14.04.2023
Messe Nürnberg will Selbstversorger werden – geht das?
Eine Bewertung von Heinz Wraneschitz
Das Vorhaben klingt spektakulär: „Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht um Nachhaltigkeit und um energetische Unabhängigkeit.“ So fasste Roland Fleck, einer der beiden Geschäftsführer (CEO) zusammen, was für die zurzeit 16 Hallen, 180.000 qm Bruttoausstellungsfläche und 100.000 qm Freigelände der Messe Nürnberg in den nächsten Jahren geplant ist.
Das gesteckte Ziel ist schon deshalb bedeutsam, weil die Nürnberger immerhin zum umsatzstärksten Dutzend Messegesellschaften weltweit zählen.
Mit der so genannten „Modullegung“ im März fiel der Startschuss für den ersten Bauabschnitt. Dafür gingen Ministerpräsident Markus Söder, Finanzminister Albert Füracker, Oberbürgermeister Marcus König sowie die Messe-CEOs Fleck und Peter Ottmann sogar vor der Presse in die Knie. Zwischen den Akteuren und der Pressemeute lagen ein paar Solarmodule. Bis Ende 2024 werden 75.000 qm Dachfläche verschiedener Messehallen mit 21.000 Solarmodulen in einer Spitzenleistung von 9 MWp belegt sein, wie es hieß. Mit deren sonniger Hilfe soll dann das gesamte Messegelände der Frankenmetropole nahezu ohne Strombezug aus dem Netz auskommen. Rechnerisch zwar nur. Aber weil gleichzeitig auch ein Batteriespeicher mit einer Kapazität von 7.700 kWh installiert wird, sollen auch nachts oder an Tagen ohne genügend Sonnenstrahlung möglichst wenig Elektronen aus dem Netz bezogen werden müssen.
Die größte Gebäude-PV in Bayern?
Glaubt man Regierungschef Söder, dann wird die Messe Nürnberg damit zur „Nummer 1 bei großflächiger Gebäude-Photovoltaik (PV) in Bayern“. Damit das im vorgesehenen Zeitrahmen klappt, wurden laut Messegesellschaft eine Nürnberger und eine Münchner Fachfirma mit der Realisierung beauftragt.
Doch damit soll nicht Schluss sein: Im Bauabschnitt 2 soll – vorausgesetzt, der Aufsichtsrat der Messegesellschaft stimmt zu – die Modulleistung auf 20 MWp anwachsen, dazu ein Wasserstoffsystem mit Elektrolyse, LOHC-Speicher (LOHC ist ein flüssiger Träger für H2; d.Red.) und Brennstoffzelle die saisonübergreifende Versorgung mit Wärme und Strom möglich machen. „Mit einem Autarkiegrad von über 80 Prozent wäre unser Hybridkraftwerk ein echtes Reallabor der Energiewende“, brachte Fleck seine Hoffnung auf einen zustimmenden Beschluss des Aufsichtsgremiums zum Ausdruck.
Und weil die Stadt Nürnberg und der Freistaat Bayern je zur Hälfte die Messegesellschafter sind, dürfte dieser Wunsch bald Wirklichkeit werden. Von der anwesenden Aufsichtsratsspitze – OB König und Minister Füracker – war zumindest an diesem Tag kein „Nein“ zu hören. Zumal die Wasserstoff-Initiative Bayerns ihren Sitz in Nürnberg hat, und die LOHC-Technologie maßgeblich in der Nachbarstadt Erlangen entwickelt und produziert wird. Markus Söder nannte es gar „keine absurde Idee, dass die Messe einst nicht nur sich, sondern auch umgebende Stadtteile mit Energie versorgt“.
Wasserstoff, der Heilsbringer?
Wasserstoff (H2) als Energie-Speicherelement ist bekanntlich in aller Politiker:innen Munde. In Bayern öffnet vor allem der als Hans-Dampf-in-allen-Energiegassen agierende Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger dafür den Mund. Ob von einer H2-Pipeline von Norwegen ins südliche Ende Deutschlands oder von „500 Millionen Euro Investitionen in Bayerns H2- und Energie-Zukunft“:
Der Stellvertretende Ministerpräsident tut so, als stünde H2 in jeder Menge für Verkehr, Heizung, Industrie und was noch alles zur Verfügung. Fakt ist jedenfalls: Der als „Hubsi“ bekannte Politiker ist schon lange auf den H2-Zug aufgehupft. Einst wollte er H2 sogar aus Russland importieren. Schon aus diesen Hans-Dampf-Gründen wunderten sich Beobachter, dass nicht auch Hubert Aiwanger in Nürnberg dabei war, um vor der Pressemeute auf die Knie zu gehen.
Doch was ist eigentlich H2-Realität? Zum einen braucht man überschüssigen (Öko-)Strom, der in einer Brennstoffzelle Wasser in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. Den gibt es jedoch nicht wirklich. Ohnehin bliebe dabei jede Menge Energie ungenützt; „die größte Herausforderung besteht zurzeit darin, dass für die Elektrolyse von Wasser zur H2 viel Energie aufgewandt werden muss“, heißt es dazu etwa vom TÜV Nord.
Und, dass nur die besonderen Hochtemperatur- oder Dampfelektrolyseure (HTE) Wirkungsgrade von 90 Prozent aufweisen. Normale Typen wie PEM-Elektrolyseure nutzen den Strom höchstens zu 70 Prozent.
Das aber hält Bayerns Regierung nicht davon ab, „430 Millionen für Bayerns H2-Zukunft“ zu versprechen. In diesem Förderprogramm ganz obendran: Der „Ausbau der H2-Infrastruktur. Ab 2023 sollen in Bayern 50 regionale Elektrolyse-Anlagen mit einer Mindestleistung von jeweils einem Megawatt entstehen. Sie werden mit insgesamt 150 Millionen Euro bezuschusst.“ Und genau hier dürfte ein Grund für Schritt 2 bei Nürnbergs Messe-Energiekonzept zu finden sein. Denn wie zu hören ist, soll einer der 50 Elektrolyseure auf dem Messegelände stationiert werden. Mit dem vom Sommer-Stromüberschuss gewonnenen H2 soll wiederum eine Brennstoffzelle betrieben werden, die daraus Wärme und Strom macht. Die Wärme dürfte wohl sogar ausreichen, um nicht nur die Gebäude am Messegelände zu beheizen, sondern auch umliegende Liegenschaften – so wie Markus Söder es bereits vorausgesagt hat.
Aber geht das wirklich?
Einerseits ist der solar gewonnene Strom inzwischen bekanntlich billiger als zugekaufter. Aber wie andererseits Elektrolyse-Fachleute wissen, sollten Elektrolyseure möglichst kontinuierlich laufen, also nicht nur kurzfristige Überschüsse in H2 umwandeln. Und da genau könnte der Hase im Energie-Autarkie-Planpfeffer begraben liegen: Dass nämlich der dann installierte H2-Erzeuger wegen der Spitzenstrom-Lastwechsel nicht so lange lebt, wie wenn er über längere Zeit gleichmäßig mit Strom versorgt wird.
Aber möglicherweise reicht den Nürnberger Messeverantwortlichen ja schon der Knalleffekt, wenn die wohl dann einmalige autarke Energieversorgung für eines der weltweit führenden Messegelände gestartet wird. So wie einst mit großem Brimborium eine PV-Anlage an einer Messehallenfassade eingeweiht wurde – die heute ziemlich ramponiert herumhängt… Hoffentlich ist die spektakuläre Autarkieankündigung nicht nur ein Werbegag, sondern ein echt nachhaltiges Ziel der Messe Nürnberg.
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