09.09.2022
Neue Geothermiepotentiale entdeckt
Ein Bericht von Götz Warnke
„Vor der Hacke ist es dunkel“ lautet ein altes bergmännisches Sprichwort, was sich auf die Ungewissheit bezieht, ob und etwas untertage gefunden wird. Oft gibt es hier Überraschungen: entweder es wird gar nichts gefunden, oder das Gesuchte in überreichlichem Ausmaß – oder es wird etwas ganz anderes gefunden. Das gilt für das allgemeine Bergwesen, aber auch für die tiefe Geothermie.
Fakt ist, dass auch in Deutschland die tiefengeothermischen Potentiale groß sind, und dass sie für eine erfolgreiche Wärmewende dringend gehoben werden müssen. Die Frage ist nur: wo? Denn außerhalb der ehemaligen DDR wurden bisher die meisten Bohrungen von der Mineralölindustrie niedergebracht, die in etwa wusste, in welchen Tiefen sie ihre Rohstoffe (Erdöl, Gas) finden konnten, und die häufig vieles andere zwischen dem Bohrloch und dem Bohrkopf in der entsprechenden Tiefe nicht interessierte. Geothermie war halt nicht das Geschäft der Mineralölkonzerne.
Einer der Orte, wo die Wärme aus der Tiefe gut gebraucht werden kann, ist der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, der auf einer Elbinsel im Süden der Stadt liegt. Hier existiert bereits ein Nahwärmenetz, das vom Energiebunker Wilhelmsburg durch Solarthermie, Biomasse und Biomethan gespeist wird. Zudem sollen hier, u.a. nach einer Straßenverlegung, neue Wohngebiete entstehen, die mit erneuerbarer Wärme versorgt werden müssen. Also wurde im westlichen Industriegebiet der Elbinsel im Rahmen der vom BMWK geförderten Projekts „Integrierte WärmeWende Wilhelmsburg IW 3“ einen 40-Meter-Bohrturm (53.50269749988227, 9.980845346224468) errichtet und Ende Januar diesen Jahres mit dem Bohrbetrieb begonnen. Die Hoffnung war, im porösen Sandstein in 3.000 bis 4.000 Metern Tiefe auf ein großes Potential mit Temperaturen von 130° C zu treffen und hierdurch rund 5.000 Haushalte versorgen zu können. Mit einer so hohen Temperatur hätte sogar direkt in den Vorlauf des städtischen Fernwärmenetzes eingespeist werden können.
Doch leider klappte es nicht: am 21. Juli mussten die Umweltbehörde sowie die am Projekt beteiligten städtischen Unternehmen Hamburger Energiewerke (HEnW) und „Hamburg Wasser“ mitteilen, dass in der erbohrten Tiefe von über 3.000 Meter keine ausreichenden Thermalwasservorkommen zur geothermischen Nutzung gefunden wurden – auch wegen mangelnder Durchlässigkeit der dortigen Schicht. Doch: „Vor der Hacke ist es dunkel.“ Und so war man – ganz überraschend und nebenbei – schon in 1.300 Metern Tiefe auf eine 130 Meter mächtige, Thermalwasser führende Gesteinsschicht gestoßen. Das dort gefundene Wasser ist zwar „nur“ ca. 50°C warm, ließe sich aber gut mittels elektrischer Wärmepumpen auf eine höhere, zum Heizen geeignete Temperatur anheben. Doch es bleibt die Frage nach der Wasserdurchlässigkeit dieser Schicht.
Diese Frage lässt sich nur mit einer zweiten Bohrung beantworten, indem man danach Wasser durch die erste Bohrung (Injektionsbohrung) in die Tiefe leitet, um es dann durch die zweite Bohrung (Produktionsbohrung) erwärmt wieder an die Oberfläche zu befördern. Also wurde der bereits auf Schienen stehende Bohrturm um 7,5 Meter verschoben, und Ende Juli mit der zweiten Bohrung begonnen. Wie schon bei der ersten Bohrung (Injektionsbohrung) wurde nun auch bei der zweiten der Bohrkopf nach wenigen hundert Metern in einem Winkel von 45 Grad von der anderen Bohrung abgelenkt, so dass in rund 1.300 Metern zwischen beiden Bohrungsenden ein Abstand von rund 1.000 Metern liegt. Dieser Abstand ist notwendig, damit es nicht zu einem „hydraulischen Kurzschluss“ kommt, bei dem gerade eingeleitetes, noch nicht hinreichend erwärmtes Wasser sogleich wieder nach oben gepumpt wird.
Die zweite Bohrung wurde bis zu einer Tiefe von ca. 1.460 Metern hinab getrieben – also etwas tiefer als die erste – und am 9. August beendet. Jetzt werden die dabei entnommenen Bohrkerne analysiert, u.a. auf ihre Wasserdurchlässigkeit; bis zum Herbst sollen die Ergebnisse vorliegen. Wenn positive Ergebnisse feststehen, kann mit der Errichtung den entsprechenden Geothermie-Station und ihrer Netzanbindung begonnen werden.
Auch wenn man die ursprünglichen Ziele – 130° C heißes Thermalwasser in über 3.000 Metern Tiefe – nicht erreicht hat, so ist das Projekt insgesamt ein schöner Erfolg für die Hamburger Umweltbehörde und die beteiligten Unternehmen. Wie immer die Bohrkernanalysen letztlich aussehen, die Entdeckung großer Warmwasservorkommen im Bereich der mitteltiefen Tiefengeothermie macht grundsätzlich Mut. Denn bereits am 12.10.2021 hatte das Hannoveraner Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie einen Online-Workshop "Tiefengeothermiepotentiale in Niedersachsen" veranstaltet, bei dem der Celler Dipl. Geologe Martin Kinze einen Vortrag über „Mitteltiefes Geothermiepotential in den Oberkreideschichten Niedersachsens“ hielt. Kinze verwies dabei auf das große Wärmepotential der porösen Kalkstein- und Kalksandsteinschichten, die sich unter einem Gebiet von 15.000 km² erstrecken – von Bad Oldesloe im Norden bis Lehrte im Süden, von Uelzen im Osten bis Oldenburg im Westen. Hamburg-Wilhelmsburg lag schon fast außerhalb dieses Gebietes, so dass hier in der mitteltiefen Geothermie kaum etwas zu erwarten war. Der überraschende Erflog im Süden Hamburgs, dürfte angesichts der Energiepreise die Akteure auch andernorts zu neuen Bohrungen ermuntern. Und je mehr gebohrt wird, desto besser lassen sich die Fundchancen und Potentiale abschätzen.
Vor der Hacke wird es heller!