20.01.2023
Das Verschwinden der umweltfreundlichen Dinge, Teil 2
Ein Bericht von Götz Warnke
„Das Umweltbewusstsein nimmt zu, wir trennen immer besser den Müll, wir vermeiden Plastik, wir reduzieren die Schadstoffemissionen, kurz: wir werden immer umweltfreundlicher in Deutschland.“ So in etwa lautet der heute verbreitete gesellschaftliche Narrativ. Und das stimmt ja auch in vielen Bereichen. Dennoch ist es nur ein Teil der Wahrheit, denn es gibt manche umweltfreundlichen Dinge, die früher weit verbreitet waren, inzwischen aber ganz oder fast ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. Einige davon konnten wir uns bereits im ersten Teil in Erinnerung rufen. Leider sind das noch längst nicht alle!
Die Kochkiste
Im Zeitalter des Fertigessens, der Mikrowelle, und des Thermomix scheint sie ein anachronistisches, längst überholtes Utensil zu sein. Bestehend aus einer mit einfachem Isoliermaterial (Wolle, alte Kopfkissen) ausgeschlagenen Holzkiste, die mit einem möglichst ebenfalls isolierten Holzdeckel versehen war, gehörte sie für rund ein Jahrhundert zur Ausstattung europäischer Küchen. Hinein kamen heiße Töpfe samt Inhalt, die schon auf dem Herd vorgekocht waren, und jetzt die Resthitze zum Garen nutzen, ohne weitere Energie in Form von Holz, Kohle, Gas und Strom zu verbrauchen. Zudem sank die Gefahr, dass das Essen, wie auf dem Herd, anbrannte.
Dass das Prinzip des Nachgarens bzw. passiven Kochens sinnvoll und energiesparend ist, darauf hat kürzlich der italienische Physik-Nobelpreisträger Prof. Giorgio Parisi hingewiesen, der darin von anderen Wissenschaftlern unterstützt wurde. Mittlerweile scheint die Kochkiste in neuem Gewande ein umweltfreundliches Comeback zu erleben, nämlich in Form des Kochsacks: Vereine wie ecoact bieten nicht nur solche Kochsäcke an, sie geben auch Nähkurse, damit man sich seine(n) eigenen Energiesparkocher selbst nähen kann.
Lampen mit Wechselbirnen
LED-Lampen sind eine sinnvolle Sache: zum einen sparen sie gegenüber den alten Glühbirnen jede Menge Energie – so viel, dass der Stromverbrauch für die Beleuchtung heute, anders als noch vor 20 Jahren, nicht mehr ins Gewicht fällt und der Wechsel Sommerzeit zu Winterzeit praktisch überflüssig ist. Zum anderen sind die kleineren LEDs auch ressourcenschonend, wenn … ja, wenn! Denn bei immer mehr Lampen werden die LEDs fest verbaut, so dass einzelne defekte LEDs nicht mehr austauschbar sind. Nun fällt diese Leuchtenform zum Glück selten aus, aber auch LEDs sind als Standleuchten nicht vor Reinigungsbesen oder als Esstischbeleuchtung nicht vor schnell gelüpften heißen Topfdeckeln sicher. Und ist erst einmal eine LED defekt, sieht die einstmals so schicke Designerleuchte aus wie frisch aus dem Abfallcontainer eines Elektronikhändlers. Da wird dann schnell die ganze Lampe ausgetauscht, wo doch eigentlich das Auswechseln einer einzigen LED reichen würde.
Die Wachsjacke
Wer sich heute als der Natur und Wildnis verbunden inszenieren will, greift gern zu „moderner“ Funktionskleidung wie z.B. Fleecejacken und -Pullover. Doch die sind nicht nur aus Erdöl, sondern sie bestehen auch aus erdölbasiertem Mikroplastik, das beim Waschen unkontrolliert in die Umwelt gelangt. Klassische gewachste Jacken hingegen, einstmals verbreitete Ausstattung von Hafenarbeitern, Fischern, Jägern und Seeleuten, finden sich zumeist nur noch in den eher traditionell orientierten, britischen Shops (Barbour-Jacken).
Der Waschlappen
Waschlappen kommen heute bei den meisten nur noch als Beleidigung über die Lippen, aber nicht mehr über die Schwelle des Badezimmers; in den Wäscheabteilungen findet man sie meist in den hinteren Ecken, in den Hotelbadezimmern gar nicht mehr – Duschen ist „angesagt“. Und wer es wagt, aus Energiespargründen in der Energiekrise für die Körperwäsche per Lappen zu plädieren, wie es kürzlich der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann tat, kann sich des Hohnes und des Spotts der Nation sicher sein – einer Nation, die hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Klima und Ressourcenverbrauch um ein Vielfaches über ihre Verhältnisse lebt.
Dabei kann das tägliche Waschen statt Duschen nicht nur eine Menge Energie und Wasser sparen, sondern ist auch für die Körperreinigung völlig hinreichend, ja bei empfindlicher Haut sogar besser, zumal pH-neutrale Seife beim Waschen generell hautverträglicher ist als die mit Duft- und Konservierungsstoffen angereicherten Duschgele.
Das Stofftaschentuch
Ein Markenname hat es geschafft, sich bis heute zum Inbegriff aller Papiertaschentücher zu machen: „Tempo“! Und diese Papiertaschentuchmarke schickt sich nun auch an, Synonym für alle Taschentücher generell zu werden. Denn Stofftaschentücher scheinen zum Auslaufmodell herab zu sinken. Ihre stärkte Verbreitung finden sie heute wohl bei der Bundeswehr, wo die seit Jahrzehnten als unveränderte und relativ großflächige Exemplare nicht nur die Nasen, sondern ggf. auch Verwundungen versorgen sollen. Ansonsten: Papier, Papier, Papier! Dabei spricht, von extremen Erkältungen mit dauerlaufenden Nasen vielleicht abgesehen, fast alles gegen das Papiertaschentuch: Im Ökobilanzvergleich zwischen Taschentüchern aus Frischzellulose, Recyclingpapier und Stoff gewinnt das Stofftaschentuch, zumal es eben auch gebleichte Recyclingpapiere mit dem Weiße-Grad 100 (nach ISO 2470) gibt, die vom Umweltbundesamt nicht empfohlen werden.
Das Recyclingpapier
Und da wir gerade beim Papier sind: der Verbrauch an Recyclingpapier schwächelt. Nein, das umweltfreundliche Papier ist zwar nicht am Verschwinden, aber private Haushalte halten sich bei seiner Nutzung zurück, während viele Kommunen durch ihre Beschaffungsregularien zuverlässige Abnehmer von Recyclingpapier sind – z.B. die Stadt Erlangen tut sich hier hervor. Allein in den bayerischen Ministerien hält man sich wohl bezüglich der Nutzung von Recyclingpapieren noch zurück – wahrscheinlich wartet man auch bei dieser bayerischen Obrigkeit noch auf die göttlichen Ratschlüsse. Dabei ist die Verwendung von Recyclingpapier eine der am einfachsten umsetzbaren Klima- und Umweltschutzmaßnahmen.
Fazit Auch bei den umweltfreundlichen Dingen gibt es trotz aller Notwendigkeit keinen linearen Fortschritt, keine stetige Höherentwicklung. Umweltfreundliche Lösungen müssen stets neu er- oder gar wiederge-funden werden.
Das Verschwinden der umweltfreundlichen Dinge, Teil 1