31.05.2019
Energiestrategien des NABU
Rund ein Jahr nach dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) mit seiner Position Nr. 66 „Konzept für eine zukunftsfähige Energieversorgung“ [1], war auch die Studie des Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) mit dem Titel „Strategien für eine naturverträgliche Energiewende“ [2] im November 2018 fertig, brauchte aber noch sechs Monate, bis sie Ende Mai "das Licht der Welt erblicken durfte". Der Grund dafür dürfte im internen Abstimmungsprozess beim NABU liegen, denn diese Studie ist kein „hausgestricktes“ Produkt wie beim BUND, sondern wurde vom NABU beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH [3] in Auftrag gegeben. Und: viele darin enthaltene Thesen haben es aus Sicht des konventionellen Naturschutzes „in sich“!
Die Studie kommt im Gewande einer wissenschaftlichen Metaanalyse daher. Daher ermittelt sie nach einer kurzen Einleitung zuerst sinnhafterweise in Kapitel 2. die bereits vorhandenen, aktuellen (d.h. 2015 oder später erschienenen) Studien zum Energie- und Klimaschutz, wobei sie sich dann exemplarisch auf fünf ausgewählte Energieszenarien beschränkt (S. 8-26). Bei deren Vergleich werden wichtige Aspekte wie Effizienz, Suffizienz, Elektrifizierung bisher CO2-emittierender Sektoren, Einsatz der Erneuerbaren Energien, Einfuhr CO2-freier Energieträger aus anderen Ländern und CCS-Einsatz in der Industrie herausgearbeitet. Es folgt die tabellarische Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse aus der Szenario-Metaanalyse mit Blick auf Nutzung zentraler Klimaschutzstrategien im Horizont des Jahres 2050. Daraus abgeleitet werden drei zentrale Erkenntnisse:
- A) Die Energiewende in Deutschland muss erheblich schneller umgesetzt werden als in den vergangenen Jahrzehnten.
- B) Die energiepolitischen Klimaschutz-Strategien sind bei vielen Szenarien unterschiedlich, was teilweise auf die unterschiedlich großen Minderungsziele bei den Treibhausgasen (THG) zurückzuführen ist.
- C) Je stärker die THG-Minderungsziele einer Studie sind, desto vielfältiger sind auch die dort einzusetzenden Klimaschutzstrategien, wenngleich die einzelnen Strategien in je unterschiedlicher Intensität eingeplant werden.
Im dritten Kapitel (S. 27-57) unternimmt dann das Wuppertal Institut die „Darstellung und Diskussion potenziell naturverträglicher Klimaschutzstrategien“. Neben die bereits in Kapitel 2. aufgeführten und jetzt unter dem Gesichtspunkt „naturverträglich“ betrachteten Strategien wie Effizienz, Suffizienz etc. treten „Stärkere Nutzung von Photovoltaik anstatt von Windenergie“ (S. 27 f.) und „Stärkere Nutzung anderer Erneuerbarer Energien anstatt von Biomasse“ (S. 35 f.) sowie „Förderung natürlicher Senken“ (S. 50 f.) und „Kreislaufwirtschaft und Materialsubstitution“ (S. 55 f.). Die Punkte werden jeweils eingehend diskutiert, einzelne Aspekte hervorgehoben und detailliert abgewogen, Befürchtungen und Forschungsdesiderate werden benannt. Das alles geschieht wissenschaftlich nüchtern und mit dem Blick für Details. Etwa wenn PV und Windenergie in verschiedenen Leistungsszenarien bezüglich ihres Naturimpakts als auch ihrer Kosten gegen einander abgewogen werden, ohne eine Energieform zu verdammen. Das geschieht beispielsweise, indem die höhere Reduktion von Treibhausgas-Emissionen (THG) durch CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) in der Stahl- und Zement-Industrie (nicht bei Kraftwerken!!) im Gegensatz zum Einsatz von Ökostrom aufgezeigt wird, oder wenn neben den ökologischen Vorteilen der Pflanzenkohle auch die Vorteile ihrer Herstellung im großtechnischen Maßstab aufgeführt werden.
Im 4. Kapitel „Fazit und Schlussfolgerungen“ (S. 58-63) bekräftigt das Papier, dass eine Reduktion der THG Deutschlands bis 2050 um mindestens 85% und bis zu 100 % gegenüber dem Stand von 1990 grundsätzlich möglich ist. Wenn es gilt, dabei den naturverträglichsten Pfad zu finden, so bleibt die Ermittlung der THG bei verschiedenen, potentiell naturverträglichen Wegen im Vergleich schwierig und innerhalb dieser Studie nicht auflösbar (Forschungslücken). Allerdings könne man mit Hilfe einer „Multikriterienanalyse“ (MCA) die aus Sicht eines Naturschutzverbandes wichtigen, im 3. Kapitel diskutierten Strategien bewerten. Dazu werden sechs Kriterien aufgeführt und anhand ihrer Strategien tabellarisch bewertet: Naturverträglichkeit, Ressourcenschutz, hohe Umsetzungsgeschwindigkeit, Gesellschaftliche Akzeptanz, geringe Kosten sowie Unabhängigkeit vom Ausland. Das Ergebnis ist, dass es „eine Reihe von Klimaschutzstrategien gibt, die ... keine oder vergleichsweise geringe negative Auswirkungen auf die Natur hätten und gleichzeitig ... relevante Beiträge zum Erreichen ambitionierter THG-Minderungen beisteuern können“ (S. 61).
