27.11.2020
E-Fuels besser als E-Autos?
Eine Kritik von Götz Warnke
Studien zum klimaneutralen Autoverkehr der Zukunft gibt es viele - mal fundierte, mal originelle, mal kuriose, mal peinliche. Gerade kürzlich hat der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) eine solche vorgelegt, nach der auch die "gute" alte fossile Verbrennertechnik noch das Potential habe, deutlich zur CO2-Reduktion in der Mobilität beizutragen. Die u.U. schon von Autoabgasen benebelten Ingenieure haben dabei übersehen, dass es bei der bereits heute stattfindenden Klimakrise nicht mehr um eine CO2-Reduktion in der Mobilität, sondern um eine CO2-freie Mobilität geht. Und die ist mit Fossil-Fahrzeugen nun mal nicht machbar. Kein Wunder also, dass die automobile "Zukunftsmusik" heute eher bei Tesla und nicht mehr bei Audi, BMW oder Mercedes spielt.
Da scheint es für viele Vertreter der Automobil-, Zuliefer- und Mineralöl-Industrie ein Ausweg oder zumindest ein Aufschub zu sein, auf E-Fuels/PtL zu setzen, also auf Kraftstoffe, die aus Erneuerbaren Energien hergestellt wurden. Denn das würde bedeuten, dass man praktisch im gesamten Fahrzeugsektor (Motorenbau, Tankstellen-Infrastruktur) so weiter machen könnte wie bisher, nur dass bei den Erdölunternehmen große Solarkraftwerke und Synthese-Anlagen an die Stelle der Bohrtürme und Raffinerien treten würden.
Und so haben in diesem Herbst der Mineralölwirtschaftsverband (MWV) und Uniti, der Verband mittelständischer Mineralölunternehmen, eine 80seitige Studie mit dem sperrigen Titel "Der Effizienzbegriff in der klimapolitischen Debatte zum Straßenverkehr" präsentiert, die vom Beratungsunternehmens Frontier Economics für sie erstellt wurde. Das Ergebnis der Frontier-Studie: Bei einer Gesamtbetrachtung Well-to-Wheel ist der Effizienzunterschied zwischen E-Fahrzeugen und E-Fuel-Fahrzeugen gering. Während die Gesamteffizienz bei batteriegetriebenen Elektro-Autos (BEV) bei 13 bis 16% liegt, landen ICEV (Internal Combustion Energy Vehicles), sofern sie mit E-Fuels betrieben werden, bei 10 bis 13% !
Die Gründe sind im Wesentlichen folgende:
- Wegen der guten Transportfähigkeit (z.B. Tankschiff) der strombasierten Kraftstoffe (z.B. Methanol) können diese rund um den Globus an Stellen produziert werden, die einen optimalen Ertrag an Erneuerbaren Energien liefern, also z.B. Marokko (Sonne+Wind) oder Patagonien (Wind).
- Deutsche Standorte produzieren deutlich weniger Erneuerbaren Energien, z.B. nur 40% des PV-Ertrags von Anlagen in Nordafrika. BEV sind wegen ihrer an Stromleitungen gebundenen Energieversorgung auf ortsnahe, weniger ertragreiche Standorte angewiesen.
- Zwar erzeugen beide Pfade Energieverluste beim Transport, aber die Verluste der saisonalen Speicherung (ertragreicher Sommer → ertragsarmer Winter) und die Ladeverluste (beim Schnellladen) sind ausschließlich ein Problem beim BEV. (S. 27, 38)
- Die Innenraumklimatisierung insbesondere im Winter stellt für BEV ein besonderes Problem dar, während Verbrenner-Fahrzeuge (ICEV) einfach die Abwärme ihrer Motoren nutzen.
Soweit in Kürze die wichtigsten Argumente. Man könnte sich nun mit dem - angeblich - knappen "Sieg" der E-Mobilität begnügen oder einfach die vielfach belegten Gegenpositionen aufführen, wie hier z.B. aktuell vom Umweltbundesamt, das für eine 100-km-PKW-Fahrt 18 kWh für E-Motoren und 115 kWh für Verbrenner mit E-Fuels veranschlagt. Dennoch lohnt es sich, die Einseitigkeiten und Ausblendungen der Frontier-Studie en Detail zu betrachten:
Da sind zum einen die Wirkungsgrade der Motoren: Die Studie geht von einer Elektromotor-Effizienz von ca. 85 bis 90%, sowie einer Effizienz bei Ottomotoren von 25% bis 35% und bei Dieselmotoren von 35% bis 45% aus (S.24). Beim E-Motor stützt sie sich auf ein Papier des Umweltbundesamtes von 2015 (dort S. 22), das sich wiederum auf noch ältere Papiere von 2009 bzw. 2010 stützt, sowie auf eine aktuelle Veröffentlichung des ADAC, die allerdings "von über 90 Prozent" spricht. Die ab 2015 in Europa zulässigen E-Motoren in der Nennleistungsklasse 7,5 bis 375 kW - beides trifft auf heutige E-Autos zu - müssen allerdings der Effizienzklasse IE3 entsprechen, d.h. sie haben einen Wirkungsgrad von zumindest ca. 94%. Dagegen sind die angegebenen Wirkungsgrade bei den Verbrennern allenfalls theoretisch erreichbar; im Alltagsverkehr mit seinen Ampeln, Staus und Sprints kommen Verbrenner kaum über 20% Effizienz.
