03.04.2020
Heimlicher Solarwärmeboom im Schatten des Virus
Das ist jetzt erst mal alles reine Spekulation. Aber wie aus gut informierten Kreisen zu erfahren ist, scheint die Auftragslage bei der solaren Wärme momentan überdurchschnittlich gut zu sein. Teilweise liegt die Bestellrate bei einem Vielfachen der sonst üblichen Menge. Woran kann das liegen? Wir haben uns ein wenig umgehört und auch ein paar eigene Gedanken angestellt. Im Gegensatz zur Photovoltaikbranche, die aufgrund des GW-Deckels schon langsam verzweifelt, erwacht in Deutschland die vergessene Schwester womöglich gerade aus dem Dornröschenschlaf. Unter Umständen ist das nur ein Strohfeuer oder nur eine kleine Momentaufnahme, aber man weiß ja nie. Warum nicht mal mit ein wenig Optimismus nach vorne schauen!
Kein Grund zur Sorge
Es gibt schon eigenartige Geschichten, die momentan passieren. Da fragen sich viele, ob man überhaupt noch Handwerker oder Kundendienstler zu sich in die Wohnung kommen lassen sollte und ob die überhaupt wollen. Aber wenn man sich draußen so umsieht, dann herrscht auf den Baustellen nach wie vor Betrieb, zumindest auf dem flachen Land, die Handwerker sind offensichtlich nicht in die Coronadepression verfallen. Im Gegenteil, man weiß sich durchaus zu helfen. Ganz pragmatisch hält man sich etwa nur noch alleine im Büro auf, bei Kundenanfragen wird zunächst versucht, alles so weit möglich telefonisch abzuklären. Vor Ort, im Keller oder auf dem Dach, lässt sich der Kontakt mit dem Kunden ohnehin leicht vermeiden. Aber auch mittelständische Hersteller solarer Komponenten haben sich schon vor Ausbreiten des Virus gewappnet. Alle Mitarbeiter im Unternehmen, deren persönliche Anwesenheit temporär verzichtbar ist, arbeiten schon lange von zuhause aus. In der Produktion werden die Schichten nicht mehr gewechselt und die Gruppen so klein wie möglich gehalten. Damit soll verhindert werden, dass ein einziger Verdachtsfall den ganzen Betrieb lahmlegt. Auch hat man sich vorsorglich gut eingedeckt. Sich allein auf das rollende Lager auf der Autobahn zu verlassen, das wird auch jetzt so manchem klar, ist kein resilienter Weg. Just in Time kann schnell zum Eigentor werden, wenn nichts mehr ankommt. Fazit: Auf Seiten der Monteure der regionalen Energiewende scheint es keine Probleme zu geben.
Widersprüchliches
Aber wie sieht es beim Kunden selbst aus, ist der nicht verunsichert, übt er sich nicht verstärkt in Zurückhaltung? Darüber gibt es unterschiedliche Auskünfte. Ein Handwerker-Portal will herausgefunden haben, dass es bereits erhebliche Auswirkungen beim Planungsverhalten von Hausbesitzern gäbe. Eine repräsentative Online-Umfrage möchte erfahren haben, dass sich momentan nur ein knappes Drittel dafür entscheiden würde, einen Handwerker für Arbeiten am Haus zu beauftragen. Ein Drittel sagt dazu "Eher nein" und der Rest "Nein, auf keinen Fall". Auch möchte gut die Hälfte der Befragten Renovierungspläne am Haus verschieben.
Interessanterweise hört man, wie oben schon erwähnt, auch ganz andere Töne. Es wird bestellt, wie schon lange nicht mehr. Das könnte darauf hindeuten, dass es mittlerweile von Seiten der Handwerkerschaft zu Hamsterkäufen kommt. So sollen schon größere Mengen an Kollektoren auf Vorrat bestellt worden sein, um nach der Krise gleich durchstarten zu können. Gewöhnlich wird erst geordert, wenn der Kunde den Auftrag unterschrieben hat. Aber ganz abwegig ist das vielleicht nicht, wenn man sich die Tragik bei den Atemschutzmasken ansieht. Da auch in nahezu allen deutschen Produkten zahlreiche in China gefertigte Bauteile sitzen, besteht durchaus die Gefahr, dass wegen eines banalen Kleinteils nicht ausgeliefert werden könnte. Ist die Lieferkette erst mal gerissen, dauert es womöglich länger.
In sich gehen in Krisenzeiten
Aber es könnte auch damit zu tun haben, dass die Kunden in ihrem „Hausbüro“ mehr Zeit zum Nachdenken haben. Sinnt der ein oder andere dabei vorausschauender als üblich und sieht die Wirtschaftskrise schon nahen, könnte das verstärkt zu Autarkieüberlegungen und dem Wunsch nach Vermögenserhalt führen. Zusammen mit der Angst einer vorübergehenden Schließung von Produktionsbetrieben oder gar weiteren staatlichen Restriktionen, die dann auch das Handwerk betreffen, führt all das offenbar zu einem Umdenken. Das ist insofern interessant, da sich der Ölpreis gleichzeitig in einem regelrechten Sturzflug befindet. Üblicherweise hemmt eine solche Situation jede Investition. Aber die Angst, die sich aus wohl kommenden Klimamaßnahmen ableiten lässt, ist nicht zu vernachlässigen. Die Gefahr, in naher Zukunft womöglich überhaupt kein Öl mehr verfeuern zu dürfen, ist in manchen Köpfen längst angekommen. Öl, die Braunkohle des Einfamilienhauses, wird bald Geschichte sein, das ist so manchen klar geworden. Das zeigt sich in den Verkaufszahlen. Nur noch wenige halten eine Ölheizung für zukunftsfähig.
