01.11.2019
Das Elend mit dem Glauben an den Neoliberalismus
Es war Klaus Töpfer, ehemaliger Umweltminister unter Kanzler Kohl, der letzte Woche in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz die Debatte um eine CO2-Bepreisung aufs Korn nahm. In der aktuellen Situation mit steigenden Treibhausgasemissionen sei es sinnlos, mit einer wie auch immer gearteten Verteuerung von CO2 etwas erreichen zu wollen. Ob sich denn niemand an die Diskussionen um das Ozonloch erinnern könne, fragte Töpfer. Damals sei niemand auf die verrückte Idee gekommen das FCKW, den Verursacher des Ozonlochs, mit einem Preis zu versehen. Hätte man das getan, wäre es nie zu einer Verkleinerung des Ozonloches gekommen. Die Weltgemeinschaft habe damals in einem Abkommen klare Regeln zum Abbau und Verbot von FCKW festgelegt. Anders könne es heute auch nicht funktionieren, so Töpfer.
Heute wird, entgegen allen historischen Erfahrungen, von der Macht des Marktes fabuliert und von Marktsteuerung gesprochen. Der Markt regle alles, dieses neoliberale Credo ist längst in die Reihen auch der Solarfreunde eingesickert, einer Gehirnwäsche gleich. Obwohl den meisten Aktivisten in der Energiewendebewegung nach Jahrzehnten der Auseinandersetzung klar sein müsste, dass die Durchsetzung der Erneuerbaren Energien eine politische Machtfrage ist, verschanzen sie sich hinter dem Fetisch Markt und belügen sich selbst. Das reicht vom Verein CO2 Abgabe e.V. über Teile der Solarorganisationen bis hin zu Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Auch wenn es irre scheint, setzen sie - bewusst oder unbewusst - darauf, dass ein einziger Parameter, nämlich der Preis einer Tonne CO2-Äquivalente, einen gesellschaftlichen und globalen Wandel in der Energieerzeugung herbeiführen könnte. Dabei tut dieses Narrativ so, als ob alle Akteure des Marktes gleich seien und sich dementsprechend bei einer Preissteigerung auch gleich verhielten - der Kraftwerksbetreiber wie auch der Mieter, der nur am Thermostatventil seines Heizkörpers drehen müsste. Dass dem global agierenden Energiekonzern andere Möglichkeiten der Kostensenkung zur Verfügung stehen als einem Hauseigentümer mit Fernwärmeanschluss, wird dabei geflissentlich unter den Teppich gekehrt. Allen wird der gleiche Impetus zum Energiesparen unterstellt. Doch der Energiekonzern verdient nicht mit einer Reduzierung der Energiekonsumption, im Gegenteil. Hier wird das neoliberale Narrativ zur plumpen Lüge.
Zudem wird völlig außer Acht gelassen, dass die Erneuerbaren Energien aufgrund ihrer Eigenschaften, die Grenzkosten gegen Null zu treiben, für die klassische Energiewirtschaft grundsätzlich deren Existenz in Frage stellen. Was uns wiederum zur politischen Machtfrage führt. Als direkt verfügbare Primärenergie sind Wind- und Solarstrom sowie Solarwärme ohne Umwandlungsprozesse einsetzbar, was zu den Geschäftsmodellen der Kohle-, Gas- und Atomenergieerzeuger im Widerspruch steht. So ist es denn auch kein Zufall, dass die Reaktion der Energiekonzerne auf die anstehende CO2-Bepreisung schon im Vorfeld darin bestand, in einer Doppelstrategie den Brennstoff zu wechseln - nämlich von Kohle und Atom zu Erdgas - und gleichzeitig die sich daraus ergebenden Emissionsunterschiede zur Grundlage neuer Kapitalbeschaffung zu machen.
Denn wenn Kohleverstromung mehr CO2 freisetzt als die Verbrennung von Erdgas können die sogenannten Verschmutzungszertifikate bei Umstieg auf den "weniger" schmutzigen Brennstoff am "Markt" ETS gewinnbringend verkauft und zur Quelle neuen Reichtums gemacht werden. Die Methanproblematik hat dabei unter den Tisch zu fallen. Die EU hat dies mit ihrem Beschluss zur Reduzierung der Anzahl der Zertifikate im ETS System beispielhaft vorgemacht. Der Markt hatte damit nichts zu tun, es war die politische Entscheidung der Mehrheit der EU Regierungschefs. Womit wir wieder bei der politischen Machtfrage angelangt wären.
Für das gläubige Publikum mag dieses Narrativ von der angeblichen Kraft der Marktsteuerung wohl nur bedingt durchschaubar gewesen sein - es sei denn, die monokausale Argumentation wäre ihnen unangenehm aufgefallen. Nichts auf dieser Erde verläuft monokausal. Nun soll dieser Coup auf der nationalen Ebene neu aufgewärmt werden. Das neue deutsche Narrativ erzählt aktuell von der „Zwischenlösung“, die wie von selbst in eine regenerative Zukunft führen würde. Nachdem der Fuel Switch von der Kohle zum Erdgas faktisch durchgesetzt ist - und da hatte der Markt auch nichts damit zu tun, dies waren die strategischen Entscheidungen der Energiekonzerne - wird jetzt die neue Wasserstoffwelt propagiert. Diese werde mit dem sogenannten blauen, fossil erzeugten Wasserstoff beginnen und beim grünen Wasserstoff enden. Der Markt werde…., nein wird er nicht. Die zusätzlich erforderlichen Wandlungsschritte sollen den Profit bringen.
Bei diesem radikal veränderten Energiemarkt werden die "Preissignale" einer in Wert gesetzten Tonne CO2 nicht viel bewirken. Gegen das Spiel mit den unterschiedlich emissionsbehafteten Brennstoffen sind sie machtlos. So wird der Umstieg von der Kohleverstromung auf die Gasverstromung für die Kraftwerksbetreiber zum Geschäft, während die Endkunden dieser Produkte zur Kasse gebeten werden. Die Preissteigerungen beim Strom sind längst ins Gespräch und so den Verbrauchern nahe gebracht worden. Der naive Glaube, ein marktsteuerndes Element sowie die Überzeugung, die Sonne schicke keine Rechnung, könne alleine wirksam und ausreichend sein, wird unter diesen Bedingungen schlimmstenfalls sogar zur Entwaffnung und Hilflosigkeit führen.
Denn das Geschäftsmodell mit einer Kombination von fossilen Energien und Erneuerbaren ist ein strategisches, das nicht am Markt, sondern in Konzern- und Politikzentralen ausgedacht wurde. Für die Erneuerbaren sieht es die Rolle des Juniorpartners vor, der notfalls auch wegfallen könnte. Diese Überlegung sollte sich gegenüber dem Glauben an ein monokausales Preissignal durchsetzen. Der Neoliberalismus, dem so viele wie trunken nachgelaufen sind, war nie unsere Idee. Es wird Zeit ihn zu überwinden.
Klaus Oberzig