05.11.2021
VIPV - Die Solarisierung der Fahrzeuge
Ein Bericht von Götz Warnke
Die sich verschärfende Klimakrise und die zur Verhinderung des Klimachaos notwendige beschleunigte Energiewende machen es immer deutlicher: künftig werden größere Energieverbraucher zumindest einen Teil der von ihnen konsumierten Energie auch selbst erzeugen müssen. Sich angesichts von Naturkatastrophen etc. nur auf die Netze verlassen – so funktioniert das nicht mehr. Diese Forderung nach Energie-Eigen-Erzeugung mit Erneuerbaren Energien betrifft Fabriken, Häuser, einzelne Geräte – und Verkehrsmittel. Dabei kommt der Sonnenenergie eine besondere Bedeutung zu, denn nur sie ist praktisch ubiquitär verfügbar. Erleichtert wird dieser Prozess durch die Sektorkoppelung, durch die Verbindung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr.
Was den Verkehr anbelangt, so kommt für seine Solarisierung nur die PV in Frage. