16.12.2022
Transformation im Konsens? Eine Quizfrage
Ein Kommentar von Tatiana Abarzúa
Wie heißt der erste völkerrechtlich verbindliche Vertrag, der den Klimawandel aufhalten sollte? Das Übereinkommen von Paris ist es definitiv nicht. Ein Hinweis: Der gesuchte Vertrag wurde zu Beginn der kommerziellen Phase des Internets unterschrieben, Ende der 1990er Jahre. In Kraft getreten ist dieser Vertrag jedoch erst acht Jahre nach der Unterzeichnung. Als sich die Welt entscheidend gewandelt hatte.
Delegationen von rund 170 Vertragsstaaten trafen sich am 1. Dezember 1997 in der japanischen Stadt Kyoto zur dritten Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. Dieser Erdgipfel sollte ein Treffen von enormer Tragweite werden. Das Anliegen: Klimaschutzvorgaben, die weltweit gelten.
Vor 25 Jahren
Im Entwurf stand das Minderungsziel von insgesamt 6 % weniger Treibhausgasen (THG) als 1990. Am 11. Dezember und 20 Stunden nach dem ursprünglich geplanten Ende der Konferenz, kam es zur Einigung im Vorbereitungsausschuss: 5,2 % Emissionsminderung war Konsens. Zwei Stunden später war es soweit, die Konferenz übernahm den Vorschlag und beschloss den ersten völkerrechtlichen Vertrag, mit einer rechtlich bindenden Begrenzung des THG-Ausstoßes: Das Kyoto-Protokoll.
Was wurde beschlossen?
Die beteiligten 41 Industrieländer verpflichteten sich zu Emissionsminderungen bei Kohlendioxid, Methan, Lachgas, Halogenierten Fluorkohlenwasserstoffen, Fluorkohlenwasserstoffen und Schwefelhexafluorid. Die EU sagte damals eine Reduktion um 8 % zu, die USA 7 %, und bei Kanada, Ungarn, Japan und Polen waren es 6 %. Für die Länder Neuseeland, Russland und Ukraine galten keine Emissionsziele, während Norwegen (+1 %), Australien (+8 %) und Island (+10 %) die THG-Emissionen erhöhen durften. Die Minderungsziele bezogen sich auf den Zeitraum 2008 bis 2012. Rechtskräftig wurde der Vertrag sobald er ratifiziert war.
Mach´ dir die Welt, wie sie dir gefällt
Das Kyoto-Protokoll gab den beteiligten Staaten die Möglichkeit, die Emissionsminderungen außerhalb der Landesgrenzen, und „möglichst kosteneffizient“, zu erzielen. Dazu dienen „Emissionshandel“, „Clean Development Mechanism“ (für „Emissionsminderungsmaßnahmen im Ausland, die sowohl dem Klimaschutz als auch der Entwicklung dieser Länder dienen“ sollen), und „Joint Implementation“ (für „Klimaschutzprojekte in anderen Industriestaaten“). Hier stellt sich die Frage, ob solche „ökonomischen Instrumente zur Unterstützung für Industrieländer“ Teile der Lösung oder Teile des Problems sind. Außerdem: Die konkreten Modalitäten für diese, letztendlich auch zentralen Punkte des Protokolls, wurden erst nach Kyoto, in Folgeverhandlungen definiert.
Wann wurde es ratifiziert
Das Protokoll tritt in Kraft, wenn es mindestens 55 Staaten ratifizieren, die gleichzeitig 1990 für mindestens 55 % der THG-Emissionen der Industrieländer verantwortlich waren. Bis es soweit war, konnten Konzerne mit Fossilenergie-Business-as-usual-Profit rechnen. Die erste Bedingung – 55 Staaten – erfüllte sich am 23. Mai 2002, als Island das Protokoll ratifizierte. Die USA haben das Protokoll als einziges Industrieland nicht ratifiziert. Die zweite Bedingung – mindestens 55 % der THG-Emissionen der Industrieländer – erfüllte sich erst am 5. November 2004 mit der Ratifizierung durch die russische Duma. Am 16. Februar 2005 trat das Kyoto-Protokoll in Kraft. Finally.
Was wurde damit erreicht?
