21.07.2023
Sozial gerecht ist, was Klimaschutz schafft
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Die Uni-Gruppe „TU Berlin for Future“ führte vor längerer Zeit eine interdisziplinäre „Ringvorlesung zum Klimaschutz“ ein. Die aktuelle Reihe des Sommersemesters endete diese Woche mit einer spannenden Talkrunde zum Thema „Soziale Gerechtigkeit als Schlüssel zu erfolgreichem Klimaschutz“. Die Vorlesungsreihe beleuchtet unter anderem, „welche Kosten durch den Klimawandel entstehen, wie eine klimafreundliche Ernährung aussieht, welche Stellschrauben im Bereich Bauen und Wohnen wichtig sind oder wie eine Wärmewende durch Geothermie vorangetrieben werden kann“.
Bei der Podiumsdiskussion diese Woche ging es um die Frage, „wer sind die Verursacher und die Betroffenen der Klimaerwärmung“, so die Moderatorin Prof. Martina Schäfer zur Einführung. Außerdem fragte die wissenschaftliche Geschäftsführerin des Zentrums Technik und Gesellschaft ihre Podiumsgäste nach dem bestehenden Handlungsspielraum auf kommunaler und nationaler Ebene.
Millionen von Menschen sind Binnenvertriebene
Astrid Schaffert, Referentin sozial gerechte Klimapolitik beim Deutschen Caritasverband, erzählte, das Hilfswerk ihres Verbandes helfe weltweit Menschen, die von Naturkatastrophen betroffen sind. Sie wies darauf hin, dass die Attributionsforschung bei der Analyse von extremen Wetterereignissen wie Dürren oder Hitzewellen ausreichend Belege dafür habe, dass solche Notlagen „auf die Klimakrise zurückzuführen sind. Es gibt 30 Millionen Binnenvertriebene weltweit“, die zwar aufgrund wetterbedingter Naturkatastrophen vertrieben werden, „aber in ihren Ländern bleiben“, ergänzte sie.
Narrative erkennen
In der Gesprächsrunde war Schafferts Anliegen deutlich zu erkennen, über dominante Narrative aufzuklären. Die Erzählung, „Klimaschutz ist nur etwas für Besserverdienende, ist falsch“, sagte sie. Sie appellierte daran, dass „wir“ gesellschaftlich dazu kommen, zu sagen „Klimaschutz statt Armut“. Das 9-Euro-Ticket nannte sie eine gelungene Maßnahme, welche die Teilhabe armer Menschen befördert habe, und gleichzeitig durch die Vermeidung von Verkehrsemissionen erfolgreicher Klimaschutz war.
2003: Erster großer Hitzesommer Europas
Als Vertreterin des Umweltbundesamts (UBA) sprach die Diplom-Soziologin Christiane Bunge. „2003 war der erste große Hitzesommer Europas“, erklärte sie, „vor allem die erste Augusthälfte war sehr heiß“. Damals gab es viele Tropennächte. Laut der wissenschaftlichen Mitarbeiterin im Fachgebiet „Übergreifende Angelegenheiten Umwelt und Gesundheit“ nehmen in vielen Regionen die Häufigkeit und Intensität von Hitzeereignissen kontinuierlich zu, in manchen Gebieten kommt es zu Starkregenereignissen. Bezogen auf Deutschland erinnerte sie das Publikum daran, dass ziemlich genau vor zwei Jahren jene Flutkatastrophe geschah, von der vor allem die Menschen im Ahrtal betroffen waren. „Damals sind 180 Menschen gestorben“, ergänzte Bunge.
Ungleichheit in Zeiten der Erderwärmung
Mit dem Blick auf die Klimaerwärmung stellte sie auch klar, dass viele Erkrankungen und viele Todesfälle "direkt auf Hitze zurückzuführen“ sind. Vulnerabel seien vor allem Ältere, Schwangere, chronisch Kranke. Dazu kämen Menschen mit physischen und psychischen Belastungen. „Davon sind eher sozial schlechter gestellte Menschen betroffen“, die etwa im Niedriglohnsektor auf Baustellen arbeiten. Sie seien doppelt benachteiligt.
