02.09.2022
Klimarat: Sofortprogramme Gebäude und Verkehr geprüft
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Vergangene Woche veröffentlichte der Expertenrat für Klimafragen das Ergebnis seiner Prüfung der Sofortprogramme für den Gebäude- und für den Verkehrsbereich, die die Bundesministerien am 13.07.2022 vorgelegt hatten. Gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz hat dieser Klimarat die Aufgabe, die den Maßnahmen zugrunde gelegten Annahmen zur Treibhausgasreduktion zu prüfen. Laut Gesetz wird das Prüfungsergebnis der Beschlussvorlage für die Bundesregierung beigefügt.
Wie die Wissenschaftler des Expertenrats erklären, umfasst ihr Prüfauftrag drei Aspekte: Ist die von den Ministerien ausgewiesene Minderungswirkung an Treibhausgasen (THG) vereinbar mit der Einhaltung des Zielpfads bis 2030 aus dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG)? Wie wird die Minderungswirkung berechnet? Welche Parameter werden verwendet im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit der Realisierung der Emissionsminderung?
Gebäudebereich: 137 Megatonnen Treibhausgasreduktion angenommen
Das Sofortprogramm für den Gebäudesektor des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) umfasst fünfzehn Maßnahmen. Bei zehn Maßnahmen ist die erwartete Minderungswirkung quantifiziert.
Der Großteil der von den Ministerien angegeben Emissionsminderung soll durch die Maßnahmen des Gebäudeenergiegesetzes, der Bundesförderung für effiziente Gebäude sowie die Optimierung bestehender Heizsysteme erreicht werden. Insgesamt sollen die geplanten Maßnahmen den Ausstoß an Treibausgasen um 137 Megatonnen CO2-Äquivalente (Mio. t CO2-Äq) vermindern, kumuliert über den Zeitraum 2022 bis 2030. Aufgrund gestiegener fossiler Brennstoffpreise geht der Expertenrat von einer Änderung der Referenzpfade aus, so dass eine zusätzliche Emissionsminderung von 19 bzw. 25 Mio. t CO2-Äq erreicht werden könne.
„Gebäudesektor im Jahr 2030 wieder auf den KSG-Zielpfad“
Die bis erreichten THG-Reduzierungen würden die „kumulierte Erfüllungslücke zwischen Emissionspfad und KSG-Zielpfad“ ausgleichen, „sodass der Gebäudesektor im Jahr 2030 wieder auf den KSG-Zielpfad käme“, resümiert der Expertenrat für Klimafragen. Folglich erfülle das vorgeschlagene Sofortprogramm für den Gebäudesektor die Bedingung an ein Sofortprogramm gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz, „allerdings nur in einer weiten Auslegung des Kriteriums“ ergänzen die Sachverständigen in ihrem Prüfbericht. Das Fazit der Wissenschaftler lautet: „Es ist davon auszugehen, dass das vorgelegte Sofortprogramm einen substanziellen Beitrag zur Minderung der Emissionen in diesem Sektor leisten kann. Allerdings ist die Erreichung der ausgewiesenen Minderung mit der Umsetzung der beschriebenen Maßnahmen nur teilweise wahrscheinlich.“ Somit sei auch die zukünftige Einhaltung des Zielpfads bis 2030 aus dem Bundes-Klimaschutzgesetz für diesen Sektor nicht sichergestellt.
Verkehrsbereich: 14 Megatonnen Treibhausgasreduktion angenommen
Das Sofortprogramm für den Verkehrssektor des Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) beinhaltet die Maßnahmen: Auf- und Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur für Pkw und Nutzfahrzeuge, Ausbau Förderung effizienter Lkw-Trailer, Ausbauinitiative Radverkehrsinfrastruktur – aktive Mobilität, Ausbau- und Qualitätsoffensive im ÖPNV, Ausbau der digitalen Arbeitsformen, Anpassung nationale THG-Minderungsquote. Fünf dieser Maßnahmen beinhalten eine Quantifizierung der erwarteten Minderungswirkung. Den Großteil der Emissionsminderung soll die Ausbauoffensive Rad- und Fußverkehr erreichen (4,4 Mio. t CO2-Äq. kumuliert), wie in der „Bewertung von Maßnahmen für ein Sofortprogramm nach Bundes-Klimaschutzgesetz“ nachzulesen ist. Auch dem Ausbau digitaler Arbeitsformen wird ein Minderungseffekt zugeschrieben (4,0 Mio. t CO2-Äq. kumuliert). Das BMDV beziffert die durch das Sofortprogramm zu erreichende Minderungswirkung an Treibhausgasen auf 14 Mio. t CO2-Äq, kumuliert über den Zeitraum 2022 bis 2030.
