10.11.2023
Guter Wald soll Trassen weichen
Eine Reportage von Heinz Wraneschitz
In Raitersaich, einem Ortsteil der Gemeinde Roßtal in Mittelfranken, ist die geplante Zuleitung zum neuen Umspannwerk in der Kritik. Denn der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Tennet plant, für Leitungstrassen zum geplanten neuen Umspannwerk insgesamt 25 Hektar (ha) Wald zu roden. Unser Reporter war vergangene Woche am Ort der Planung.
Dienstag, 31. Oktober 2023. An einem nasskalten, windigen Vormittag stehe ich mit etwa zehn Aktiven des Umweltverbands Bund Naturschutz in Bayern (BN) und der Bürgerinitiative (BI) „Unser Wald soll leben – trotz Stromtrasse“ auf einem Feldweg zwischen zwei Ackergrundstücken. Direkt im Hintergrund ein etwa 30 Jahre alter Wald, östlich davon das riesige, bestehende Umspannwerk (UW) Raitersaich. Für die Zuleitungen des geplanten Neubaus soll jede Menge Wald gefällt werden.
Die Anwesenden kritisieren die Pläne des Leitungskonzerns heftig. Tom Konopka vom BN erklärt, die Fläche habe „eine ähnliche Dimension wie beim gescheiterten ICE-Werk Nürnberg!“ Was den Regionsbeauftragten des BN für Mittelfranken vor allem stört: Der ÜNB begründet die dafür vorgesehenen Trassen durch den Wald mit Klimaschutz, weil zu wenig Leitungskapazität für den Wind- und Solarstrom existieren würde. „Ja, die Energiewende braucht Veränderungen. Aber Waldrodung ist das Gegenteil von Klimaschutz“, sagt der Umweltaktivist.
Doch die anwesenden Menschen aus dem Grenzgebiet der Landkreise Fürth und Ansbach kritisieren die Tennet-Rodungspläne nicht nur, sie haben auch eine Alternative parat: „Überspannung der Waldstücke.“ Mit gerade mal vier höheren Masten wäre es möglich, auf die Fällung von Bäumen für je 100 Meter breite Trassen zu verzichten, erklären die Anwesenden unisono. Die Mehrkosten dafür lägen im Prozentbereich, seien also „marginal“, wie es Paul Beitzer formuliert, der 1. Vorsitzende der BN-Kreisgruppe Ansbach. Deshalb sei völlig unverständlich, warum Tennet nicht auf diesen Vorschlag von BI und BN eingehe.
Die BI wurde vor allem von Waldbesitzer:innen aus den betroffenen Ortschaften über die Landkreisgrenzen von Ansbach und Fürth Land hinweg gegründet. Sie hat sich bereits mit einer von 600 Menschen unterschriebenen Petition an den Landtag gewandt.
Tennet denkt anders
Ino Kohlmann ist nicht bei dem Termin vor Ort dabei. Der Tennet-Sprecher für die Juraleitung erklärt auf meine Nachfrage: „Wir gehen mit Waldschneisen in die anstehenden Verfahren. Unsere Planung sieht bei den Leitungseinführungen im Nordosten und im Süden je eine Waldschneise vor.“ Doch warum wird der Wald nicht überspannt? Dafür gebe es „Kriterien, die erfüllt sein müssen“; vor allem müsse der Wald „schützenswert oder hochwertig sein. Die Wälder im Norden und Süden des Umspannwerks sind das aber nicht.“
Das sieht Raymund Filmer auf dem Feld bei Raitersaich völlig anders. Filmer gehört zur BN-Ortsgruppe Großhabersdorf, war früher Revierförster im Kreis Fürth und ist selbst betroffener Waldbesitzer: „Ich bin überrascht, wie gut der Wald hier ist.“ Inge Wirth aus dem Dorf Gottmannsdorf im Landkreis Ansbach ist die Sprecherin der BI. Sie betont besonders „die Jungwälder, die wir hier staatlich gefördert klimaresistent vor wenigen Jahrzehnten aufgebaut haben. Die werden nun von Tennet mit einem Federstrich vernichtet.“ Von 15 Hektar (ha) auf Fürther, zehn ha auf Ansbacher Kreisgebiet ist die Rede. Und dort seien, anders als im Fürther Land, noch nicht einmal Ersatzpflanzungen Pflicht, ergänzt Filmer.