Außerdem würden oft gerade Menschen mit weniger finanziellen Ressourcen in Wohnungen leben, die in keinem guten Zustand sind. Diese lägen oft in Quartieren mit hoher Luft- und Lärmbelastung und wenig Grünflächen. Deshalb „können sich viele sozial schlechter Gestellte weniger gut an Hitze anpassen“, ergänzte die UBA-Fachfrau. Auch Alleinerziehende mit niedrigem Einkommen zählte sie zu der gesellschaftlichen Gruppe, die kaum Ressourcen hat, um ihre Wohnungen an die Hitze anzupassen. Bunge konstatierte: „Die bestehende Ungleichheit, auch in Deutschland, wird durch den Klimawandel verstärkt.“
Gesellschaftlicher Zusammenhalt im Blick
Jérémie Gagné, der einzige Mann auf dem Podium, sprach über eine Studie, die er gemeinsam mit Laura-Kristine Krause für die gemeinnützige Organisation „More in Common“ durchgeführt hat. Die heißt „Einend oder spaltend? Klimaschutz und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland“ und basiert auf Fokusgruppen-Befragungen von 2.000 Menschen in Deutschland. Diese Interviews mit Vertreter:innen verschiedener Gruppen dauerten jeweils zwei Stunden und fanden Anfang 2021 statt. „Das Bewusstsein über Klimawandel ist sehr weit verbreitet und das Wissen gut vermittelt“, teilte Gagné mit. In der Zeit, als die Befragung durchgeführt wurde, sorgten sich die Menschen sehr stark um den „beobachteten Naturverlust“, ergänzte er.
Gibt es ein „Vertrauensdefizit“?
Die Leugnung des Klimawandels sei selten ein Thema gewesen, sagte Gagné. „Stärker als das, glauben Menschen, dass Klimawandel nicht stoppbar ist“, stellte er fest. Deshalb sieht er ein „Vertrauensdefizit“ in der Gesellschaft. Ein Fehlen von Vertrauen beruhe auch darauf, „dass viele Menschen nicht verstehen, dass die Politik Maßnahmen, die sehr wirksam und machbar sind, nicht umsetzt“, ergänzte Caritas-Mitarbeiterin Schaffert. Als Beispiel dafür nannte sie die fehlende Einführung eines Tempolimits.
Von Diskrepanzen und Lösungswegen
Schaffert betonte auch die unterschiedlichen Mengen an Emissionen, die verschiedene Lebensstile verursachen. Treibhausgase von „ein bis zwei Tonnen CO2 pro Person und Jahr ist okay, sagt das UBA“, teilte Schaffert mit. Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung aber emittierten über 30 Tonnen CO2 pro Person und Jahr.
Gagné äußerte die These, dass die Menschen „Verbindlichkeit“ wollen, und „das müsse gesellschaftlich noch verhandelt werden“. Außerdem sei es in Deutschland noch nicht gelungen, „ein starkes Modell zu leben, dass die Gesellschaft gerecht sein soll“; in den skandinavischen Ländern sei das sehr wohl gelungen.
Christiane Bunge nannte Beispiele, die zu einer „sozialen Stadt“ führen, wie etwa im Rahmen von Quartiersmanagement versiegelte Flächen in Grünflächen umzugestalten. Astrid Schaffert wiederum forderte Änderungen in der Infrastruktur. „Ein reiner Antriebswechsel wird nicht funktionieren“, sagte sie. Deshalb müsse der motorisierte Individualverkehr verdrängt werden, auch in Berlin, und das Deutschlandticket noch günstiger werden. Ihrer Meinung nach werden Probleme erst dann öffentlich diskutiert, „wenn die Mittelschicht betroffen ist“.
Was noch fehlte
Als die Gesprächsrunde über die Talkgäste hinaus, auf das Publikum in der Aula und online erweitert worden war, fragte eine Zuhörerin, ob die erwähnten Studien und Berichtsergebnisse auch die Ursachen der Klimakrise erwähnen. Das wurde verneint. Die Fragende kritisierte zudem, dass kein einziges Mal das Wort „Kapitalismus“ gefallen sei.
Mit Blick auf die von ihm mit verantwortete Studie stellte Herr Gagné fest, „dass es Bevölkerungsgruppen gibt, in denen seltener ein Gefühl von Selbstwirksamkeit verankert ist“. Er sprach von „agency“, im Sinne von Handeln. „Dort wo agency fehlt, ist großer Pessimismus“, sagte er. Diejenigen Menschen, die keine eigenen Handlungsmöglichkeiten sehen, würden auf die Politik warten, „dass die soziale Gerechtigkeit herstellt“. Deshalb befürworte er, „breite gesellschaftliche Allianzen zu bauen“.