28.01.2022
Hat die TAZ sie nicht mehr alle?
Ein Kommentar von Heinz Wraneschitz
Am Dienstag dieser Woche hatte die achsolinke und nachhaltige Tageszeitung, kurz taz, diesen „Debattenbeitrag“ auf die Onlinemenschheit losgelassen: „Mut zum Befreiungsschlag“ steht obendrüber, und als Untertitel: „Der Anti-AKW-Katechismus hat ausgedient.“
Dass Anna Veronika „Vero“ Wendland auf ihrer Facebookseite jubelt, obwohl ihr „Artikel in der taz die Wellen der Empörung hochschlagen“ lässt, muss nur verwundern, wenn man die Dame nicht kennt. Denn bekanntlich sind für publicitysüchtige Menschen auch schlechte Nachrichten gute Nachrichten – und Kritik befeuert das Interesse ja nur.
Auf 6.000 Zeichen lassen die tazzer*innen die habilitierte Doktorin für „Historische Kernforschung“ für die Fortsetzung der tollen, geilen Atomkraft werben. Weil hierzulande der Großteil der Bevölkerung das nicht so sieht wie die Autorin, hat bekanntlich der Gesetzgeber 2011 das endgültige Aus für die „friedliche Nutzung der Kernkraft“ zumindest in diesem unserem Lande besiegelt. Ende dieses Jahres geht der letzte Meiler aus.
Weinen wegen Wendland
Eigentlich müsste ich weinen wegen Wendland. Denn sie forschte „für ihre Habilitationsschrift über die kerntechnische Moderne mehrere Jahre lang in AKWs“, ist zu lesen. Ja hat sie dort wirklich nicht gemerkt, wie die Atombetreiber Störfälle systematisch verharmlosen? Dass bis heute das Endlagerproblem weltweit – wenn überhaupt – nur in Finnland halbwegs anständig gelöst scheint? Im taz-Beitrag schreibt sie beispielsweise: „Es gibt einen hohen Forschungskonsens über die Art und Weise einer guten tiefengeologischen Langzeitlagerung, kein Anlass also, das Atommüllproblem zu überhöhen. … Nach Verschluss des Lagerbergwerks gibt es ein Recht auf Vergessen, die Geostrukturen übernehmen die Wächterfunktion.“ Heißt also wohl: Das Endlager wird in sich zusammenbrechen, aber scheiß drauf, wir merken es ja nicht gleich.
Dass dieses Wissen nun ausgerechnet die taz zum Besten gibt, dürfte die Atomlobby freuen. Denn vielleicht kann die ja noch mehr Geld für einen noch teureren Bau des Endlagers akquirieren, als bisher im Raum steht. Zahlen werden es ja eh wir Bürger*innen – dank des Milliarden-Spardeals der Atomkraftwerksbetreiber mit der Bundesregierung.
Im Hintergrund bei Nuklearia
Zugegeben: In einer Führungsposition ist Wendland bei Nuklearia nicht, diesem Atomlobbyverband, der immer noch behauptet, dass „Umweltschutz mit Kernenergie“ erreichbar wäre. Das langwirkende Gift der Technologie verschweigt Nukleraria lieber. Aber eines kann man selbst dort nicht verschweigen: Anna Veronika Wendland war bis zum Sommer 2021 Teil des Vorstands dieses e.V. Und sie werde „als aktives Mitglied dem Verein auch künftig mit ihrer Expertise zur Verfügung stehen“, heißt es. Sie selbst erklärt aber, sie sei "im November 2021 ausgetreten".
„Weder Fukushima noch Tschernobyl waren auf die deutschen Anlagen und ihr robustes Sicherheitskonzept übertragbar“, schreibt Wendland in der taz. Das mag für Tschernobyl stimmen.
Aber ich erinnere mich an die trinationalen UPTF-TRAM-Forschungen, von denen bis heute nur wenige Unterlagen verfügbar sind. Nach meiner Meinung sah einer der Versuche (der nicht online verfügbar ist) aus den 1990er Jahren die Möglichkeit nahezu 100-prozentig voraus, der mit 2011er GAU von Fukushima Wirklichkeit wurde. Die TAZ-Autorin meint mit vielen anderen Unterlagen das Gegenteil belegen zu können - mich überzeugt das jedenfalls nicht.
„Follow the science“: Ausgerechnet Wendland fordert das. Eigentlich sollte die Historikerin in der Rückschau auf die seit etwa 70 Jahren laufende so genannte friedliche Kernkraftnutzung wissenschaftlich eindeutig fordern: Aus die Maus. Aber nein, sie zieht sogar die echt nachhaltigen Aktivitäten von Fridays for Future ins Lächerliche, indem sie wörtlich schreibt: „Wollte Luisa Neubauer wirklich einen spektakulären klimapolitischen Move, dann müsste sie sich mit Greta Thunberg vor dem AKW Isar 2 anketten und für seine Laufzeitverlängerung streiken.“
Ein Kommentar von Frank Stippel auf der taz-Seite trifft genau, wie es mir beim Lesen auch zunächst erging: „Ich bin davon ausgegangen, dass das ein Kommentar aus der Kolumne >Wahrheit< sei. Offenbar ist das aber ernst gemeint.“ Das ist einer jener Kommentare, über die sich Anna Veronika Wendland offensichtlich teuflisch gefreut hat.
Ja, es ist gut, wenn Zukunftsorientierte nicht nur auf Konfrontation mit Reaktionären gehen, sondern auch mit ihnen reden. Aber musste das ausgerechnet diese Frau Wendland sein, die sich im Sommer 2019 in der – wie schreib ich das jetzt – sehr sehr rechten „Junge Freiheit“ auslassen durfte?
Ich fasse es deshalb so zusammen: Sag mal taz, hast Du sie noch alle?
Ergänzende Anmerkung: Dieser Beitrag wurde nach mehreren Telefonaten zwischen mir (Heinz Wraneschitz) und Frau Wendland korrigiert. Doch an der Grundaussage meiner TAZ-Kritik ändert sich nichts.