Bis 2012 (erste Verpflichtungsperiode) verminderten sich die THG-Emissionen in den durch den Vertrag verpflichteten Industriestaaten um mehr als zwanzig Prozent im Vergleich zu 1990. Das hatte mehrere Gründe, die nicht nur mit Klimaschutzmaßnahmen in Verbindung stehen Etwa die Finanzkrise, der Zusammenbruch osteuropäischer Volkswirtschaften oder wirtschaftliche Folgen der Wiedervereinigung für die Bundesländer der ehemaligen DDR, wie die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) berichtet.
Zwischen Kyoto-I und -II
Am 13. Dezember 2011 teilte die kanadische Regierung mit, dass das Land aus dem Abkommen aussteigt. Japan, Neuseeland und Russland waren auch nicht bei der zweiten Verpflichtungsperiode dabei. Die Teilnehmerländer der Vertragsstaatenkonferenz 2012 einigten sich darauf, das Kyoto-Protokoll bis 2020 fortzusetzen und bis dahin ein Minderungsziel von 18 % zu erreichen (gegenüber 1990). Überschüssige Emissionsrechte aus der ersten Verpflichtungsperiode konnten vollständig übertragen und im Emissionshandelssystem gehandelt werden. Es wurde ein weiteres Treibhausgas reglementiert: Stickstofftrifluorid. Nach Angaben des Umweltbundesamts war eine Anrechnung von THG aus der Forstwirtschaft nicht erforderlich. Ausgerechnet die größten THG-Emittenten,USA, China und Indien, verpflichteten sich nicht zur THG-Minderung, wie bpb betont. Das führte dazu, dass diejenigen Länder, die Reduktionsverpflichtungen eingegangen sind (die Kyoto-II-Staaten), als für einen relativ geringen Anteil an den weltweiten Emissionen verantwortlich gelten. Nach Angaben der bpb waren es 15 %.
Warum wir einen anderen Blickwinkel brauchen
Der Wachstumszwang hat die Erdgrenzen erreicht. Das es so passieren würde, ist seit Jahrzehnten bekannt. Doch in den letzten Jahren hat sich die Deutung der Klimakrise verlagert. Natur- und Umweltschutz, etwa mit konkreten Verboten für die Nutzung bestimmter toxischer Stoffe (wie 1993 Asbest oder 1988 und 1996 bleihaltiges Normal- und Superbenzin), sind einem CO2-zentriertem Weltbild gewichen. Die Fokussierung auf einen quantifizierbaren CO2-Ausstoss als Maßeinheit für Klimawandel hat dazu geführt, dass Atomstrom, Erdgas, Fracking als Lösungswege suggeriert werden, da sie gemäß CO2-Buchführung „weniger Klimagase als Kohle“ emittieren.
The German Energiewende
In den Jahren nach Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls entfaltet sich in Deutschland die Wirkung der visionären Strategie des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes. Es kommt zu einem bemerkenswerten, deutlichen Ausbau der Anzahl an Windkraft- und Solarstrom-Anlagen. Das hat Wandlungskräfte in Bewegung gesetzt: 2020 erreichte der Anteil Erneuerbarer Energien an der Nettostromerzeugung erstmals mehr als 50 Prozent. Und dieser Erfolg hat absolut nichts mit einem Handel mit Emissionsrechten zu tun!
Weitere Argumente für ein Überdenken der aktuellen globalen klimapolitischen Maßnahmen um die Erderwärmung zu begrenzen, liefert ein aktuelles Interview mit Hermann Ott. „Es war ein Webfehler des Kyoto-Protokolls, dass es nur die Emissionen auf dem Territorium eines Staats berücksichtigt, nicht aber jene, die bei der Herstellung importierter Waren entstehen“, zitiert ihn die Stuttgarter Nachrichten. Verantwortlich dafür, „dass es so langsam vorangeht“, seien vor allem „große fossile Unternehmen“. Und: es werde „immer irgendwen geben, dem der Entzug doch zu anstrengend ist“, deshalb könne eine Transformation nicht im Konsens gelingen, ergänzt der Umweltjurist.
Sollten mal, in dieser Jahresabschlusszeit zwischen Betriebsfeiern und Familientreffen, die Gesprächsthemen ausgehen, und Sie unbedingt die Themen Krieg, Gaspreise oder #TwitterDown meiden wollen: Denken Sie an die Quizfrage zu Beginn.