaft verleihen, kann die FDP herzlich wenig anfangen. Nein, der Bürger soll – degradiert zum „Verbraucher“ – gefälligst das konsumieren, was ihm Märkte andienen und über die Werbung als erstrebenswert propagieren.
Und so macht sich die Partei im Technikbereich eher für das großindustriell gehätschelte „Multitalent-Wasserstoff“ stark als für die Erneuerbaren Energien und z.B. für Forschungen zu saisonalen Wärmespeichern, mit denen Solarthermie-Besitzer ihre Hauswärme für den Winter speichern könnten. Dabei hat sich die FDP über Jahrzehnte ihrer Regierungsbeteiligungen nicht allzu sehr an marktverzerrenden und marktverhindernden Einflüssen in der Energiepolitik gestört: Das nationalsozialistische Energiewirtschaftsgesetz von 1935, das den Energieversorgern Gebietsmonopole verschaffte, blieb rund 50 Jahre in Kraft; das ebenfalls noch NS-stämmige Bundesberggesetz (BBergG → Reichsberggesetz von 1935 etc.) erlaubt den Braunkohlebaggern bis heute das billige Wegbaggern von Dörfern; die Atomkraft wurde durch universitäre Forschungen und die vom Staat weitgehend übernommene Entsorgung der Abfälle massiv gefördert etc., etc. – der Ruf nach einem freien Energiemarkt erschallte von liberaler Seite fast immer nur dann, wenn es um staatliche Gelder für die Energieautonomie der Bürger ging.
Ein beliebtes Wort der Blau-Gelben bei Energiewende-Themen ist „Technologieoffenheit“, dass hier zwischen „stört sonst meine wirtschaftlichen Interessen“, „will mich mit dem Thema nicht beschäftigen“ und „habe davon nicht die geringste Ahnung“ irrlichtert. Nun gibt es zwar durchaus für manche Probleme mehrere technische Lösungen, aber eine allgemeine Technologieoffenheit gibt es nicht: Man kann nicht mit Hubschraubern und Segelfliegern einen Transatlantik-Linienflugverkehr aufrechterhalten; dazu braucht es vielmehr Flugzeuge oder Luftschiffe. Und man kann auch mit noch so sparsamen und sauberen Diesel-Motoren keinen CO2-freien Straßenverkehr gestalten – Verbrennungsmotoren bleiben Klimakiller. Insofern ist das Gerede von der „Technologieoffenheit“ vielfach eine Verzögerungstaktik, die klimapolitisch notwendige Entscheidungen verhindern soll.
Auch wenn die FDP den menschengemachten Klimawandel nicht leugnet – echtes, bedingungsloses Engagement sieht ganz anders aus. Dabei brauchen der Klimaschutz und die Energiewende einen wirklich liberalen Impetus, eine politische Umsetzung und Verankerung des Rechts, die z.B. solaren Möglichkeiten einer Eigen-Energieerzeugung (Energieautonomie) auch diskriminierungsfrei wahrnehmen zu können, die Verbraucherrechte wie das Recht auf Reparatur auch umfänglich fest zu schreiben.
DIE LINKE
Die Linke ist so etwas wie der politische Gegenentwurf zu FDP auf der anderen Seite des sozialen Spektrums. Während die FDP wohlhabendere, wirtschaftsaffine Kreise adressiert, richtet sich die Linke eher an linke Intellektuelle, abhängig Beschäftigte sowie soziale Unterschichten, von denen Karl Marx einige als „Lumpenproletariat“ bezeichnet hätte. Dieses breite Spektrum hat keine besondere Affinität zu Klimathemen, und so kommt es, dass sich DIE LINKE in Form ihrer ostdeutschen Landesverbände für die klimafeindliche Braunkohle stark macht, was wenig solidarisch gegenüber den jetzt schon von der Klimakrise betroffenen Armen in Bangladesch und Ozeanien ist – von der Solidarität gegenüber künftigen Generationen ganz zu schweigen.
