12.06.2020
Export von Know-how, Import von H2
Nationale und bayerische Wasserstoffstrategie fast deckungsgleich: Nun liegt sie also vor, die lang erwartete Nationale Wasserstoffstrategie der deutschen Bundesregierung. Auf 32 Seiten sind viele Ideen aufgeführt, eine ganze Menge „Potenziale und Chancen“ genannt und ein „Aktionsplan: Notwendige Schritte für den Erfolg der Nationalen Wasserstoffstrategie“. Doch diese 38 so genannten „Maßnahmen“ sind großteils Absichtserklärungen.
So steht beispielsweise bei „Maßnahme 9: Hinwirken auf ambitionierte Weiterentwicklung des europäischen Infrastrukturaufbaus zur Erleichterung grenzüberschreitender Verkehre mit Brennstoffzellenantrieb (AFID); Novellierung der Richtlinie zum Aufbau von Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (Umsetzung ab 2021).“
Solle, sollte, müsste, werde: Diese Worte ziehen sich auch durch die Statements der vier bei der Präsentation im Bundeswirtschafts- und Energieministerium BMWi anwesenden Minister. Peter Altmaier (Energie), hatte sich zwar „eigens eine Grüne Krawatte angezogen“. Damit wollte er „das globale Thema: Nur mit Grünem Wasserstoff (GH2) lassen sich die Pariser Klimaziele 2050 erreichen!“ optisch unterstützen. Tatsächlich aber sprach er nur davon, dass z.B. „bei der Stahlproduktion Kohle zuerst durch Gas und in absehbarer Zeit durch GH2 ersetzt werden“ solle. Und: Es werde also „Übergangslösungen“ geben, so Altmaier wörtlich.
Auch Svenja Schulze (Umwelt) sieht natürlich „H2 nur gut an, wenn er aus Sonnen- und Windstrom stammt“. Nach ihrer Meinung „bietet uns GH2 die Chance, Klimaschutz in den Bereichen voranzubringen, wo wir bisher noch keine Lösungen hatten, zum Beispiel im Flugverkehr“. Doch alte Menschen (wie der Autor) denken an jene jährlich wiederkehrenden Versprechen des Daimler-Konzerns aus den 1980er Jahren: immer wieder hatte die Dasa ein Modell-H2-Flugzeug auf der Hannover Messe dabei und den Hinweis: „In fünf Jahren“ werde es fliegen. Inzwischen sind mehr als 30 Jahre vergangen. Und jetzt auf einmal soll es damit schlagartig etwas werden? Wohl eher weiterhin nicht. Denn Ministerin Schulze geht es „bis 2030 um eine H2-Beimischungsquote von zwei Prozent im Luftverkehr“.
Dem Verkehrsministerium, in Person des Parlamentarischen Staatssekretärs Steffen Bilder dabei, erwähnt besonders „die Tankstellenstruktur für Lkw. Da müssen wir weiterkommen. Im Lkw-Bereich muss definitiv mehr passieren, raus aus dem Forschungslabor, rein ins reale Leben.“ Doch wo wird wirklich geforscht? Dazu gab er keinen Hinweis. Und auch die hübschen bunten Bildchen auf der Webseite des Scheuer-Ministeriums verraten dazu nichts.
Anja Karliczek (Forschung) will „die Förderung von Innovation zum GH2 weiter intensivieren, von der Erzeugung über Speicherung, Transport und Verteilung bis zur Anwendung“. Dafür gibt’s bis 2023 zusätzliche 310 Mio. Euro. Wahrscheinlich verschlingt davon schon der von der Ministerin neu zu installierende „Innovationsbeauftragte für GH2“ eine Menge. Der „bildet die Schnittstelle. Es soll alles schneller gehen. Es gibt viel Forschungsbedarf“, antwortete sie auf die konkrete Frage der DGS-News zu dessen Funktion. Nachfragen waren nicht möglich.
Und Gerd Müller (Entwicklung)? Der sieht „Energie als die Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit. An der Frage: Kohle und Öl oder H2 und Ethanol entscheidet sich das Weltklima.“ Deshalb „brauchen wir dazu unsere afrikanischen Freunde“. Und Müller setzte auch gleich die Unterschrift unter die „Vereinbarung zur Begründung einer Wasserstoffallianz mit dem Königreich Marokko“. Deren „erstes gemeinsames Projekt soll der Bau einer Produktionsanlage für GH2 in Marokko sein“.
Quantensprung oder Energiekolonialismus?
Damit wurde endgültig deutlich: Der „Quantensprung“ (Altmeier) ist eigentlich ein Festhalten an alten energiekolonialistischen Denkmustern. „Wir werden Nr. 1 der Ausrüster für die Welt mit Wasserstofftechnologie“ – und Afrika soll die Solar- und Windflächen für die Produktion von GH2 bereitstellen. Denn die Nord- und Ostsee, wo direkt an Windrädern GH2 per Elektrolyse hergestellt werden soll, reiche dafür bei weitem nicht aus, gab der Bundes-Energieminister unumwunden zu.
Das wiederum passt wie die Faust auf‘s Auge der zwei Wochen vorher verkündeten „Bayerischen Wasserstoffstrategie“. Auch wenn die freistaatliche Broschüre mit 36 vier Seiten mehr umfasst, gefüllt ausschließlich mit Fakten, Forschung, Forderungen in Textform. Da unterscheidet sich die nationale Strategie erheblich: Die enthält wenigstens ein Bildchen.