Verkehrssektor: Ambitionsfrei
Damit sind die Maßnahmen weit davon entfernt, den Zielpfad bis 2030 zu erreichen. Stattdessen würde sich die „kumulierte Erfüllungslücke“ auf 261 Mio. t CO2-Äq belaufen, so die Wissenschaftler. In anderen Worten: das vorgeschlagene Sofortprogramm für den Verkehrssektor erfüllt nicht die Bedingung an ein Sofortprogramm gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz. Doch der Klimarat attestiert, dass es „laut eigener Einschätzung des BMDV zwar emissionsmindernde Wirkung entfaltet“. Und ergänzt, dass das BMDV bei dem Maßnahmenvorschlag gar nicht den Anspruch habe, „mit dem Sofortprogramm wieder auf den KSG-Zielpfad zu kommen, denn dies solle erst mit dem größeren Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 der Bundesregierung eingelöst werden“. Stattdessen solle es nur „die Zielverfehlung von 3,1 Mio. t CO2-Äq. im Jahr 2021“ ausgleichen.
Konsequenterweise verzichten die Mitglieder des Expertenrats darauf die Einzelmaßnahmen des vorgelegten Sofortprogramms zu prüfen.
Hintergrund
Gemäß KSG sind Bundesministerien verpflichtet, ein Sofortprogramm mit zusätzlichen CO2-Minderungsmaßnahmen vorzulegen, wenn die für den jeweiligen Sektor zugelassene jährliche Menge an Treibhausgasemissionen überschritten wird (die DGS-News berichteten). Im Jahr 2021 war das im Gebäudebereich (ca. 2 Mio. t CO2-Äq.) und im Verkehrsbereich (ca. 3 Mio. t CO2-Äq) der Fall, wie das Umweltbundesamt (UBA) in der Vorjahresschätzung der Treibhausgasemissionen berichtet hat. Der Expertenrat für Klimafragen prüfte die Emissionsdaten des UBA und bestätigte die dargelegten Überschreitungen der zulässigen Jahresemissionsmengen im Jahr 2021 im Gebäude- und Verkehrssektor (Pressemeldung).
Resonanzraum
Die Reaktionen auf die Prüfberichte des Expertenrats fallen unterschiedlich aus. Während die Klima-Allianz die Bundesregierung auffordert, bis zum Herbst ein abgestimmtes Klimaschutz-Sofortprogramm vorzulegen, „das diesen Namen verdient“ und die Umwelthilfe ankündigt, gegen das „gesetzeswidrige“, „Pseudo-Sofortprogramm des Verkehrsministers“ zu klagen, wünscht sich Bundesfinanzminister Christian Wolfgang Lindner (FDP) sektorübergreifende Klimaziele und sagte im ARD-Sommerinterview, dass sich die Ampel-Koalitionsparteien „darauf verständigt“ hätten.
Ausblick: bis Ende September politische Einigung über die Maßnahmen
Gemäß KSG muss die Bundesregierung bei Zielverfehlungen das bestehende Klimaschutzprogramm aktualisieren und festlegen, welche Maßnahmen sie ergreifen wird, um die Klimaschutzziele in den einzelnen Sektoren zu erreichen. Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck sieht die Regierenden „in der Pflicht, noch im September das Klimaschutzsofortprogramm zu beschließen“. Die Ergebnisse des ERK-Prüfberichts werde das BMWK in die laufenden Abstimmungen zum Entwurf des Klimaschutzsofortprogramms einbringen. „Ziel ist es die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung zeitnah abzuschließen und bis Ende September zu einer politischen Einigung über die Maßnahmen zu kommen“, so Habeck.
Sobald die Bundesregierung dieses Programm vorlegt, werde der Expertenrat eine Stellungnahme in Bezug auf die zugrundeliegenden Annahmen zur Treibhausgasreduktion erstellen und in diesem Kontext auch die Maßnahmen prüfen, so die Autoren des Prüfberichts. Zudem fordert der Expertenrat Klarheit und Rechtssicherheit mit Blick auf „Zeitpunkt der Einbindung des Expertenrats in die Prüfung eines Sofortprogramms und der genaue Gegenstand der Prüfung“.
Der Prüfbericht zu den Sofortprogrammen 2022 für den Gebäude- und Verkehrssektor ist dort abrufbar, die Ergebnisse sind in einem Twitter-Thread komprimiert.