Doch was stimmt? Vielleicht werde ich beim Infomarkt im Gasthaus Gelben Löwen in Großhabersdorf dieser Tage erfahren, ob sich die streitenden Parteien annähern konnten. Wobei Inge Wirth von zuletzt „frustrierenden Gesprächen mit Tennet“ berichtet: „Man wird nicht ernstgenommen.“ Dabei sei „Walderhalt im öffentlichen Interesse“, wie Bund und Land immer wieder betont hätten.
Die Frustration ist bei den Betroffenen auf dem Feld auch zu spüren, wenn es um die nun bekannt gewordenen „fünf Genehmigungsverfahren statt eines Raumordnungsverfahrens für alles geht. Das mit den fünf Verfahren ist uns erst jetzt aufgefallen.
Dabei ist es insgesamt ein Ersatzneubau der Juraleitung“, wie Günter Ries aus der Vorstandschaft der Ansbacher BN-Kreisgruppe erklärt. Doch Tennet-Mann Kohlmann betont wiederum auf Nachfrage: „Die Aufteilung der verschiedenen Leitungseinführungen in vier unterschiedliche Planfeststellungsverfahren erfolgt auf ausdrücklichen Wunsch der Regierung von Mittelfranken als der zuständigen Behörde. Mit unserem Wunsch, alle Leitungseinführungen als Einheit zu betrachten, konnten wir uns nicht durchsetzen.“
Auch bei der Pressestelle der Bezirksregierung in Ansbach habe ich nachgefragt. „Bei den Zuleitungen handelt es sich jeweils um Einzelvorhaben im Sinne des Fachplanungsrechts.“ Doch seien bislang „bei der Regierung von Mittelfranken noch keine Anträge für den Neubau des Umspannwerks oder dessen Zuleitungen eingegangen“, erklärt mir ein Sprecher der Behörde.
Inge Wirths BI hat jedoch die Hoffnung nicht verloren. Sie behauptet, in einem Brief habe die Bezirksregierung „unsere Argumente akzeptiert. Laut Regierung muss Tennet Alternativen aufzeigen. Man ist offensichtlich dort sensibel geworden.“ Und BN-Mann Tom Konopka verweist noch „auf die Thüringer Strombrücke: Auch dort hat Tennet Wald überspannt. Es ist ohnehin unser aller Geld, das der Trassenbau kostet.“
Was ist das Umspannwerk Raitersaich?
Das Umspannwerk (UW) Raitersaich ist eines der größten in Süddeutschland. Und es ist der Startpunkt der neuen so genannten „Juraleitung“: Die soll statt der alten 220.000-Volt-Leitung künftig Elektrizität mit einer Spannung von 380.000 Volt auf einer neuen Trasse bis nach Niederbayern transportieren. Das UW soll im Zuge des Neubaus der „Juraleitung“ auf einem Feld etwa 400 Meter westlich des bestehenden komplett neu entstehen.
Als Tennet vor gut drei Jahren die Pläne für die Verlagerung des UW öffentlich machte, hieß es: Das bisherige UW werde nicht mehr gebraucht. Was die Bewohner des Roßtaler Ortsteils gerne zur Kenntnis nahmen.
Davon, dass die Höchstspannungsleitungen zum neuen UW durch bestehenden Wald verlaufen würden, war damals auf den Infoveranstaltungen nicht zu hören. „Das haben wir erst vor wenigen Wochen erfahren, als Tennet die Pläne ins Netz gestellt hat“, so BN-Regionsbeauftragter Tom Konopka.