Auch andere Forderungen der Linken sind bei näherer Betrachtung nicht gerade klimafreundlich. So fordert die Partei u.a. einen kostenlosen ÖPNV. Immerhin haben schon Städte durch Einführung eines ticketlosen Nahverkehrs die Auslastung der entsprechenden Verkehrsmittel steigern können. Das hört sich zunächst einmal gut an, doch dabei gibt es einige Denkfehler: zuerst einmal geht es nicht generell darum, die Auslastung des ÖPNV per se zu steigern, sondern möglichst viele Abgas-Auto-Fahrer von den Straßen in die Nahverkehrsmittel zu locken. Und das wird nur geschehen, wenn der Automobilist dort auch (Sitz-)Platz findet. Es ist z.B. einem Zimmermann, der eh schon auf schlecht per ÖPNV erreichbaren Arbeitsstellen in Neubauvierteln arbeitet, nicht zuzumuten, dass er nach seiner körperlich anstrengenden Arbeit keinen Sitzplatz in Bus und Bahn findet, weil dort bereits alles voll ist mit solchen „Zeitreichen“ wie Schülern, Rentnern, Arbeitslosen, die nur aus Spaß und Langweile durch die Gegend fahren, weil es halt kostenlos ist. Der nächste Denkfehler: mag der Energieverbrauch pro Person geringer sein als beim PKW, so steigt er auch im ÖPNV mit zunehmender Personenzahl; müssen zudem wegen der höheren Auslastung weitere Nahverkehrsmittel angeschafft werden, so entstehen weitere CO2-Emissionen für deren Herstellung. Der ÖPNV ist also keineswegs klimaneutral. Daher ist es sinnvoll, den Zugang über Fahrpreise zu limitieren und so ausufernde Freizeitnutzungen einzudämmen.
Ebenfalls wenig klimafreundlich sind die sozialpolitischen Forderungen nach einer höheren, sanktionsfreien Mindestsicherung statt Hartz IV, nach einem höheren Mindestlohn oder nach 1.500 Euro Corona-Hilfe für Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland.
Es ist zwar verständlich, dass die Linke als Klientelpartei versucht, ihren Anhängern finanzielle Vorteile zukommen zu lassen – wie es ja auch die FDP mit ihren Steuersenkungsforderungen tut – , aber es ist klimapolitisch kontraproduktiv, da solche „Geldgeschenke“ den Konsum anheizen und dadurch die Klimazerstörung fortschreiben. Völlig inakzeptabel ist der immerwährende Kampf der Linken gegen die Schuldenbremse in den Staatshaushalten, da mit den Schulden und der Schuldentilgung die Fridays-for-Future-Generation zusätzlich belastet wird, die eh schon die Folgen unseres opulenten Lebensstils zu tragen hat. Auch wenn es manche Linke schmerzt: Klimapolitik einerseits und Sozial- bzw. Klientel-Politik andererseits passen nicht immer zusammen.
Dabei müsste es für den Klimaschutz eine linke Partei in Deutschland geben, die darauf verweist, dass die Reichen mehr CO2 erzeugen als die ärmere Bevölkerung, dass CO2-Steuern für alle Lebensbereiche gelten müssen, und dass man ggf. auch zu einer Rationierung der CO2-Emissionen pro Person kommen muss. Die Partei müsste aber auch den Mut haben zu sagen, dass „sozial nicht vertretbar“ kein wirkliches Argument bei der Überlebensfrage Klimaschutz ist, und dass bei einer großen Vermögensumverteilung zuerst einmal die wirklich Armen in der „Dritten Welt“ zum Zuge kommen müssten (internationale Solidarität), und nicht die eigene Klientel.
Fazit
Sowohl die FDP als auch DIE LINKE sind Klientel-Parteien, die Klimaschutz nur soweit betreiben, wie er ihrer Anhängerschaft (finanziell) zugutekommt. Eine „Klimaschutz-first-Politik“ ist von ihnen daher nicht zu erwarten. Dennoch könnten aus beiden Parteien durchaus mehr wichtige Ansätze zum Klimaschutz kommen, als es derzeit der Fall ist.
Teil I: Die Volksparteien SPD und CDU
Teil II: Die Klientel-Parteien FDP und DIE LINKE
Teil III: Die Gesinnungs-Parteien AfD und GRÜNE
Teil IV: Schlussfolgerungen