20.12.2019
Der E-Auto-Aufwisch – Anmerkungen, Auslassungen, Aberwitziges zum Jahresende
Jahresende – Zeit zurück zu blicken, gerade auch beim Thema Elektromobilität. Die DGS-News haben 2019 über viele relevante Entwicklungen und Ereignisse berichtet, aber manche Themen sind auch „unter dem Radar“ geblieben, etwa weil es gleichzeitig Wichtigeres zu melden gab. Und manches an Gedanken, Interessantem und Lektüreperlen rechtfertigte von seinem Umfang her keinen eigenen Artikel, ist aber doch im Jahresrückblick eine Anmerkung wert. Gehen wir also auf die Reise durch das Jahr 2019, dem letzten des letzten Jahrzehnts, in dem Fossil-Fahrzeuge das Autobild bestimmen. Und nehmen wir eine große Portion Humor und Ironie mit, denn anders sind die Ergüsse vieler Fossil-Fahrzeug-Fans kaum auszuhalten.
Meinen ersten News-Artikel des Jahres verfasste ich über die kruden Äußerungen des Astrophysikers und Naturphilosophen Prof. Dr. Harald Lesch zum E-Auto. Leschs besondere Leistung: er erschuf eine „Querfront“-Bewegung der E-Auto-Gegner. Von rechts außen bis links außen nahmen alle Feinde der Elektromobilität auf ihn Bezug. Was mir so überhaupt noch nicht bewusst war: Lesch und seine E-Auto-Ablehnung würden mich das ganze Jahr 2019 in Form von Zitaten oder Bezugnahmen begleiten.
Nur eine Woche später wagte ich einen E-Auto-Ausblick auf 2019. Die Auswahl der Fahrzeuge missfiel einigen E-Auto-Fans, die ihre künftigen Lieblings-Modelle dort nicht wiederfanden. Es wurde ein hartes Jahr für die Fans, denn die Modelle kamen tatsächlich nicht heraus, und werden wohl auch 2020 keinen Kilometer öffentlichen Asphalts unter die Räder nehmen – drücken wir mal die Daumen für 2021.
In meinem Messebericht über die internationale Grüne Woche in Berlin stand zu dem mit Agrarsprit angetriebenen Flachs-Faser-Porsche auf dem Stand der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) der andernorts offensichtlich anstößige Satz: „Wenngleich es sich bei diesem Auto um ein Fossil-Fahrzeug handelt,...“ Ja, liebe „Biokraftstoff“-Fans: solange Eure Pflanzen mit Kunstdünger aus braunem Wasserstoff gepampert, mit Pflanzenschutzmitteln aus der konventionellen Agrochemie freigespritzt und mit Dieseltraktoren geerntet werden, sind das nur fossil-geförderte Agrarkraftstoffe – und keine Biokraftstoffe!
Messen bieten ja oft nicht nur interessante Überblicke, sondern auch überraschende Einblicke in eine Branche – so auch der Genfer Automobilsalon, insbesondere, was die Zunft der Autodesigner anbelangt. Da werden E-Autos immer noch mit völlig überflüssigen langen Motorhauben und großen Kühlergrills gezeichnet, obwohl gerade die E-Mobilität die Möglichkeit zu kompakter Bauweise bietet, die Größe der Wendekreise und des beanspruchten Straßenraums reduzieren hilft. Manche Auto-Designer haben es offensichtlich noch nicht begriffen – oder arbeiten sie etwa nach dem Motto: zu schön zum Schauen und zu dumm zum Denken?
Mit nur wenigen Dingen kann man die deutsche Seele so in „Schnappatmung“ versetzen wie mit dem Thema allgemeines Tempolimit auf Autobahnen. Meist erregt sich hier die Freie-Fahrt-für-freie-Bürger-Fraktion über den Verlust von Chancen auf möglichst viele CO2-Ejakulationen ihrer PS-Potenz-Protze. Doch mein Vorschlag zu einem nach Fahrzeug-Größe gestaffelten Tempolimit erregte eher die Tempolimit-Fans. Kein Gedanke daran, dass dieser Vorschlag bei Umsetzung die schweren Autos – und damit die CO2-Emissionen – noch mehr gedrosselt hätte als selbst der 120 km/h-Vorschlag des Umweltbundesamtes, dass der Vorschlag einen Schritt Richtung individuelles CO2-Budget gewesen wäre – der deutsche Wunsch nach Gleichheit überdeckte alles. In der Verkehrspolitik schlägt häufig der Bauch das Hirn.
