14.10.2022
Autarkie statt Abhängigkeits-Technik
Ein Bericht von Götz Warnke
Die meisten von uns kennen das: wir freuen uns über den neusten, überraschend günstig erworbenen Drucker. Doch die Freude dauert nur solange, bis der erste Satz Druckerpatronen nachgekauft werden muss. Dann nämlich fällt auf, dass der Kaufpreis der Patronen deutlich mehr als 10 Prozent des Druckerkaufpreises beträgt. Kostengünstige NoName-Ersatzkartuschen? Die akzeptiert ein Druckergerät meist nicht, indem es sogleich oder etwas später die Zusammenarbeit verweigert. Zu spät merken Kund:innen, dass der günstige Druckerkaufpreis ein Lockangebot war, um Käufer:innen über die Kartuschen dauerhaft in einer teuren Abhängigkeit zu halten.
Das gleiche funktioniert auch mit Kaffeekapseln und den entsprechenden Automaten. Es funktioniert ebenso mit Rasierklingen: während bei Einklingensystemen die einzelne Klinge entnommen, geschärft, und damit unbegrenzt weiter verwendet werden kann, muss bei Mehrklingensystemen gleich der ganze Scherkopf ausgetauscht werden – der Rasierapparathersteller hat einen sichern Absatzmarkt. Und natürlich funktionieren solche Methoden auch auf anderen Märkten und in ganz anderen Dimensionen: etwa wenn sich vier Saatguthersteller den Weltmarkt teilen, und die Landwirte – ganz im Gegensatz zu früheren Zeiten mit ihren samenfesten Sorten – immer neues Hybridsaatgut kaufen müssen, wenn sie fürs nächste Jahr wieder aussäen wollen. Und: last, but not least – unser gesamte fossiles Energiesystem in allen seinen Sektoren beruht darauf.
Strom
Wer sich als „Normalbürger“ mit elektrischem Strom versorgen muss, ist nicht nur abhängig von Netzbetreibern, sondern auch von großen Stromkonzernen. Bei Letzteren ist es zwar möglich, von einem zum anderen zu wechseln, aber die grundlegende Abhängigkeit bleibt. Da Strom keine „Farbe“ hat, ist es bezüglich der Abhängigkeit auch gleich, ob die Energie aus dem Kohlekraftwerk um die Ecke, aus einem französischen Atomkraftwerk, oder künftig als Erneuerbare Energie aus einem thermischen Solarkraftwerk in der Wüste kommt. „Nur“ der Klimaschutz macht hier einen Unterschied. Ähnlich sieht es bei der Windenergie aus: Große Offshoreparks sind das Betätigungsfeld von Großkonzernen; die Abhängigkeit des Energieverbrauchers vom Energieerzeuger bleibt so erhalten.
Doch gerade die Erneuerbaren Energien verfügen – anders als der fossile Bereich – über Techniken, mit denen sich Normalbürger:innen aus seiner energetischen Ohnmacht und Abhängigkeit befreien können. Im Bereich des Stroms sind das Photovoltaik, Klein- und Onshore-Windkraftanlagen, Laufwasserkraftwerke. Je nach eigener Situation und Lust kann sich mensch über Balkonsolaranlagen, Mieterstromprojekten, die eigene PV-Anlage auf dem Dach sowie die Beteiligung an einer PV- und/oder Wind-Genossenschaft ein Stück Freiheit verschaffen, Verbraucher:innen werden zu Prosumer:innen. Künftig können Genossenschaften auch in die Reaktivierung von Laufwasserkraftanlagen einsteigen.
Wärme
Dieser Sektor verbraucht die meiste Energie, wurde aber meist auch unterschätzt, wobei jetzt die russische Gas-Erpressungspolitik vielen die Augen öffnet. Und wo schon ganze Staaten abhängig sind, sind es einzelne Privathaushalte erst recht. Letztere sollten hinsichtlich ihrer Autarkie dabei einige Punkte zu beachten: So schafft Fernwärme, ganz gleich, ob fossil oder erneuerbar, beim Nutzer ein Abhängigkeitsverhältnis. Anders ist es nur in kleinen Nahwärmenetzen, die mit Solarthermie und/oder Biogas bzw. Biomasse beheizt sind und in die selbst einspeist wird. Ähnlich wie bei der Fernwärme sieht es mit BHKWs und H2-ready aus: auch wenn irgendwann in ferner Zukunft mal über das Netz reiner Wasserstoff geliefert werden sollte – die Abhängigkeit vom jeweiligen Wasserstofflieferanten bleibt erhalten. Überhaupt ist die Wasserstoff-Wirtschaft vor allem in grossindustriellem Maßstab sinnvoll, und hier hat sie auch viele Freunde, weil sie hohe Profite abwirft und alte Abhängigkeiten zementiert: Banken, Anlagenbauer:innen, die Gaswirtschaft, Versicherer und Zertifizierer:innen etc. machen sich für den Wasserstoff stark.
