10.07.2020
Eine zukunftsfähige Wirtschaftsweise
Ein Portrait von Heinz Wraneschitz
Ihre Berufung hat sich schon in den ersten Monaten als Nachhaltigkeitsschub für die Wirtschaftsweisen erwiesen: Die Nürnberger Uni-Professorin Veronika Grimm ist seit diesem Frühjahr Mitglied im „Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“.
Grimms Ernennung war kurz vor Beginn der durch das Corona-Virus ausgelösten Weltwirtschaftskrise bekannt geworden. In ihren Medienauftritten oder in Zeitungen tritt sie seither für ein Umgestalten der Energiewirtschaft ein. Mit deutlichen Schwerpunkten auf Dezentralität. Und ihre eindeutigen Statements gegen die pauschale Auto-Kaufprämie hat offenbar selbst die regierende GroKo überzeugt. In unserem Porträt lässt die 48-jährige Hochschullehrerin Blicke auf Professionelles wie Privates zu.
Bildungsgerechtigkeit, Energiegerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit: Das sind nur drei von vielen Schlagworten, für die Veronika Grimm steht. Der in der Noris beheimatete Erlanger Uni-Bereich Wirtschaft und Soziales, kurz „WiSo war schon meine Lieblingsdestination“. Doch Sie gibt zu, „dass solche Stellen nicht aus dem Boden sprießen“. An Wochentagsabenden in normalen, nicht coronalen Zeiten legt sie ihre Arbeit als Professorin ein paar Stunden beiseite. Denn da trainiert sie auf einem Sportplatz in Nürnbergs Norden „meine Jugendfußballmannschaft. Das ist absolut Qualitätszeit“, die sich Grimm einräumt. Doch auch Fußball ist für sie eine Art Volkswirtschaft im Kleinen: „Die Mischung macht`s, die Kooperation: Schwache muss man mitnehmen, Stars mit Allüren alleine funktionieren nicht. Mannschaftssport braucht beides: Wettbewerb, und trotzdem muss man sich gut verstehen.“ Und so scheint sie eine Frau mit 1.000 Händen: Mit denen ist sie auch noch für Ehemann und drei Kinder da.
Veronika Grimm wollte ursprünglich Soziologie studieren – in der Volkswirtschaft fand sie ihre wahre Berufung. Hamburg, Kiel, Berlin, Alicante, Brüssel, Köln, Nürnberg sind die Stationen ihres beruflichen Werdegangs. Als Forscherin ist sie mehrgleisig aufgestellt: Die Professorin ist nicht nur Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Leiterin des Zentrum Wasserstoff Bayern (H2.B): Sie ist auch Vorsitzende der Wissenschaftlichen Leitung des Energie Campus Nürnberg (EnCN) und dort für den Forschungsbereich Energiemarktdesign (EMD) verantwortlich.
„EMD befasst sich mit wirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für die Transformation des Energiesystems. Unter anderem werden unterschiedliche Rahmenbedingungen auf Verteilnetzebene untersucht, die Geschäftsmodelle regionaler Stakeholder nutzbar machen“, lautet ein maßgeblicher Teil des Selbstverständnisses von EMD, den sie selbst auch vertritt.
Das bedeutet in anderen Worten: Eine gute Kombination von regionalen Märkten und überregionalen Strukturen sollten die Zukunft der Energieversorgung ausmachen. Grimm hat unter anderem eine Studie für die Nürnberger N-Ergie mitverantwortet: In der steht, wie in einem solchen System regionale Akteure eingebunden werden können.
Bundesregierung, Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreiber propagieren bekanntlich den Ausbau des Verbundnetzes. Mit solchen Vorschlägen, regionale Partizipation, Nachhaltigkeit und Energiewirtschaft in Einklang zu bringen, hat sich die Volkswirtin einen Namen gemacht. Wenn sie solche Ergebnisse vorstellt, tut sie das nicht unbedingt als Laut-Sprecherin, doch nicht weniger eindringlich. Und auch für ihre neue Aufgabe hat sie sich klare Ziele gesteckt: „Ich werde Themen rund um Energie- und Klimafragen einbringen, fordern, dass die Chancen beim Green Deal der EU mit dem Ziel Klimaneutralität bis 2050 ergriffen werden. Und klarmachen, dass man dafür durch geeignete Rahmenbedingungen Anreize schaffen muss.“
Gerade für die Zeit nach dem Corona-Shut-Down ist für Veronika Grimm „wichtig, dass „die Wirtschaft wieder anläuft und dabei die Chancen für Erneuerbare Energien und die industrielle Transformation hin zu Clean Tech genutzt werden“, also umweltschonende Technologien und Produkte. In solchen Momenten lässt sie auch ihre Freude erkennen, in den hohen Beraterkreis berufen worden zu sein: „Bisher wurde in der Energie- und Klimapolitik immer stark auf die Ingenieure gehört, weniger auf die Volkswirte.“ Dafür nimmt sie auch in Kauf, dass ihre eigene Zeit wieder etwas knapper wird: Der Beraterjob bringt mindestens eine monatliche Tagung und viele Konsultationen mit sich.
Prof. Veronika Grimm will also im Rat der fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung auf die Erneuerbare-Energien-Sprünge helfen. Ob sie das bei diesem in Energiedingen oft starrhalsigen Bundeswirtschaftsminister und dessen Ministerialen nachhaltig schafft? Die Zeit wird das zeigen.