Als aus Naturschutz-Sicht besonders vorteilhafte Strategien hebt das Wuppertal-Institut Energieeffizienz, Verbreitung von suffizienteren Lebensstilen, verstärkte Nutzung von Photovoltaik sowie die Förderung natürlicher Senken hervor. Aber auch andere Strategien werden, obgleich mit gewissen Unsicherheiten behaftet, nicht gänzlich verworfen: Import von erneuerbar erzeugtem Strom bzw. auf Basis Erneuerbarer Energien erzeugter synthetischer Energieträger sowie Einsatz von CCS im Industriesektor. Warum in diesem Absatz allerdings der Punkt „Kreislaufwirtschaft und Materialsubstitution“ nicht mehr auftaucht bzw. zugeordnet wird, bleibt unerfindlich.
Als wichtige Ergebnisse dieser Metastudie führen die Autoren nochmals auf: eine 100%ige Reduktion der Treibhausgas-Emissionen gegenüber 1990 ist möglich, die Flächen für einen naturverträglichen Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE) in Deutschland sind vorhanden, bestimmte, besonders naturverträgliche Strategien können dabei stärker in den Fokus rücken. Die Energiewende im Sinne eines völligen Umstiegs auf EE bleibt dabei die zentrale Strategie, die sich in ihrer Naturverträglichkeit durchaus optimieren lässt, „ohne in Bezug auf das Hauptziel des Klimaschutzes Kompromisse eingehen zu müssen“ (S. 63). Es folgen abschließend als Punkte 5. und 6. ein 15seitiges Literaturverzeichnis (S. 65-79) und ein fast ebenso langer, lesenswerter Anhang.
Fazit
Die vom NABU beauftragte und vom Wuppertal Institut verfertigte Studie „Strategien für eine naturverträgliche Energiewende“ ist eine gut gemachte, wissenschaftlich fundierte Ausarbeitung zum Thema, die sich wohltuend von den entsprechenden Positionspapieren anderer Naturschutzverbände [4] abhebt. Sie beleuchtet das Thema umfänglich und scheut sich nicht, trotz der Kürze auf unter 100 Seiten ins Detail zu gehen. Generell werden auch Punkte ausführlich behandelt, die Naturschutzverbänden normaler Weise „schwer auf dem Magen liegen“: Notwendigkeit der Onshore-Windenergie, Energieimporte insbesondere synthetischer Energieträger und CCS im Industriesektor.
Bei allem Positiven gibt es natürlich unvermeidlich auch einige Kritikpunkte: So wird Solarthermie nur als saisonale Ergänzung zur Reduktion des Biomassebedarfs angesehen als auch das Wärmepumpen in Kombination mit Strom erzeugenden Erneuerbaren Energien insgesamt effizienter seien. Jenseits der bei deutlichen Minustemperaturen in Zweifel zu ziehenden Effizienz von Wärmepumpen sprechen die Beispiele der großen Freiflächen-Solarthermieanlagen als Hauptheizungen in unserem Nachbarland Dänemark eine deutlich „andere Sprache“. Mag in manchen Ballungsräumen für solche Großanlagen teilweise der Platz dafür fehlen, so ist er in Flächenländern wie z.B. Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt hinreichend vorhanden.
Weiterhin bleiben auch in dieser Studie die Potentiale einer fischfreundlichen, nicht die Flüsse verbauenden Wasserkraft ebenso unberücksichtigt wie Gezeiten-, Meeresströmungs- oder Wellenenergie. Wenngleich deren Potentiale bei weitem nicht an die der PV und Windenergie heranreichen, so sind sie doch vielfach wegen ihrer hohen Volllaststunden/Jahr [5] grundlastfähig. Angesichts der immer bedrohlicher werdenden Klimakrise ist es nicht möglich, auf den Beitrag einzelner EE-Arten grundlos zu verzichten.
Insgesamt jedoch ist es dem NABU hoch anzurechnen, dass er eine solche, die eingefahrenen Naturschutzpositionen z.T. verlassende Studie unter seinem Namen publiziert hat, und damit auch Konflikte in der eigenen Mitgliedschaft riskiert. Dies beweist nicht nur viel Mut und ein Vertrauen in die Rationalität bzw. Sinnhaftigkeit der Wissenschaft, sondern auch, dass man den Ernst der Klimakrise wirklich erkannt hat.
Götz Warnke
[1] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/bund/position/zukunftsfaehige_energieversorgung_position.pdf
[2] https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/energie/190514_strategien_energiewende_nabu.pdf
[3] https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/4752/
[4] https://www.dgs.de/news/en-detail/240519-der-bund-ev-bremser-der-energiewende/
[5] http://www.dwa.de/portale/ifat/ifat.nsf/C125734C003E2A55/0E6BCB514ED4F954C12577AD005481BF/ $FILE/pp-ruprecht.pdf