Ansonsten geht es den Bayern ebenfalls vor allem um Export von Know-how und Technologie. Und der Energieträger H2? „So wie wir heute Öl importieren, müssen wir künftig H2 importieren.“ Damit machte Landes-Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger klar: Auch für ihn spielt die Erzeugung von GH2 hierzulande eine untergeordnete Rolle. In der Druckschrift heißt das „Arbeitsteilung: Bayern entwickelt die weltweit führenden H2-Technologien und unsere künftigen Partner nutzen sie für die Erzeugung, den Transport und die Verwendung von grünem H2. „Made in Bavaria“ soll zum H2-Gütesiegel werden“, lautet das klar gesteckte Ziel der Staatsregierung – beim Bund steht da „Made in Germany“.
Hilfe für den Maschinenbau
Aiwanger hofft vor allem auf „100.000e Arbeitsplätze, die wir damit generieren können“, gerade im schon vor Corona angespannten Sektor Maschinenbau: Bis jetzt sind es gerade ein paar 100. Für Bayerns Wirtschaftsminister „ist H2 die eierlegende Wollmilchsau, die nur Wasserdampf und hinterlässt und Ökonomie und Ökologie versöhnt“.
Professor Peter Wasserscheid, einer der beiden Leiter des bereits gegründeten „Zentrum Wasserstoff Bayern H2.B“ ergänzt: „Wir streben nach Technologieführerschaft. Unsere Technologien müssen überall auf der Welt funktionieren.“ Und in den verschiedensten Bereichen: Von Chemie- über Stahl- bis Glasindustrie, „bei der Mobilität schwerer Fahrzeuge vom Binnenschiff über die Eisenbahn, Lkw und Bus bis zum SUV“, spannte der Wasserstoff-Professor den Bogen.
Tankstellen in jedem Kreis
Bayern ist gerade dabei, mit 50 Mio. Euro Fördermitteln ein Tankstellennetz aufzubauen, „in jedem Landkreis mindestens eine“, wie Minister Aiwanger betont. Für den Anfang denkt er vor allem an Lkw und Busse, die dort tanken. Und er wünscht sich, „dass Unternehmen eigene Tankstellen aufbauen, dass der ÖPNV auf H2-Systeme umstellt“.
Damit das klappen kann, fordert Professorin Veronika Grimm – sie ist seit kurzem Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung – „ein Ende der durch Abgaben verzerrten Strompreise und vernünftige CO2-Preise“. Dann würden sich auch H2 und Erneuerbare Energien lohnen. Und man könne „H2 im Wettbewerb mit anderen Technologien in die Märkte bringen“. Auch Bayern setzt also auf internationale Energiepartnerschaften: „Im H2-Import aus Drittstaaten liegt eine Chance für den Green Deal der EU insgesamt“, ist Grimm überzeugt. Und Wasserscheid ergänzt: „Viele Länder interessieren sich inzwischen für H2-Technologie. Asien investiert, wir müssen uns anstrengen, unsere Spitzenposition zu erhalten. Deshalb sind in Bayern alle Beteiligten an schneller und konsequenter Umsetzung der H2-Strategie interessiert.“
Bund ließ auf sich warten
Dass Bayerns H2-Strategie vor der nationalen auf den Markt war, kam aber eher ungewollt zustande. Denn die Spät-Entscheider der Berliner GroKo hatten die Veröffentlichung des Bundespapiers kurz zuvor noch einmal verschoben. Deshalb konnte Bayerns Energieminister Aiwanger seinem Bundeskollegen Altmaier einige Schlagworte stehlen: „H2 ist eine runde Sache. Wir haben das Geld. Wir haben die Technik. Wir haben noch Forschungsvorsprung.“
Und er sandte damals „das Signal nach Berlin: Das müssen wir auf Europäischer Ebene im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft nutzen, wir müssen dort diese unsere Pflanze setzen. Denn H2 ist gut für Bayern, Deutschland, Europa, ja für die ganze Welt.“
Fast genau dieselben Worte verwendete Peter Altmaier zwei Wochen später: In der am 1. Juli beginnenden Ratspräsidentschaft soll Deutschlands GH2-Strategie auf den Weg über Europa in die Welt getragen werden.
Wasserstoff und Pipelines
„Ich traue mich auch, Russland und Nord Stream 2 in den Mund zu nehmen: Russland würde uns Grünen Wasserstoff in großen Mengen liefern können“, erklärte Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger in Nürnberg. Doch geht das überhaupt: Eine Gasleitung für H2-Transport umzunutzen?
Deutschlands Industrie betreibt seit über 100 Jahren viele Kilometer H2-Pipelines, und das ohne Probleme. H2 wird heute bereits Erdgas zugemischt, ohne dass es zu Explosionen gekommen wäre. Aber die H2-Zumischung in den Leitungen wird meist auf zehn Prozent begrenzt, damit Ventile und Dichtungen nicht den Geist aufgeben.
Denn die Wissenschaft sieht ein Problem darin, wenn man – wie es Minister Aiwanger verkündete – H2 durch eine für Gastransport gebaute Rohrleitung pumpt. Dafür müssen dann andere Ventile und Dichtungen entwickelt werden: Ein Thema, das H2.B im Auge hat.