Beim „Endkunden“ wird dank Covid 19 Verletzlichkeit spürbar und Abhängigkeit erfahrbar. Die Menschen in Krisenstimmung sitzen zuhause fest und beginnen auszumisten. Während des Frühjahrsputzes, für den dieses Jahr mehr Zeit als üblich ist, kommt so mancher auf „seltsame Ideen“. Um diese nicht zu vergänglichen Hirngespinste werden zu lassen, müssen diese künftigen Solarwärmenutzer trotz alledem noch reaktiviert werden, clevere Heizungsbauer sind da längst dabei. Denn die Alibi-Solaranlagen der KfW und EnEV-Ära müssen wieder durch Anlagen mit dem aktuellen Stand der Solartechnik abgelöst werden. Denn Hybridheizungen mit einem unbedeutenden Solaranteil und mickrigen Speichervolumen sind nicht der Weisheit letzter Schluss und vielmehr Ausgeburt eines europäischen Heizungsmarktes, der nicht auf solare Deckungsraten aus ist, sondern auf einer fossilen Grundlage fußt. Leider ist das Wissen über große Solarwärme im Ein- und Mehrfamilienhaus ein wenig in Vergessenheit geraten. Ein Blick über die Grenzen, am einfachsten nach Österreich, kann da schnell Abhilfe schaffen.
Perfekte Rahmenbedingungen
Ein anderer verstärkender Aspekt ist, dass die geänderten Förderbedingungen offensichtlich ebenso greifen. Auch wenn die Reform zunächst vor allem für Verwirrung und Zurückhaltung gesorgt hat, ist nun klar, das zeigen die von den Fördergebern veröffentlichten Fallbeispiele, Solarwärme gibt es fast für lau und muss nicht einmal sofort eingebaut werden. Ein anderes Instrument, die CO2 Abgabe auf fossile Energien, hat bei Nah- und Fernwärme dazu geführt, dass Stadtwerke und Planer verstärkt solare Komponenten mit einbeziehen. Aus einzelnen Projekten entsteht in der Freiflächensolarthermie-Entwicklungszone Deutschland womöglich ein Markt. Da von der ersten Planung bis zur Realisierung jedoch rasch mal zwei Jahre vergehen, werden wir das so schnell nicht sehen. Aber die Welle hat schon Schwung genommen, auch hier könnte ein großes Potential wachgeküsst worden sein. Einen faden Beigeschmack hat das allerdings. So wird gerade ein Vorzeigeunternehmen aus Dänemark, Arcon-Sunmark abgewickelt. Da derzeit Verhandlungen laufen und zumindest Teile gerettet werden können, sollte man mit dem Abgesang aber noch ein wenig warten. Die Auswirkungen auf den Solarthermiesektor für Großanlagen sind derzeit noch nicht abzusehen.
Keine Zeit zu verlieren
Der Umbau unserer Energieversorgung kann nicht warten, wer jetzt wegen Corona zögert redet sich raus. Die Anlagen können auch jetzt geplant und eingebaut werden. Wenn man Sätze aus Kreisen der Bundesregierung hört, dass man sich momentan nicht um den PV-Deckel und die Abstandsregeln kümmern könne, wird klar, dass von dieser Seite nicht viel zu erwarten ist. Auch ist zu befürchten, dass nach dem Virus die alten Industrien hochgefahren werden sollen, anstatt das notwendige Geld in neue Strukturen zu pumpen. So spricht man über die Rettung der Automobil- und Tourismusbranche, weniger aber über die Systemrelevanz der regenerativen Energiewirtschaft. Der notwendige Umbau unserer Energieversorgung darf nicht hinten angestellt werden. In solchen Zeiten ist es entscheidend, wer bevorzugt unterstützt wird, wenn es wieder los geht. Ein mögliches Konjunkturprogramm muss die Weichen für eine enkelfähige Zukunft stellen, denn fährt der Zug nach Ende der Pause erst mal in die falsche Richtung los, ist er nur noch schwer aufzuhalten. Es muss die Frage erlaubt sein, welche Energieversorgung gut für das Gemeinwohl ist und um welche Arbeitsplätze es geht. Es geht nicht um das Hochfahren überholter Strukturen, sondern um die Experten von morgen. Würde man etwa versuchen mit viel Geld den Flugsektor zu retten, obwohl er sowieso keine nachhaltige Zukunft hat, wäre das kurzsichtig. Die Bundesregierung muss die Rettungsgelder abhängig von der Klimakompatibilität machen. Bei der wirtschaftlichen Aufbauhilfe nach Bewältigung der Pandemie bietet sich für die Bundesregierung die Riesenchance eines klimaverträglichen Neustarts der Wirtschaft anzustoßen.
Matthias Hüttmann
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