22.09.2023
Hat Kunst die Macht, Dinge zu verändern?
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Neue Blickwinkel auf die Klimakrise zeigt die aktuelle Ausstellung „Burning Down the House“. Die Fotoarbeiten mehrerer internationaler Künstler:innen machen auf „Prozesse und Beteiligte des Klimawandels“ aufmerksam. Ein Besuch.
„I'm an ordinary guy, burning down the house. Hold tight, wait 'til the party's over“, singen die Talking Heads im Song „Burning Down the House“. So lautet auch der Titel einer neuen Ausstellung in der AFF Galerie e.V. in Berlin. Zu sehen sind Arbeiten der Künstler:innen Sophie Allerding, Elliott Kreyenberg, Anouk Kruithof, Alexander Nikolsky, Lesha Pavlov und Igor Tereshkov.
„Prozesse und Beteiligte des Klimawandels“
Kuratiert wurden die Fotoarbeiten von der Dozentin für digitale Medien Franca Wohlt, der Kunsthistorikerin Natascha Pohlmann und dem Künstler Alexander Nikolsky, der hier auch eigene Arbeiten ausstellt. Für das Trio stellt der Klimawandel im Anthropozän eines der dringlichsten Themen dar. Dabei sei die Welt unüberschaubar geworden, und abhängig von Ressourcen. Das Kuratierteam möchte auf die Folgen, die wir erleben, aufmerksam machen, und auf die, die wahrscheinlich noch passieren werden. Die ausgestellten fotografischen Arbeit befassen sich einerseits mit lokalen Entwicklungen, die zeitgleich an anderen Orten in ähnlicher Form geschehen: der steigende Meeresspiegel und wie das die Gesellschaft dazu zwingt, sich darauf einzustellen („Waterland“ von Sophie Allerding); Klimaaktivist:innen, die den Dannenröder Wald besetzt haben, der für den Bau einer mehrspurigen Autobahn abgeholzt wurde („Endzeit“ von Elliott Kreyenberg); eine Video-Collage aus verschiedenen YouTube-Videos, die das Schmelzen von Gletschern dokumentieren („ICE CRY BABY“ von Anouk Kruithof). Anderseits verschaffen sibirische Künstler einen Einblick in ihre Erlebnisse und Beobachtungen: der Abbau fossiler Brennstoffe und die komplexen Auswirkungen auf die Landschaft („Ex Humus“ von Alexander Nikolsky); Spuren regionaler Erderwärmung („Messengers and Promises“ von Lesha Pavlov) und Folgen der Erdölförderung („Oil and Moss“ von Igor Tereshkov).
Laut dem Kurator:innen fordert der Klimawandel uns alle heraus, im Alltag das gesellschaftspolitische Gefüge als Gesamtheit zu erfassen. Deshalb sind ihnen neben der Darstellung verschiedener Sichtweisen auch Austausch und Diskussion wichtig, sowie „der Zusammenschluss von Menschen, die sich diesen relevanten Dynamiken widmen“. Vergangene Woche luden sie zu einem Podiumsgespräch ein. Bei diesem „artist talk“ sprach Franca Wohlt mit Lena Fließbach, Angelina Davydova und Alexander Nikolsky. Die Gesprächsrunde drehte sich um die Frage, was Kunst in Zeiten des Klimawandels bewirken kann.
„Der Aktivismus wird zunehmen"
Fließbach kuratierte vergangenes Jahr eine Ausstellung über „Zero Waste“ und engagiert sich für Nachhaltigkeit. Für sie ist Kunst sehr wichtig, um Menschen zu erreichen. Angesichts des Klimawandels tragen wir Menschen ihrer Meinung nach alle Verantwortung zu handeln. Dabei ist es ihrer Meinung nach wichtig weiterhin Kunst zu produzieren, und den Besucher:innen Hoffnung zu vermitteln. Kunst ist für sie von besonderer Bedeutung. „Kunst die Kraft hat, Sachen zu verändern“, sagte sie.
„Der Aktivismus wird zunehmen", meinte sie auch. Da die politisch Verantwortlichen „nicht viel ändern“ würden, müsste die Zivilgesellschaft „andere Wege finden" (die DGS-News veröffentlichten diesen Sommer einen Beitrag, der sich mit der „Wirkmacht des Aktivismus“ befasst).
Auf Nachfrage teilte sie dem Publikum Tipps mit, wie Gefühle von Machtlosigkeit vermieden werden können. Eine Möglichkeit sei mit Menschen zu sprechen, die ähnlich denken und die gleichen Gefühle haben. Außerdem empfahl sie eine Gemeinschaft und ein Netzwerk zu haben. „Wenn man eine Gruppe hat, fühlt man sich nicht so machtlos", ergänzte sie. Man könne verschiedene Ansätze einbeziehen, voneinander lernen und so Lösungen finden.
