20.10.2023
Wer steckt hinter dem Wasserstoff-Hype?
Viele Stellungnahmen und wenig Konkretes, hinterfragt von Heinz Wraneschitz
Ja, Wasserstoff-Brennstoffzellen-Systeme kommen als Hilfsantriebe für die Revierfahrt von Hochseeschiffen in Frage. Wasserstoff (H2) als Antriebsstoff für Brennstoffzellen (BZ) kann möglicherweise auch die Elektromotoren großer Luftschiff-Rotoren mit Strom versorgen.
Aber womöglich werden sich selbst in solchen Mobilitäts-Nischenbereichen Photovoltaik-Batteriesysteme als bessere Alternativen herausstellen - die nächsten Jahre werden es zeigen. Doch nicht über solche seltenen, sondern über Massenanwendungen von H2 lesen und hören wir zurzeit, oft sogar mehrmals täglich.
So erfuhren wir vergangene Woche: In Hemmingstedt (Kreis Dithmarschen) soll „Wasserstoff erzeugt und in Salzkavernen gespeichert werden“, weil Bundesklimaminister Robert Habeck dort den – laut E+M „künftigen Kavernenspeicher“ des (sicher teuren) Forschungsprojekts mit Namen „Hystore“ besichtigt hat.
Hubert A. als H2-Promoter
Noch öfter als Habeck nimmt Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger das Wort „Wasserstoff“ in den Mund. Fast könnte man meinen, er ist ein Tag- und Nachtaktiver, der – natürlich „technologieoffen“ – „mit unserem Wasserstofftankstellen-Programm und dem Aufbau der entsprechenden Elektroauto-Ladeinfrastruktur Anreize für eine klimafreundliche Mobilität“ ganz alleine schafft. Dabei gibt es bis heute deutschlandweit gerade mal knapp 100 solcher H2-Zapfsäulen.
Dennoch hat das Institut für Weltwirtschaft ifw Kiel für den brandaktuellen „Subventionsbericht“ 1,5 Mrd. Euro jährlich als Finanzhilfen für Deutschlands Wasserstoffwirtschaft ermittelt. Was darauf hindeutet: Da brauchen sich keine kleinen Mittelständler drum bemühen, da halten schon die „Großen“ gerne die Hände auf oder drauf.
Aus Erdgas- wurde Wasserstofflobby
In der Öffentlichkeit ist etwa „Die Stimme der Gas- und Wasserstoffwirtschaft“, laut zu vernehmen, in die sich der Verein „Zukunft (Erd-)Gas e.V.“ vor ein paar Jahren verzaubert hat. Zwar sind von der Aschaffenburger Versorgungs-GmbH bis zum ZVO Zweckverband Ostholstein auch jede Menge regionale Gasversorger Mitglieder des Lobbyvereins. Aber eben auch jene, die schon früher beim verschwenderischen Gas-Ein- und Verkauf vornedran standen: Der „Bundesverband der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft“ BDEW beispielsweise, Wintershall DEA, Uniper, Verbundnetz Gas VNG, Thüga Energie oder Evonik, das früher mal Ruhrkohle hieß.
Spätestens seit Zar Putin die Ukraine überfallen hat und damit das billige Erdgas aus Russland nicht mehr durch die Druckleitungen zu uns gepumpt wird, sehen die einstigen Gaserer offensichtlich ihre alte Geldquelle versiegen und versuchen, eine neue anzubohren: Wasserstoff (H2) eben. Wobei Wasserstoff – viele Menschen vergessen das ja – nur in sehr begrenztem Maße „natürlich“ vorkommt, sondern heutzutage großteils aus – inzwischen viel teurer gewordenem – Erdgas gewonnen wird. Weil das beileibe nicht klimaneutral vonstattengeht, wird das so erzeugte H2-Gas „Grau“ genannt.
Hohe Umwandlungsverluste
Und wenn tatsächlich „Grüner“ H2 mit Hilfe von Ökostrom per Wasserelektrolyse erzeugt wird, geht selbst mit sehr guter Aufspaltungstechnik mehr als ein Viertel des eingesetzten Wind-, Solar- oder Wasserkraftstroms verloren, wie zum Beispiel das Zukunft-Gas-Mitglied GASAG verrät.
Zwar werden immer wieder Effizienzrekorde verkündet – so 2022 von 98 Prozent. Aber realistisch im Einsatz sind bis heute Aggregate mit 60 bis 70 Prozent, über die der BDEW berichten kann.
Zudem: Es gibt bislang recht wenig solcher Elektrolyseure für Grünen H2. So stand „Bayerns größte Elektrolyseanlage“ im oberfränkischen Wunsiedel Anfang dieses Jahres knapp „vor dem Aus“. Ausgerechnet die Habecksche Strompreisbremse soll daran Schuld gehabt haben.
Doch Zukunft Gas ficht das nicht an. So lud der Verein am 16. Oktober zu einer Online-Veranstaltung mit dem nicht gerade zurückhaltenden Titel „Bei Wasserstoffhandel voll aufdrehen“.
Wo ist der vielgepriesene Grün-Wasserstoff?
