14.04.2023
Sektorprinzip kein politisches Ziel mehr
Ein Kommentar von Tatiana Abarzúa
Seit der Verabschiedung des Bundesklimaschutzgesetz im Dezember 2019 gelten rechtlich verbindliche Zielvorgaben zur Minderung von Treibhausgasemissionen in den verschiedenen Wirtschaftssektoren. Davor waren diese im Klimaschutzplan 2050 formuliert. Ende März hat die gelbrotgrüne Koalition entschieden, dass das Sektorprinzip zukünftig nicht mehr gelten soll.
Bisher galten folgende Vorgaben für die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und Sonstiges:
Diese Jahresemissionsmengen sollen nun zu einem Gesamtklimaschutzziel addiert werden. Das Argument: Manche Sektoren reduzieren die Treibhausgase schneller als andere, insgesamt gleicht sich das aus. Alle zwei Jahre soll drauf geschaut werden. Im Gesetzestext liest sich das dann so: „Alle Sektoren leisten ihren Beitrag: Stromerzeugung, Industrie, Verkehr, Bauen und Wohnen sowie Landwirtschaft.“ Alle tun was für den Klimaschutz. Wo leisten drauf steht ist sicherlich Leistung drin, steht ja da. Schwarz auf weiß.
Bekannt ist, dass 2021 und 2022 die Sektoren Gebäude und Verkehr die Minderungsziele verfehlt haben (die DGS-News berichteten). Im Falle, dass die in einem Sektor zugelassene jährliche Menge an Treibhausgasemissionen überschritten wird, gilt bisher, dass die jeweils zuständigen Bundesministerien verpflichtet sind, ein Sofortprogramm mit zusätzlichen CO2-Minderungsmaßnahmen vorzulegen.
Verantwortung an die künftige Bundesregierung delegiert
Der sektorübergreifende Vorschlag wirkt ambitionslos. Ambitioniert klingt dagegen die Einstufung von Autobahnbau als von überragendem öffentlichem Interesse. Die nun neu geplanten mehrjährigen Gesamtrechnungen werden vermutlich zu einer Verwässerung von Klimaschutzvereinbarungen führen. Denn die konkreten Reduktionsziele, die bisher galten, sind klar messbar und auswertbar für jeden einzelnen Sektor.
So wie es aussieht, wird sich die nächste Bundesregierung mit der Frage befassen müssen. Denn einerseits wird die Legislaturperiode planmäßig im Herbst 2025 enden. Da ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass das Einhalten des Zwei-Jahres-Gesamtminderungsziels erst danach überprüft wird. Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, dass die Autor:innen des „Modernisierungspakets für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ vorausschauend einen Passus formuliert haben laut dem die Bundesregierung künftig „im ersten Jahr einer Legislaturperiode ein umfassendes sektorenübergreifendes Klimaschutzprogramm beschließen“ wird, „um das Erreichen der Klimaziele sicherzustellen“. Der Fokus soll dabei „auf einer langfristig wirksamen, ökonomisch vernünftigen und sozial gerechten Transformation“ liegen. Das klingt sehr vage. Mit sehr viel Interpretationsspielraum und wie eine Einladung an Juristen, fundiert auszulegen, was das bedeutet und was nicht. Um die Frage der Verantwortung und Lösungskompetenz der einzelnen betroffenen Ministerien geht es damit gar nicht mehr.
Und andererseits ist es offensichtlich, dass die Frage, ob diese Ampel-Einigung über ein sektorenübergreifendes Klimaschutz-Programm rechtens ist, eine Frage für das Bundesverfassungsgericht sein wird. Denn die bisherigen sektorspezifischen Minderungsziele sind konkret und dadurch planbar und überprüfbar. Zielverfehlungen können etwa durch Gerichte korrigiert werden, wie es beim Klimaschutzgesetz 2021 der Fall war (die DGS-News berichteten).
Es hätte noch schlimmer kommen können
„Ist das Klimaschutz, oder kann das weg?“ scheint sich die Ampelkoalition gesagt zu haben, und die bisherigen verbindlichen Sektorziele dann abzuschaffen. Für den Kommentator des ARD-Hauptstadtstudios ist das schlicht „Pragmatismus statt Ideologie“. Das Problem sei dabei: „Allen Beteiligten war eigentlich klar, dass dieses Ziel im Verkehrssektor aktuell nicht erreicht werden kann. Und so ist es dann auch gekommen. Das liegt auch daran, dass sich die Mobilitätswende nicht so kurzfristig organisieren lässt, wie es sich ,Fridays for Future' wünscht“.
Doch es soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Ergebnis nicht die schlechteste alle denkbaren Optionen darstellt. Denn der Kanzler selbst soll dafür plädiert haben, Sektorziele an sich komplett abzuschaffen. Wie Die Zeit berichtet und treffend analysiert: „Die Verantwortlichkeit der Sektoren fehlt also in der Vorlage des Kanzleramts.“
Eine neue Debatte
Es gibt einen weiteren Aspekt, der für die weitere Debatte interessant sein kann. Aus der Kanzlerpartei kommt der Vorschlag, dass der Bundestag die Regierung beim Erreichen der Klimaziele kontrollieren könne. Eine solche Sanktionsmöglichkeit des Parlaments, wie sie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch vorschlägt, gibt es bisher nicht.