13.04.2018
Nichts hält sich so lange wie die Mär von der führenden Rolle bei der Energiewende
„Deutschlands Städte, so auch Berlin, gehen bei der Umstellung ihrer Bus-Flotten auf emissionsfreie Antriebe in die Offensive.“ Mit diesen markigen Worten beginnt eine Pressemitteilung der TU Berlin vom heutigen Donnerstag, in der sie zusammen mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), Siemens und Schneider Electric über eine „innovative Ladetechnik für Elektrobusse und deren Einbindung in ein intelligent gesteuertes Stromnetz“ berichtet. Es sei ein Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 9,5 Mio. Euro geförderten Projekts Mobility2Grid (M2G) auf dem EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg, wo an diesem 12. April 2018 eine Schnellladestation (150 kW) in Betrieb genommen wurde. Sie stelle die neueste Entwicklung von Siemens auf dem Gebiet der Hochleistungsladesysteme für Elektrobusse dar.
Liest man diese Pressemitteilung, so entsteht der Eindruck, die deutsche Forschung stehe in Sachen Elektromobilität irgendwie an der Spitze der Entwicklung. Nicht dass wir die Pressearbeit der TU Berlin niedermachen wollen. Sie steht lediglich exemplarisch dafür, wie beim Thema Energiewende und Elektromobilität an der Realität vorbeigeschrieben wird. Während die Berliner BVG seit Anfang September 2015 auf der Linie 204 zwischen Bahnhof Zoo und Bahnhof Südkreuz fünf Elektrobusse „testet“, sind in anderen Ländern und Regionen der Erde solche Gefährte seit Jahren im harten Linieneinsatz. So stellte im letzten Monat die Transport for London (TFL) bereits die vierte Stadtroute auf Elektrobusse um. Dabei setzt TFL weitere elf Busse der chinesischen Shenzhen-Firma Build Your Dreams (BYD) ein. Sechs Jahre hatten sich deren Busse bereits auf drei Linien als zuverlässig erwiesen.
Nachdem in Berlin im dritten Jahr „getestet“ wird, will der Rot-Rot-Grüne Senat nun ernst machen und eine größere Stückzahl der E-Busse einführen. Allerdings trifft er, ähnlich wie in Großbritannien, auf eine vergleichbar unglückliche Situation. Da British Leyland als letzter wichtiger Eigenhersteller seit 1993 bankrott ist, blieb den Briten nichts anderes übrig, als chinesische Elektrobusse zu kaufen. Europas Marktführer Mercedes und MAN konnten nichts bieten, weil sie gar keine Elektrobusse im Angebot haben. Der Berliner Senat sei enttäuscht über die Resonanz deutscher bzw. europäischer Omnisbushersteller, so ein Bericht des Inforadio des RBB. Der bisherige Lieferant der BVG, die polnische Firma Solaris aus Posen, sei nicht in der Lage eine größere Stückzahl in einem vertretbaren Zeitraum zu liefern.
Weit über 300.000 Stück dagegen verkauften chinesische Hersteller seit 2011 – alle aus eigener Produktion. Alle 16.500 Busse in BYD‘s Heimatstadt Shenzhen fahren seit Dezember 2017 elektrisch. Das sind fast dreimal so viele, wie New York mit sämtlichen Antriebskonzepten zusammen vorweisen kann. Deutsche Kommunen betreiben mit insgesamt 22.000 Bussen, die fast durchweg dieselgetrieben sind, auch nicht viel mehr. Aber BYD hat starke Konkurrenz. YUTONG aus der Siebenmillionen-Stadt Zhengzhou, global der größte Bus-Bauer, lässt seit 2016 seine Elektrobusse in Paris testen.
Während in Berlin der Gedanke an einen Einkauf in China bislang strikt bei Seite geschoben wurde, oder geschoben werden musste – in Berlin ist das Dieselmotorenwerk von Daimler Benz einer der größten Arbeitgeber und Steuerzahler – deutet sich unter dem Druck möglicher Fahrverbote für Dieselfahrzeuge nun ein Umdenken an. Demnächst soll eine Delegation des Berliner Senats und der BVG nach China fahren und sich die dortige Elektromobilität anschauen. Ob daraus gleich eine Kauforder wird, bleibt abzuwarten. Aber da in vielen deutschen Verkehrsbetrieben die gleichen Überlegungen angestellt werden, reichen weder die geringen Kapazitäten europäischer E-Busbauer aus, noch dürften sie in der Lage sein, Preise wie die chinesischen Hersteller zu anbieten. Das ist eine schlichte Frage der „economy of scale“. Je höher die Stückzahlen, desto günstiger die Produktion.
Die Offensive, von der die Pressemeldung der TU Berlin fabuliert, ist denn auch keine. Bei Lichte besehen sind zum einen die deutschen Verkehrsbetriebe in einer argen Klemme, denn auch ihre traditionellen Lieferanten Mercedes und MAN könnten, so sie endlich die gewünschten Produkte im Portefolio hätten, ihre Produktion nicht so schnell hochfahren. Ganz abgesehen von den Preisen aus China, mit denen sie konkurrieren müssten. Zugleich hat die Diskussion über Feinstaub, Dieselabgase und Fahrverbote die prekäre Situation der deutschen Omnibusbauer innerhalb kürzester Zeit offen gelegt. Sie sind weder in der Offensive, noch haben sie bisher etwas mit der globalen E-Mobilität zu tun. Die Weltmarktführer sind längst keine mehr, sie sind gnadenlos abgehängt. Das gilt im Prinzip auch für die Fragen der Ladeeinrichtungen und deren Lieferanten. Eine Situation wie bei der Energiewende insgesamt.
Doch auf den ÖPNV dürfte sich das Dilemma nicht beschränken. Das, was heute bei den Elektrobussen aufpoppt, schwelt als latente Krise auch in den anderen Bereichen der Automobilindustrie. Die deutschen „Premiumhersteller“ haben den asiatischen Auto- und vor allem Batteriebauern nichts entgegen zu setzen. Sie haben viel zu lange den Zusammenhang zwischen Photovoltaik, innovativer Batterieentwicklung und E-Mobilität verdrängt. Und wenn man die Äußerungen der neuen Bundesregierung hört, dürfte sich daran nichts ändern. Das Festhalten an den alten rohstoffbasierten Industrien und deren Produkten ist in Deutschland noch längst nicht zu Ende. Ein Verständnis über die neuen, Bit-basierten Technologien fehlt dieser Regierung wie auch ihrer Administration. Aber die Disruption im Automobilbau steht unmittelbar vor der Türe, die Malaise bei den E-Bussen ist der direkte Vorbote. Und es scheint auch kein Zufall zu sein, dass am heutigen Donnerstag der VW-Aufsichtsrat eine neue Führung bestimmt hat.