Dass der H2-Hahn einfach so aufgedreht werden kann, da hat wohl sogar der oberste PR-Mann des Lobbyverbands Zweifel. Jedenfalls sprach Charlie Grüneberg, einst Wirtschafts-Redaktionsleiter des Bayerischen Rundfunks, von „der CO2-freien, oder CO2-armen Wasserstofferzeugung“ als einem „Gut, das es noch gar nicht gibt. Heute gibt es eigentlich nur Grauen H2.“ Doch obwohl nach Grünebergs Meinung „weil so gering verfügbar, eine Preisbildung kaum möglich“ sei, seien „Grundlagen für den Handel“ gefragt.
Deshalb und dafür hat der Gaszukunftsverein die EWI gGmbH beauftragt: Das „Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln“ sollte „in einer Kurzanalyse die Kosten und Risiken schätzen für Produktion, Erzeugung, Versorgung“, wie der ziemlich gatzende, sehr unsicher wirkende EWI-Forscher Michael Moritz erläuterte. Unter „vergleichbaren Annahmen“ seien die Zahlen für 120 Ländern ausgerechnet worden. Beispielhaft trug Moritz die Ergebnisse für Spanien, Algerien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Chile vor.
Doch auch wenn laut EWI-Analyse die VAE und Algerien wegen ihrer massiven geopolitischen Risiken als sehr unsichere Lieferländer für Deutschland gelten: Diese und andere nichteuropäische Nationen sollen künftig die H2-Versorgung der Bundesrepublik zu etwa 55 Prozent sicherstellen. 35 Prozent des H2 sollen uns EU-Länder zuliefern, nur zehn Prozent des benötigten Grünen Energiegases solle hierzulande selber hergestellt werden, so Moritz. (Un-)passend dazu hat der Chemielobbyverband Dechema am Mittwoch dieser Woche seine „Machbarkeitsstudie für Grünen Wasserstoff in Namibia“ ins Spiel gebracht.
Eine alte Leitstudie als Grundlage für neue Pläne?
Bei seiner 55/35/10-Aufteilung berief sich EWI-Forscher Moritz übrigens auf die so genannte „DENA-Leitstudie“ aus dem Jahr 2018, die für das Jahr 2045 von einer benötigten H2-Menge von 458 TWh ausgeht. Zum Vergleich: 2019 wurden in Deutschland etwa 870 TWh Erdgas verbraucht. Doch obwohl heute nur ein Bruchteil dieser Grün-H2-Menge zur Verfügung steht: Es gibt bereits „HYDRIX – den Wasserstoffindex“. Damit will die Strombörse European Energy Exchange (EEX) eine H2-Handelsplattform aufbauen, verriet Sirko Beidatsch, Expert Gas Markets von der EEX.
„Der Hochlauf ist bis 2026 mühevoll, denn bisher ist der Markt nicht geöffnet, lediglich ein bis zwei Prozent Grüner H2-Anteil. Erst wenn das H2-Kernnetz steht, wird ein Handel möglich“, blickte Beidatsch in die (auch von Aiwanger immer wieder herbeigesehnte) Zukunft und erwartet „nach 2030 einen H2-Handel wie bei Strom und Gas“. Trotz alledem veröffentliche Hydrix seit 24. Mai 2023 „nur für Grünen H2 jeden Mittwoch 17 Uhr einen echten marktbasierten Preis-Index“, errechnet aus Nachfrage und Angebot als Online-Darstellung. „Damit wurde ein schlafender Riese geweckt, damit Infrastrukturinvestitionen getätigt werden können“, so der EEX-Mann.
Wie wird Grün-H2 zertifiziert?
Philipp Barnickel, Senior Consultant von „FairConsult 24|7“, setzt für einen solchen Handel mit grünem Wasserstoff auf die Blockchain-Technologie (DLT), mit der ein Herkunftsnachweis möglich sei. Denn bei der Blockchain-Technologie „liegen die Daten nicht in einer Hand und sind nicht veränderlich“.
Doch wie soll ausgerechnet „die Sensorik die Qualitätsmerkmale von Grünem H2 garantieren“, wie Barnickel auf Nachfrage versprach? Denn laut EEX muss die Reinheit 98 Prozent betragen, das seien „regulatorische Vorgaben“, so EEX-Fachmann Beidatsch.
Aber vielleicht kommt ja alles ganz anders. Denn immerhin hat der Greenpeace-Ableger „Green Planet Energy eG“ ebenfalls Mitte Oktober 2023 in einer Studie gezeigt, „wie grüner Wasserstoff durch flexible Produktion sinnvoll eingesetzt werden kann“. Dabei plädiert Green Planet für einen „nachhaltigen Wasserstoff-Hochlauf in Deutschland“.
Ganz wichtig seien dafür „strenge Nachweiskriterien für grünen Wasserstoff: Zu lasche Vorgaben würden zu Intransparenz führen und damit Greenwashing ermöglichen”, sieht nämlich Carolin Dähling von Green Planet Energy ansonsten voraus. Außerdem fordert die Ökogenossenschaft dafür einen Ausbau der Ökostrom- und darauf basierend Wasserstoff-Produktion in Deutschland. Anders als die Gaslobbyisten, die H2 bevorzugt aus dem unsicheren Rest der Welt importieren wollen.
Zumal ohnehin „heimischer grüner Wasserstoff konkurrenzfähiger als erwartet“ sei, wie das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH im Juni 2023 herausgefunden hat.