03.11.2023
Die zwei Seiten der aktuellen Politik
Eine Einordnung von Jörg Sutter
Hat die Bundespolitik in Berlin eigentlich derzeit eine Ampel als Regierung oder zwei Parallelabteilungen, die im Ring gegeneinander antreten? In den vergangenen Tagen ist wieder deutlich zu erkennen, dass es bei der Bundesregierung mit der Grundeinstellung und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit leider nicht weit her ist. Vor allem der Chef des kleinsten Koalitionspartners lässt einen, auch wenn man die Lage politisch neutral betrachtet, nur noch den Kopf schütteln.
Doch fangen wir bei der produktiven Seite an: Das Solarpaket I kommt voran, in der ersten Lesung im Bundestag wurde der Entwurf des Gesetzespaketes an die Ausschüsse verwiesen. Federführend ist der Ausschuss für Wirtschaft und Klima, der nun eine Expertenanhörung für den 15. November angesetzt hat. Das Solarpaket I soll noch in den kommenden Wochen beschlossen werden, damit es zum 1. Januar 2024 in Kraft treten kann. Der Bundeswirtschaftsminister Habeck und sein Haus gehen hier strikt den Weg weiter, der Anfang des Jahres mit einem Aufruf für Verbesserungsvorschläge begonnen hatte. Diese Ideen - aus Politik, Verbänden und der Bevölkerung - wurden in eine Solarstrategie gegossen, diese wurde im Mai fertiggestellt, die Vorschläge darin in zwei Gesetzespakete geteilt: Die schnell umsetzbaren in das Solarpaket I, die komplexeren in das Solarpaket II. Wir haben derzeit keinen Zweifel, dass diese beiden Pakete kommen werden und erwarten des Solarpaket II für das kommende Jahr.
Verbände, Branche und Anwender kennen das Papier vom Mai (wir haben darüber in den DGS-News mehrfach berichtet, z.B. hier und auch hier. Auch wenn es sich damals zunächst nur einen Strategie handelte und die politische Ausgestaltung sowie die Details natürlich erst noch geregelt werden müssen, ist die Marschrichtung klar. Dies wurde in den vergangenen Monaten auch in keiner Weise vom Ministerium oder vom Wirtschaftsminister in Frage gestellt. Die Ausbauziele für die PV sind schon seit der EEG-Änderung im vergangenen Jahr bis weit über die kommenden Jahre hinaus festgelegt.
Anders agiert dagegen aktuell die FDP: Hier erschreckt Bundesfinanzminister Christian Lindner mit der Aussage im Interview des Kölner Stadtanzeigers mit den Worten: „Solange nicht klar ist, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist, sollten wir die Träume von einem Ausstieg aus dem Kohlestrom 2030 beenden. Für das Klima bringt dieses Datum ohnehin nichts, da die in Deutschland eingesparten CO2-Emissionen aufgrund der europäischen Regeln zum Beispiel in Polen zusätzlich anfallen dürfen.“
Hä? Schauen wir in den Koalitionsvertrag: Dort hat auch der FDP-Vorsitzende diesen Satz unterschrieben: „Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig“. Und ein kleiner Faktencheck:
- Erneuerbare Energien sind verfügbar: Wir haben im 1. Halbjahr in Deutschland schon über die Hälfte des Stromes aus Erneuerbaren Energien gedeckt. Am Pfingstmontag hat unser Energiesystem bewiesen, dass wir auch mit einer regenerativen Produktion von über 100-Prozent unseres Strombedarfes im Land sicher und stabil zurechtkommen.
- Erneuerbare Energien sind bezahlbar: Wer die Strompreisspitzen des letzten Jahres noch im Kopf hat: Vielleicht ist mangels Pressemeldungen nicht aufgefallen, dass Photovoltaik-Betreiber nicht über hohe Preise geklagt und gejammert haben – denn deren eigener Strom vom Dach ist nicht teurer geworden – im Gegensatz zu Fossilstrom aus den konventionellen Kraftwerken.
„Träume von einem Ausstieg aus dem Kohlestrom“
Gerade bei solche einem Zitat von Herrn Lindner frage ich mich schon, ob das seine persönliche Meinung ist oder ob seine Partei und die Parteikollegen, die die Energiewende vorantreiben, das mit unterschreiben würden oder ob auch diese hier wieder einmal vor den Kopf gestoßen werden.
„Wir setzen auf einen steigenden CO2-Preis als wichtiges Instrument, verbunden mit einem starken sozialen Ausgleich und werden dabei insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen unterstützen. Was gut ist fürs Klima, wird günstiger – was schlecht ist, teurer“ – auch dieser Satz stammt aus dem – von Herrn Lindner unterzeichneten – Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2021.
Auf der Plattform X bittet Prof. Volker Quaschning, dass doch bitte jemand Herrn Linder erklären soll, dass der Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke nach 2030 wirtschaftlich kaum mehr möglich sein wird. Und nachdem ihm weder aus der Koalition noch aus seiner Partei jemand widerspricht, bemerkt Luisa Neubauer von Fridays For Future: „Lindner zündelt“. Wieso ist sie eigentlich die erste (und bis heute einzige aus dem politischen Umfeld), die betont, dass die Klimaziele völkerrechtlich bindend sind und der Klimaschutz kein Privatproblem von Habeck und FFF sind?
Wir können uns der angeschlossenen Forderung von Frau Neubauer nur anschließen: Die Ampel-Partner müssen diesen Versuch, wieder einmal den mühsam errungenen Kompromiss im Klimaschutz vom Tisch zu werfen, sofort und unmissverständlich abwehren.
Derweil nutzt auch Minister Habeck die Nachrichtenplattform X, jedoch auf staatsmännische Art zum Hamas-Angriff auf Israel: In einem Beitrag über fast 10 Minuten äußert er sich ausführlich: „Die öffentliche Debatte ist aufgeheizt, mitunter verworren. Ich möchte mit diesem Video einen Beitrag dazu leisten, sie zu entwirren“, so der Vizekanzler. Und dann geht es gleich weiter zu einem Besuch nach Großbritannien, um dort wieder Energiethemen zu diskutieren.
Das nebeneinandergestellt zeigt doch deutlich unterschiedlichen Formate der beiden Minister. Leider ist auch der Energiebereich auf die gute Arbeit beider angewiesen.