Biogas ist vor allem für die Landwirtschaft interessant, die ihr Gas selbst erzeugt; sie wird bei der Wärme unabhängig. Sie bezahlt jedoch die Autarkie im Wärmesektor mit einer hohen Abhängigkeit beim Maisanbau (Traktoren+Treibstoff, Geräte, Saatgut, Pestizide) und bei der Tierhaltung (Sojafutter aus Brasilien etc.). Insofern bleibt die Frage, wie nachhaltig und autark Biogasproduktion ist, und ob wir nicht besser von Agrargas reden sollten.
Interessant ist die Biomasse, da es hier gleich drei verschiedene „Darreichungsformen“ gibt: Pellets, Hackschnitzel und Scheitholz.
Pellets haben einen gut bestimmbaren Brennwert, sie brauchen wenig Lagerraum pro kWh Wärme, und die Zufuhr sowohl ins Lager als auch in den Ofen lässt sich automatisieren. Was allerdings die Abhängigkeit der Käufer:innen anbelangt, so ist die die gleiche wie bei der Kohle: Es ist zwar möglich, den Lieferanten zu wechseln, ist aber – wenn die „Bude“ warm werden soll – zum Kauf gezwungen und dabei von den (Welt-)Marktpreisen abhängig. Etwas anders sieht es bei den Hackschnitzeln aus: Ihr Brennwert hängt von der jeweiligen Holzart ab, sie brauchen ein wenig mehr Lagerraum pro kWh Wärme als Pellets, aber eine automatische Zufuhr ist ebenfalls möglich. Bezüglich der Autarkie haben sie den Vorteil, dass insbesondere die Anzahl der regionalen Quellen steigt, dass Material bisweilen auch kostenlos oder im Gegenzug für Hilfe bei der ländlichen Knickpflege etc. erhältlich ist. Noch besser sieht die Situation bei Scheitholz aus, was allerdings mehr Lagerraum benötigt, und wo eine automatische Zufuhr in Privathäusern wegen der Anlagengröße nicht möglich ist.
Fazit Biomasse: Wer nicht Grund- oder Waldbesitzer ist, kann mit Biomasse kaum seine Wärmeautarkie erreichen. Allerdings kann Biomasse als Zusatzheizung (z.B. wasserführende Kaminöfen) die eigene Autarkie vergrößern.
Die Wärmepumpe (WP) ist heute im Neubau die 1. Wahl bei der Wärme. Die Wärmequellen, derer sie sich bedient, sind im privaten Bereich meist das Grundwasser, das Erdreich und die Außenluft. Während die Nutzung von Grundwasser und Erdreich nicht immer möglich ist, kann die Außenluft mit wenigen Ausnahmen (Schallschutz) überall genutzt werden. Eine WP nutzt die Luft, um aus einer kWh Strom etwa 3 kWh Wärme zu machen, was zu einer Autarkie eines Haushalts im Wärmesektor führen kann. Allerdings erhöht sich mit dem dabei steigenden Stromverbrauch gleichzeitig die Abhängigkeit im Stromsektor. Da die Stromspeicherung teuer und eine saisonale Stromspeicherung zur Versorgung einer WP unerschwinglich ist, bleibt die – nun sogar vermehrte – Stromabhängigkeit erhalten. Wer also nicht z.B. Landwirt mit großen PV- oder Windkraft-Anlagen ist, kann seine Abhängigkeit hiermit nur in den Stromsektor verschieben.
Eine Sonderrolle spielt hier die Solarthermie (ST): Sonne ist mit Ausnahme von zerklüfteten Topographien überall im Lande „erhältlich“; ihr solarthermischer Erntegrad von ca. 50% der eingestrahlten Sonnenenergie ist der höchste von allen Erneuerbaren Energien. Wäre nicht die jahreszeitliche Differenz zwischen Wärmeerzeugung (Sommer) und Wärmebedarf (Winter), hätte sich diese Technik im Wärmesektor vollständig durchgesetzt. So aber braucht es saisonale Wärmespeicher, wobei generell Sensible Wärmespeicher in Form riesiger, stehender oder liegender Wassertanks, Latentwärmespeichern wie z.B. Eisspeicher, und Sorptionsspeicher zur Verfügung stehen, letztere allerdings noch im Probebetrieb. Um die Saisonspeicher nicht zu groß werden zu lassen, und die dort gespeicherte Wärme über längere Zeit für hohe Heiztemperaturen nutzen zu können, kann auf eine zusätzliche Wärmepumpe kaum verzichtet werden. Diese kann aber aus der im Vergleich zur Winterluft höheren Temperatur im Speicher mehr Heizungswärme herausholen bzw. die WP verbraucht weniger Strom. Insofern garantiert die Kombination von Solarthermie + Eisspeicher + Wärmepumpe einen hohen Autarkiegrad für den/die Hausbesitzer.