Mitte April schrieb der Kollege Heinz Wraneschitz über die „saufenden Elektromonster“ und mir damit aus der Seele: die Autoindustrie startet vielfach mit großen, schweren E-Fahrzeugen; die Industriebosse denken sich die Elektromobilität offensichtlich als Fortsetzung der bisherigen Autowelt. Doch wir müssen bei den Fahrzeugen wie in vielen anderen Bereichen abspecken – ein „weiter so“ der Automobil-Industrie ist da wenig intelligent.
Wenig intelligent war auch, was die Filmemacher Florian Schneider und Valentin Thurn mit ihrem Dokumentarfilm auf die öffentlich-rechtlichen Bildschirme des ZDF gebracht haben. Wenn einem Zuschauer beim eigenen Fachgebiet schon die grundsolide Halbbildung solcher Filmemacher so deutlich auffällt, so fragt man sich, was man von den Aussagen mancher „Kamera-Künstler“ zu anderen Themen halten soll, bei denen man sich selbst nicht so genau auskennt.
Etwa zur gleichen Zeit hatte sich Harald Lesch mal wieder zur E-Mobilität geäußert. Dem Weltweisen aus dem Bayernland war aufgefallen, dass das Stromnetz arg darunter leiden könne, wenn eine Million E-Autos gleichzeitig mit 350 kW schnellladen würden. Das zeigt, dass man auch als Naturphilosoph richtig rechnen kann, und dennoch nichts vom Thema verstehen muss. Denn derzeit gibt es kein Serienauto, das mit 350 kW laden kann. Und auch künftig werden sich Fahrer von E-Autos mit durchschnittlichen Akkugrößen vor den – zudem teuren – Schnellladesäulen hüten. Denn kaum hat man als Fahrer auf dem Autobahnrastplatz seinen Wagen dort angeschlossen und die Hälfte des Weges zum dringend ersehnten Urinal zurückgelegt, da klopft einem schon ein völlig Fremder auf die Schulter: „Hey Sie, ihr Akku ist vollgeladen! Fahren Sie ihren Wagen mal bitte schnell von der Ladesäule weg, denn ich und ein weiteres Auto warten schon ...“ – kein schönes Gefühl! Und was die grundsätzliche Frage „E-Autos und Netzstabilität“ anbelangt, die ist längst lesch-los geklärt!
Am 14.08.2019 um 21:19 Uhr erreichte mich eine E-Mail der Petitions-Plattform „Rettet den Regenwald“. Die schaurige Betreffzeile: „Das Elektroauto ist ein Regenwaldkiller“. Und weiter: „Die Rohstoffe für deren Produktion stammen aus den Regenwäldern des Kongo, Indonesiens und Südamerikas. Für unsere angeblich saubere Elektromobilität fressen sich die Minen internationaler Konzerne in die Regenwälder. Sie vernichten die Artenvielfalt, verseuchen die Umwelt und verursachen Elend sowie schwerste Menschenrechtsverletzungen.“
Huhu, da werden einige unbedarfte Menschen gleich wieder zum Diesel zurück wechseln, denn offensichtlich gibt es bei der Erdölförderung ja so gar keine Umweltverschmutzungen und Menschenrechtsverletzungen!?
Liebe Regenwald-Retter: Eure Smartphones, PCs und Kochtöpfe sind auch „Regenwaldkiller“, und vielleicht sorgt ja eine Stahlarmierung, gewonnen aus den Minen in Tropenwäldern, dafür, dass Euch die Bürodecke bei allem produzierten Schwachfug nicht auf den Kopf fällt.
Zwei Monate später veröffentlichte übrigens der Spiegel einen Artikel zum Kongo mit dem ebenfalls schön-schaurigen Titel: „Hier sterben Menschen für unsere E-Autos“. Doch irgendein Redakteur oder Leser hatte einen hellen Moment, so dass auffiel, dass Kobalt nicht nur für die Akkus der E-Autos verwendet wird. Also ruderten die Damen und Herren an der Ericusspitze zurück und machten das auch kenntlich; im Link findet sich allerdings noch der alte Titel.
