23.07.2021
Stark- und Dauerregen Mitte Juli – Eine erste Einordnung
Eine Recherche von Tatiana Abarzúa
Das Ausmaß der Flutkatastrophe im Rheinland-Pfalz (aktuelle Hochwasserlage) und Nordrhein-Westfalen (aktuelle Hochwasserlage) hat viele Menschen schockiert. Mindestens 175 Menschen sind gestorben, 155 Menschen werden vermisst. wie die Tagesschau berichtet. Hunderte wurden verletzt, mehrere Orte sind wegen überfluteter und unterspülter Straßen oder zerstörter Brücken schwer erreichbar und das Strom- und Mobilfunknetz ist zum Teil zusammengebrochen. Auch in den Nachbarländern führten die extremen Niederschläge zu Überschwemmungen und vielen Opfern, etwa im Osten von Belgien. Am folgenden Wochenende kam es im Südosten von Bayern und Sachsen ebenfalls zu Unwettern.
War das Ausmaß der Katastrophe absehbar? Wie überraschend war der Starkregen?
Zunahme der Häufigkeit von Starkniederschlägen
Laut Tagesschau erhielten die Landesämter für Umwelt in Bayern, Hessen und Sachsen und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn Warnungen durch das Europäische Hochwasserwarnsystem (European Flood Awareness System, EFAS) „vor einer bedrohlichen Wetterlage mit bis zu 200 Liter Regen pro Quadratmeter binnen weniger Stunden“. Von über 25 Warnungen zwischen dem 10. und den 14. Juli für das Einzugsgebiet von Rhein und Maas (für Belgien) ist hier die Rede.
Der Trend ist eindeutig: „Über den Gesamtzeitraum 1881-2020 gerechnet wurde es im Mittel um 0,12 °C pro Dekade wärmer, für die letzten 50 Jahre (1971-2020) lag die Erwärmungsrate mit 0,38 °C pro Dekade mehr als dreimal so hoch. Seit den 1960er Jahren war hierzulande jedes Jahrzehnt deutlich wärmer als das vorherige“ (siehe Seite 14 in dieser sehr informativen Faktensammlung über das Klima: „Was wir heute über das Klima wissen“). Und, was wir jetzt auch immer wieder selber beobachten können: wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen als kältere Luft. Bei weitgehend gleichbleibender relativer Luftfeuchtigkeit wären daher grundsätzlich mehr Niederschläge zu erwarten, so der Deutsche Wetterdienst (DWD). Vor fünf Jahren hatte er in einem Bericht festgestellt: „Die Häufigkeit von Starkniederschlägen der Dauerstufe 24 Stunden hat in Deutschland in den vergangenen 65 Jahren im Winter bereits um rund 25 % zugenommen“. Zudem sei damit zu rechnen, dass die wolken- und niederschlagsbildenden Prozesse bei der Entstehung von Schauern und Gewittern intensiver sein werden. Die damalige Prognose: „Die unter derartigen Bedingungen fallenden Starkniederschläge würden dann im Vergleich zum erhöhten Wasserdampfgehalt der Luft sogar überproportional zunehmen“. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts sei, zumindest im Winter in Deutschland, von einer Zunahme der Häufigkeit von Starkniederschlägen der Dauerstufe 24 Stunden auszugehen.
Insgesamt sei das zurückliegende Jahrzehnt rund 2 °C wärmer als die ersten Jahrzehnte der Aufzeichnungen. Dieser Temperaturanstieg ist „nur durch den Anstieg der atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen erklärbar“ erläutert der DWD diese Entwicklung.
Eine erste Einordnung
In seinem aktuellen Bericht ordnet der DWD die „Flutwoche“ aus hydro-klimatologischer Sicht ein. Demnach führten der Verlauf und die Anordnung von Gebirgen - die Orographie - zu Staueffekten an den westlichen Mittelgebirgen (Sauerland, Westerwald und Eifel) und verstärkten die Niederschläge zu großflächig wiederkehrendem oder anhaltendem Starkregen. Mittlere und größere Flüsse, die aufgrund der Stark- und Dauerniederschläge über die Ufer traten, waren Ahr, Emscher, Erft, Kyll, Lippe, Prüm, Ruhr, Rur, Sieg und Wupper. Die Wetterlage zwischen 12. und 15. Juli war geprägt durch eine labile Luftschichtung in der unterster Schicht der Erdatmosphäre (Troposphäre), wodurch warme und sehr feuchte Luftmassen aus südlicher Richtung in einer Drehbewegung um das Bodentief „Bernd“ nach Deutschland gelangten. Erst ab dem 19. Juli entspannte sich die Wettersituation etwas, nachdem Hoch „Dana“ das Tiefdruckgebiet „Bernd“, das die Wetterlage geprägt hatte, in Richtung Südosteuropa abdrängte und Starkregen nach Ostsachen (Osterzgebirge, Lausitz) und Südbayern (Berchtesgadener Land) brachte.