Das größte Problem der Solarthermie im Bereich der Wohngebäude und ihrer oft kleinen Grundstücksgrößen ist die Flächenkonkurrenz zur Photovoltaik, so dass neben den PV-Modulen kein genügender Platz für ST-Kollektoren bleibt.
Dieser Flächenkonkurrenz lässt sich nur Flächenintelligenz begegnen, dem Auffinden neuer, bisher nicht genutzter Flächen. Das können Häuserfassaden in Ost-, Süd-, und Westrichtung sein (Fassadenkollektoren). Das können aber auch Zäune rings um das Grundstück herum sein, die dann als Solarzaun/Energiezaun bezeichnet werden. Insofern sollte die Idee einer vermehrten Autarkie nicht so schnell aufgegeben werden. Das dürfte sich zunehmend beim Thema Mieterwärme und/oder Wärmegenossenschaften niederschlagen, da gerade der Ukraine-Krieg und seine Folgen die Bedeutung des Wärmesektors stärker in Bewusstsein rücken.
Verkehr
Zu Teilen war der Verkehr schon immer weitgehend autark, etwa die Fuß- und Fahrradverkehre; hier ging es allenfalls um die Bereitstellung der technischen Basis durch Schuster oder Fahrradhändler. Andererseits entstanden in diesem Bereich schon früh Abhängigkeiten durch den Einsatz größerer Kraftmaschinen: Das war schon beim Pferd so, welches Futter, Pflege, Bewegung, einen Hufschmied und einen Sattler benötigte; es wurde extrem aufwändig und teuer, wenn man in der Luxusklasse sechsspännig fuhr, und zu dem Aufwand für die Vielzahl der Pferde auch noch der für die Kutsche kam. Nicht umsonst wurde das erste Fahrrad, die Draisine, 1817 erfunden, als nach dem Ausbruch des Tambora-Vulkans und dem „Jahr ohne Sommer“ 1816 in Europa aus Futtermangel die Pferde geschlachtet wurden.
Heute ist der PKW die Maschine, die uns in die Abhängigkeit treibt und eine Autarkie verhindert: Treibstoff, Wartung, Ersatzteile, Reparaturen und TÜV – alles muss zugekauft werden, kaum noch etwas kann selbst gemacht werden. Dazu kommt, dass die heutige Infrastruktur z.B. mit ihren Einkaufszentren auf der „grünen Wiese“ und dem Verschwinden der kleinen Lebensmittelhändler aus der Fläche ganz auf die PKW-Nutzung hin ausgelegt ist.
Wie lässt sich da mehr Autarkie erreichen, wenn das Fahrrad für die eigenen Bedürfnisse nicht ausreicht?
Eine Lösung bietet die Elektromobilität: Hier lässt sich nicht nur der „Treibstoff“ teilweise über die – eigene, genossenschaftliche, mietergemeinschaftliche – PV-Anlage generieren, das E-Fahrzeug verursacht durch weniger Bauteile – „nur was nicht drin ist, kann nicht kaputt gehen“ – auch weniger Wartungs- und Reparaturkosten. Die nächste Stufe wird das Solarauto sein, dass sich mit seiner PV auf der Karosserie selbst auflädt, und so auch längere, ruhige Reisen ohne Stopps an fremden Ladesäulen ermöglicht. Wer heute im Alltag verkehrstechnisch schon praktisch autark sein will, sollte sich Pedelecs, E-Lastenräder und E-Motorroller jeweils mit Wechselakkus ansehen. Die können nämlich in seiner eigenen Wohnung an seinem Balkon-Solarmodul aufgeladen werden.
Literatur: Götz Warnke, Wege zur Energie-Autarkie - Mit Home-Energy-Harvesting zur häuslichen Energie-Selbstversorgung, Hamburg 2014, 272 Seiten, Preis: € 24,90 , ISBN 978-3-938391-02-0