Die höheren Energie-Erträge an Standorten wie Patagonien oder Marokko gegenüber solchen in Deutschland sind im Allgemeinen sicher richtig, jedoch nur von eingeschränkter Bedeutung: die Erträge der norwegischen Windparks, die mit Floating-Offshore-Windkraftanlagen massiv ausgebaut werden sollen, stehen den Erträgen in Patagonien keinesfalls nach. Zudem besteht mit NordLink bereits ein relativ verlustarmer Anschluss Deutschlands ans norwegische Netz, dem weitere folgen werden.
Selbst wenn die deutschen Standorte beim Ertrag im Nachteil sind - beim Laden des E-Autos mit Solarstrom vom eigenen Dach oder Windstrom von der eigenen Wiese entfallen zumindest die Transportverluste, die Frontier mit 5% angibt. Zudem wird die Masse der E-Autos zuhause mit Netzsteckern geladen, so dass die Ladeverluste gering sind. Und auch die Speicherverluste durch saisonale Speicher lassen sich durch ein intelligentes Speicher- bzw. Lademanagement verkleinern.
Bleibt das Klimatisierungs-Problem des BEVs, besonders im Winter. Das ist zweifellos vorhanden, wie auch die Akkus bei Frost schlechter laden und rekuperieren. Nur, ein Winterproblem haben die Verbrenner auch. Dort muss der Motor erst einmal warm werden, d.h. das Motor-Öl - nicht das sich sehr viel schneller erwärmende Kühlwasser - muss ca. 80 bis 85° C erreichen. Das dauert je nach Ölmenge, Fahrweise und Außentemperatur eine ganze Weile. Bei Wintertemperaturen ist eine Fahrstrecke von mehr als 20 km zur Erwärmung nicht ungewöhnlich, zumal die Innenraum-Heizung dann dem Motor zusätzlich Wärme entzieht. Vor dem Erreichen der Öltemperatur hat der Motor einen erhöhten Verschleiß und einen gewaltigen Verbrauch, so dass alle offiziellen Verbrauchsangaben zu reinen Märchenstunden werden. Was die meisten Autofahrer nicht wissen: der durchschnittliche deutsche Pendler legt täglich 38 km (19 km hin, 19 km her) zurück - d.h. im Winter erreicht der Verbrenner-Motor kaum die richtige Betriebstemperatur.
Doch ein Verbrenner hat auch im warmen Sommer ein Temperatur-Problem: dann nämlich muss ein kräftiger Ventilator am Kühler dafür sorgen, dass das Kühlwasser nicht zu kochen anfängt, und das kostet Energie.
Schließlich: das Thema Rekuperation, die Rückgewinnung der Bewegungsenergie des E-Autos beim Bremsen und Verlangsamen, fehlt hier vollständig - klar, Verbrenner können das nicht, und es verschafft E-Autos einen Effizienzvorsprung.
Bleibt eigentlich nur noch die Frage, warum die Mineralölverbände ausgerechnet das Beratungsunternehmens Frontier Economics mit diesem Effizienzvergleich im Straßenverkehr beauftragt haben; immerhin wären auch verschiedene universitäre Institutionen wie z.B. die ETH Zürich bzw. das Paul-Scherrer-Institut, das Department of Mechanical Engineering der TU Eindhoven oder die RWTH Aachen dazu in der Lage gewesen, um nur sehr wenige zu nennen. Ein vielleicht nicht unwesentlicher Grund für die Verbände: sowohl Frontier Economics als auch speziell der Studienautor Dr. Perner haben sich in der Vergangenheit mehrfach für PtX im Allgemeinen als auch für E-Fuels im Speziellen stark gemacht. Ob die Mineralölverbände von einer Universität eine ebenso schön einseitig-positive Studie erhalten hätten, darf bezweifelt werden.