Die Hochwassersituation ist auch durch die aktuelle Bodenfeuchte bedingt, da Böden nur einen Teil der Niederschläge speichern und zurückhalten können. Die Situation fasst der DWD so zusammen: „Die drei Wochen vor dem Hochwasserereignis waren in ganz Deutschland von wiederkehrenden Niederschlagsereignissen geprägt, die die Böden regional bereits gut gefüllt haben. Während in Rheinland-Pfalz und in Südwestfalen die Böden regional kaum noch Wasser aufnehmen konnten (teils weniger als 10 mm freier Bodenwasserspeicher), waren die Böden im Südwesten von Nordrhein-Westfalen noch bedingt aufnahmefähig (über 75 mm freier Bodenwasserspeicher). Ähnlich viel freier Speicher stand in Ostsachsen und Südostbayern zur Verfügung.“ Die Folge aus den enormen Regenmengen und den gesättigten Böden war katastrophal, die Schadenswirkung verstärkte sich, vor allem im Ahrtal, wo die Bahnbrücken zerstört und die Straßen weggespült wurden. „Die Strom- und Trinkwasserversorgung sowie Kommunikationsmittel fielen aus. Im Kreis Euskirchen mussten mehrere Orte evakuiert werden, weil der Damm der Steinbachtalsperre zu brechen drohte. Ebenfalls betroffen waren Städte und Gemeinden an den Flüssen Erft, Swist und Rur“, beschreibt der DWD die Lage.
Außergewöhnliche Entwicklung
Innerhalb weniger Stunden oder Tage wurden enorme Niederschlagsmengen erreicht. Bezogen auf die Referenzperiode 1991-2020 belief sich diese Menge im Mittel über ganze Flusseinzugsgebiete auf das 1,5 bis 2,0-fache des mittleren Niederschlages im Juli, so der DWD in seinem Bericht. Beispielsweise wurden in Hagen an einer Station des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz mehr als 241 l/m² Niederschlag in nur 22 Stunden gemessen. In Trier „wurden weitflächig mehr als 100 l/m² Niederschlag in 72 Stunden registriert. Regional fielen sogar über 150 l/m² Niederschlag in 24 Stunden“, wie die Bundesoberbehörde berichtet.
Der DWD stellt fest: „Die meisten Ereignisse in der ersten Phase (Mittel- und Westdeutschland) konnten mindestens als Jahrhundertereignis (Wiederkehrintervall T ≥ 100 Jahre) eingestuft werden“ (siehe Abbildung). Eine weitere Beobachtung: „Insgesamt kann ein Gebiet von Frankreich bis Polen deutlich abgegrenzt werden, wo die Wochenniederschläge flächendeckend mehr als doppelt so hoch, teilweise mehr als viermal so hoch waren wie im klimatologischen Mittel“.
Ist das schon Klimakrise?
Laut DWD „rangiert das Jahr 2021 unter den Top 5 der Jahre mit den meisten aufgetretenen Einzelereignissen seit 2001“. Da bislang die meisten und intensivsten Starkniederschläge in Deutschland zwischen Mai und September auftreten, sei davon auszugehen, dass noch weitere Ereignisse in 2021 hinzukommen werden, so die Meteorologen. Grundsätzlich könne Starkniederschlag an jedem Ort in Deutschland auftreten. Die Tendenz sei jedoch, dass Extremereignisse mit steigender Dauerstufe vor allem in den Mittel- und Hochgebirgsregionen auftreten. Klimaprojektionen zeigen demnach, dass sich diese Tendenz fortsetzt und Niederschlagsmengen an Starkniederschlagstagen im Sommer wahrscheinlich weiter steigen. Die „natürliche Variabilität“ werde in den nächsten Jahrzehnten dominieren.
Laut DWD seien extreme Einzelereignisse zunächst kein direkter Beleg für den Klimawandel, da nur langjährige Beobachtungen eine Zunahme der Häufigkeit bestimmter Ereignisse zeigen könnten. Mittels Zuordnungsforschung (Attributionsforschung) für ausgewählte Extremereignisse wie Hitzewellen konnte gezeigt werden, „dass durch den Klimawandel die Eintrittswahrscheinlichkeit erhöht wurde; dies bedarf aber im Einzelfall umfangreicher Untersuchungen“. Eine aktuelle Studie zum Parameter Niederschlag zeige zudem „dass die Intensivierung von Starkniederschlägen, zum Beispiel in Mitteleuropa, zumindest teilweise durch den anthropogenen Klimawandel verstärkt wurde“.
Cell Broadcast
Um alle Menschen künftig schnell über Katastrophen zu informieren schlagen IT-Fachleute seit längerer Zeit den Einsatz des Warnsystems Cell Broadcast vor, wie der Deutschlandfunk berichtet. Damit können die zuständigen Behörden Direktnachrichten auf Mobiltelefone senden. Diese werden von allen Geräten im Empfangsbereich zeitgleich empfangen und dekodiert. Der Vorteil eines solchen Warnsystems sei, dass keine App installiert werden muss, wie bei den Warnapps wie Nina oder Katwarn – „So können deutlich mehr Menschen erreicht werden“.