Pünktlich zur Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt erschien wieder einmal eine wissenschaftliche Studie (Lebenszyklusanalyse) zum Thema konkurrierende Antriebssysteme/Treibstoffe mit dem Ergebnis, dass ein mit dem deutschen Strommix versorgtes Elektroauto wegen des hohen CO2-Ausstoßes bei der Batterieproduktion erst nach 120.000 km klimafreundlicher als ein Benziner sei, und erst nach über 210.000 km als ein Diesel; Erdgas-Autos, Plugin-Hybride und H2-BSZ-Autos könne das E-Auto so nie schlagen. Die Studie wurde verfasst von Joanneum Research Life in Graz, und zwar im Auftrag des Österreichischen Automobil-Clubs (ÖAMTC) sowie des ADAC (die mit den vielen Dieselfahrern). Nun ist die wissenschaftliche Forschung ein weites, qualitativ höchst unterschiedliches Feld, in dem auch immer die bösen Kritiker lauern. Und so wollte es das Schicksal, dass sich ein sehr profilierter Forscher der Studie annahm: Auke Hoekstra von der TU Eindhoven (die mit den vielen Solarmobilfahrern). Hoekstra hatte bereits im Frühsommer in einem Wissenschaftsartikel die grundlegenden Fehler der E-Auto-Gegner bei den Vergleichen analysiert. Jetzt zerpflückte er in einem Blog nicht nur diese Studie, sondern gleich einige weitere mit, um im November dann mit „Warum die Studie des ADAC ein Paradebeispiel für die Anti-Elektromobilitäts-Lobby ist“ noch mal ausführlich nachzulegen. Die Joanneum-Studie und der ADAC sahen dabei gar nicht gut aus.
Inzwischen ist offiziell Karnevalszeit, und das scheint bisweilen auf Artikel und Pressemitteilungen abzufärben; in manchen Wochen ist sogar sehr viel „Karneval“: Am 10.12. ging eine Pressemitteilung der Deutschen Energie-Agentur (Dena) ein mit dem hoffnungsvollen Titel „Pkw-Neuzulassungen: Anteil alternativer Antriebe steigt“ und dem Satz „In den ersten drei Quartalen 2019 hat sich die Zahl der Neuzulassungen von Elektro-, Hybrid-, Flüssiggas- und Erdgasantrieben um 65,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erhöht.“ Nein, liebe Dena, bei Fahrzeugen mit Hybrid, Flüssiggas und Erdgas gibt es keine „alternativen Antriebe“, sondern sie fahren mit Verbrennungsmotoren, die weiterhin CO2 ausstoßen und künftig abgeschaltet werden müssen. Dass man dies nach einem Jahr großer Klimaproteste von Fridays-for-Future und Extinction Rebellion immer noch sagen muss, ist schon erschütternd, und lässt die Frage aufkommen: „Was macht Ihr eigentlich beruflich?“
Am 11.12. nahm sich auch die Zeit den Raum im Blatte, und ließ den Artikel „Elektroautos: Dreckige Rohstoffe für saubere Autos“ erscheinen. Neben vielem Richtigen finden sich auch die Hinweise, dass man beim Lithium aus Hartgestein viel Energie brauche, um das Erz zu zerkleinern und zu mahlen, und dass es im Kobaltbergbau des Kongos Kinderarbeit gebe. Liebe Zeit-Redaktion, auf die Gefahr hin jetzt ein Geheimnis auszuplaudern: Eure Wochenzeitung wird auch auf Maschinen gedruckt, deren (Eisen-)Erz irgendwann energieaufwändig zerkleinert und gemahlen worden ist. Und die Kinderarbeit – im Kongo im Kleinbergbau, den es dort hauptsächlich als Familien- und Dorfbetrieb gibt – ist leider weltweit in vielen Familienbetrieben verbreitet, z.B. auch in der Landwirtschaft. Merkwürdig nur, dass dieser Umstand bei der Berichterstattung zu Avocados, Bananen und Superfoods wie der Acai-Beere praktisch nie eine Rolle spielt.
Am 13.12. beglückte uns die Focus-Redaktion mit dem Artikel „Es wäre ein Desaster für Volkswagen: China erwägt teilweise Abkehr vom Elektroauto“. Jawoll, Herbert Diess, Du Frevler an der deutschen Autoindustrie, der es gewagt hat, sich für das E-Auto auszusprechen, zittere nun!! Aber im Ernst: China hat am 26.03.2019 schlicht seine bisherige Förderung für alle „New Energy Vehicles“ (NEVs) umgestellt, wozu neben E- und Biogas-Autos auch die im Focus-Artikel am Rande erwähnten Fahrzeuge mit „Wasserstoff, Methanol und künstliche Kraftstoffe“ gehören; ein „Strategieschwenk“ oder eine „teilweise Abkehr“ ist das keineswegs, zumal die letzteren Fahrzeuge genauso betroffen sind. Aber geschenkt, es ist Karnevalszeit, und wer will schon einem Redakteur böse sein, der uns mit so motorjournalistischen „Perlen“ beglückt hat wie „Volvos Mega-Wuchtbrumme: 600 Hybrid-PS im ersten Test“ – boah, eay, wie geil ist das denn?!?
In diesem Sinne – Schluss für heute und für dieses Jahr, verbunden mit der Gewissheit: 2020 geht der Karneval ums E-Auto weiter!
Götz Warnke