„Der Kyoto-Vertrag hat sich für die Länder des Nordens bewährt“
Die Journalistin Angelina Davydova ist Beobachterin bei den UN-Klimaverhandlungen und Mitglied des World Future Council. „Die Menschen möchten all die negativen Geschichten nicht hören“, sagte sie in der Podiumsdiskussion. Ihr Argument: Immer mehr Menschen würden es aktiv vermeiden, Nachrichten zu lesen, wie eine Untersuchung aufzeige, die das Reuters Institut durchgeführt hat (Digital News Report 2022). Mit Blick auf die Klimaveränderungen sagte Davydova, dass wir Menschen „lernen müssen, in dieser neuen Realität zu leben“. Innerhalb eines Teams von Umweltschützern und Umweltjournalisten berichtet sie regelmäßig über Umweltfolgen des Ukraine-Krieges. „Krieg ist auch eine Umwelttragödie", sagte sie. Sie verstehe nicht, warum so viel Naturzerstörung geschehe und so viel Energie dafür aufgewendet werde, Waffen zu produzieren.
Auf Nachfrage erklärte Davydova, dass früher bei den UN-Klimaverhandlungen „der Grad der Komplexität viel einfacher war“. Beim Kyoto-Vertrag (die DGS-News berichteten zum 25. Jahrestag) etwa wurde zwischen „ Annex 1“ und „Annex 2“ Ländern unterschieden. Letztere seien inzwischen die Länder, mit den höchsten Emissionen an Treibhausgasen. Der Kyoto-Vertrag ist ihrer Meinung nach ein Instrument, „das sich für die Länder des Nordens bewährt hat“. Die Schattenseite erwähnte sie auch: „Annex-1-Länder verlagerten ihre Industrien in Annex-2-Länder.“ Deshalb sei „ein neuer Rahmen notwendig“.
„Kunst traumatisiert nicht"
Selbstkritisch teilte Alexander Nikolsky mit, er habe einen hohen CO2-Fußabdruck, da er aufgrund seiner Fotoprojekte viel reise. Er zeigt in der Galerie bewusst keine fotojournalistische Arbeit. „Fotojournalisten sind nah dran an den Protagonisten, doch in der Kunst ist es wichtig Abstand zu halten“, sagte er. Kunst habe bestimmte Wirkungen auf die Menschen. „Kunst traumatisiert nicht", erklärte er. Allerdings nehme die Wirkung, die Kunst hat, ab. Als Beispiel nennt er Videos, wie die, die Anouk Kruithof für die Collage genutzt hat. Solche Darstellungen seien für viele Menschen inzwischen reine Unterhaltung – „Entertainment“.
Fragen und Antworten
Kritik aus dem Publikum gab es für einen Aspekt der Ausstellung: Neben den exponierten Arbeiten sind keinerlei erklärende Texte angefügt. Angesprochen auf diese Entscheidung erklärte die Kuratorin Natascha Pohlmann, dass die angesprochenen Themen „universell" seien. „Es ist so wichtig, dass es keinen Text gibt", meinte sie. So gebe es nicht nur einen schmelzenden Gletscher auf dem Planeten. „Das kann jeder Wald sein“ sagte sie, auf die Fotoserie von Elliott Kreyenberg zeigend. Mit Blick auf die Fotoarbeit von Sophie Allerding ergänzte sie, dass nicht nur die Niederlanden vom Meeresanstieg betroffen seien, „es passiert bereits". Gerichtet an das Publikum ergänzte sie: „Es hängt davon ab, wo man die stärkere Verbindung hat, ein Wald, ein Berg, ...“ Ihr Lösungsansatz sei Positionen zusammenzubringen: „Wir sind alle verbunden, es ist unsere Welt."
Angesprochen auf den Ausstellungstitel bestätigte Pohlmann, dass sie der Song „Burning Down the House“ inspiriert habe. Es sei ein Lied voller Energie, außerdem würden „Kunst und Musik helfen, aufzustehen und etwas zu tun".
Die bislang stärksten Reaktionen des Publikums gebe es bisher auf die Videos der kollabierenden Gletscher, erwähnte die Kuratorin Franca Wohlt. Sehr interessierte Blicke erhalte außerdem die Arbeit von Igor Tereshkov. Er zeigt Fotonegative von Aufnahmen aus Sibirien. Die Negative hatte er in der Entwicklungsphase mit einer Flüssigkeit bearbeitet, die Ölverschmutzungen aus dem Bezirk KhMao enthält. Das Öl zerstört die Oberfläche der Negative, die Verformungen im Material sollen auf die durch Ölverschmutzung geschädigte Natur hinweisen. Dieses Ausstellungsexponat sei „wie ein Beweismittel, wie Wissenschaft“, so Wohlt.
Die Ausstellung ist bis zum 1. Oktober geöffnet.