16.12.2022
Das Verschwinden der umweltfreundlichen Dinge
Ein Bericht von Götz Warnke
„Das Umweltbewusstsein nimmt zu, wir trennen immer besser den Müll, wir vermeiden Plastik, wir reduzieren die Schadstoffemissionen, kurz: wir werden immer umweltfreundlicher in Deutschland.“ So in etwa lautet der heute verbreitete gesellschaftliche Narrativ. Und das stimmt ja auch in vielen Bereichen. Dennoch ist es nur ein Teil der Wahrheit, denn es gibt manche umweltfreundliche Dinge, die früher weit verbreitet waren, inzwischen aber ganz oder fast ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. Einige davon wollen wir uns hier mit ihren Vorzügen in Erinnerung rufen.
Die dreiteilige Matratze
Matratzen scheinen heute wahre Wunderwerke zu sein: anti-allergisch, anti-statisch, und mit z.T. 7-9 verschiedenen Körper-/Liegezonen für perfekten Schlaf. Das erzählen uns zumindest die Matratzenverkäufer:innen. Dabei gerät nicht nur schnell aus dem Blick, dass immer gleich die ganze, überwiegend intakte Matratze ersetzt werden muss, wenn der durch den Rumpf am meisten beanspruchte mittlere Teil der Matratze durchgelegen ist. Auch täuschen die werbenden Worte darüber hinweg, dass die vielen tollen Liegezonen maßlos überschätzt werden. Denn Menschen sind in der Nacht fast so individuell wie am Tage: es gibt die Bauch-, Rücken-, Seitenschläfer:innen, wobei sich letztere noch in langgestreckte und zusammengerollte Schläfer:innen unterteilen. Die sind mit den kurz- und langbeinigen Menschen zu multiplizieren, die ihre jeweiligen Schwerpunkte an jeweils unterschiedlichen Stellen der Matratze finden. Dazu kommen die Lese-Lieger:innen mit dem zusammen gerollten, unterstützenden Kissen am Kopfende, und die eher am Fußende schlafenden Krampf-Sportler:innen, wo sie nächstens ihre krampfenden Füße entspannend gegen die Bettumrandung drücken können, ohne aufspringen zu müssen.
Mag auch die High-Tech-Matratze nur für den rechnerisch existierenden Durchschnittsmenschen von wirklichem Vorteil sein, so hat sie doch der Matratzenindustrie einen realen Vorteil verschafft: mit der vollständigen Verdrängung langlebiger, umweltfreundlicher, und damit konsumfeindlicher Alternativen wie z.B. der traditionellen, dreiteiligen Matratze (die übrigens nicht mit der 3-teiligen Klapp-Matratze für Camping etc. zu verwechseln ist). Diese früher üblichen, meist mit dem Naturprodukt Rosshaar gestopften Teile hielten praktisch ein Nachtleben lang: Denn war tatsächlich das Mittelteil mal durchgelegen, konnte man es gegen das weniger belastete Kopfteil und dann später gegen das Fußteil austauschen. Heute finden sich dreiteilige Matratzen noch bei Wohnungsauflösungen, neu im Internet zu horrenden Preisen, oder sie können bei Polsterläden individuell angefertigt werden.
Der Wechselkragen
Wenn heute Herrenoberhemden aus Alterungsgründen entsorgt werden, so liegt das – noch vor beschädigten Manschetten – vor allem an durchgescheuerten Kragen. Deshalb, und auch weil diese Teile auch am schnellsten verschmutzen, hatte man in den Zeiten vor der Wegwerfkultur und der Billigmodenschwemme noch Ärmelschoner und vor allem auch Wechselkragen, mit denen das unnötig häufige Waschen von Oberhemden vermeiden werden konnte. Diese meist einknöpfbaren Kragen hatten unterschiedliche Formen, Größen und Farben. Heute finden sie sich allenfalls noch im Luxussegment und im traditionsbewussteren Großbritannien. Wer die Zollformalitäten bezüglich der Brexiteers scheut, muss sich daher Althemden aus dem Internet oder dem Sozialkaufhaus besorgen und selbst nähen.
Auswechselbare Zahnbürstenköpfe
In den 1990er und 2000er Jahren waren sie praktisch in aller Munde; jeder Ökoversand, der etwas auf sich hielt, hatte sie im Angebot. Heute hingegen scheinen sie ein echtes Auslaufmodell zu sein: auswechselbare Zahnbürstenköpfe. Die Idee hinter ihrer Entstehung war, eine Alltagstätigkeit, nämlich das Zähneputzen, ein Stück weit ökologischer zu machen. Denn was sich bei einer Zahnbürste schnell abnutzt, ist der Borstenkopf, während Griff und Stil je nach Produktionsqualität über Jahrzehnte halten können. Es geht also um Trennung, um Segmentierung der einzelnen Funktionsteile des Gesamtsystems Zahnbürste, um ein Prinzip, das auch in anderen technischen Bereichen funktioniert: schließlich wechselt man beim Auto auch nicht die ganze Hinterachse, bloß weil die Reifen abgenutzt sind. Doch die Grundidee, die dem EU-Verbot von Einmalplastik immer noch ein Jahrzehnt voraus ist, kam wohl unter „die Räder“ wirtschaftlicher Interessen: einen Borstenkopf zu verkaufen ist weniger profitabel als eine ganze Zahnbürste an Kund:innen zu bringen, zumal diese kaum bereit sein dürften, für ein paar neue Borsten mehr als einen Euro zu zahlen. Und so wurden nicht nur die Austauschköpfe zunehmend größer, auch die Vielfalt der Produzenten sank, und bei den ach so ökologisch korrekten Holz- oder Bambus-Zahnbürsten fand die Wechseltechnik erst gar keinen Eingang – nur bei den teuren elektrischen Bürsten ist sie weiterhin verbreitet. Das Einzige, was der schlichten Wechselkopf-Zahnbürste dauerhaft helfen könnte, wäre eine EU-Verordnung analog zum Einmalplastik-Verbot.
Die Getränke-Glaspfandflasche
Nein, ganz verschwunden ist sie noch nicht, die Mehrweg-Glasflasche für Getränke. Aber sie hat in den letzten Jahrzehnten spürbar an Boden verloren gegenüber Plastik-Mehrwegflaschen, Plastik-Einwegflaschen und Einweg-Kartonverpackungen. Einer der Gründe ist, dass sich bei der Einführung des Pflichtpfandes 2003 Bundesumweltminister Jürgen Trittin nicht durchsetzen konnte, so dass Frucht- und Gemüsesäfte, Milch, Sekt, Spirituosen und Wein von der Pfandpflicht befreit blieben. Dabei hat die Mehrweg-Glasflasche nicht nur gegenüber Einwegverpackungen, die erheblich zur Umweltverschmutzung u.a. durch Mikroplastik beitragen, entscheidende Vorteile, sondern auch gegenüber den PET-Mehrwegflaschen: Während PET-Flaschen nur bis zu 25 Mal wieder befüllt werden können, bringen es Glasflaschen auf 50 Befüllungen, wie die gänzlich unverdächtige Genossenschaft Deutscher Brunnen eG feststellt, deren Mitglieder beide Flaschentypen verwenden; zudem sind PET-Flaschen (Einweg und Mehrweg) nicht gasdicht, so dass bei kohlensäurehaltigen Getränken das CO2 langsam entweicht. Mindestens ebenso schwer wiegt, dass PET-Flaschen nicht heiß und damit keimfrei befüllt werden können. Deshalb muss man hier zu einer Kaltentkeimung greifen, wozu die Chemikalie Dimethyldicarbonat verwendet wird. Dieser zerfällt zwar meist schnell wieder zu in Fruchtsäften eh vorkommende Stoffe, aber dennoch kann es passieren, dass dieser ansonsten flüchtige Keim-Killer mit einigen Inhaltsstoffen eine dauerhafte, nicht unproblematische Verbindung eingeht.
Generell hilft hier nur: beim Einkauf mehr auf Mehrweg-Glasflaschen setzen.
Fazit
In den letzten Jahren sind beim Umweltschutz, neben allem Guten, einige Dinge auch schlechter geworden. Diese Entwicklungen führen zu vermehrten Rohstoffverschwendungen und Klimagasemissionen, die wir uns nicht mehr leisten können.
P.S.: Sollten Ihnen, liebe Leser, weitere Beispiele zum Thema einfallen, schreiben Sie gern an den Autor!
Das Verschwinden der umweltfreundlichen Dinge, Teil 2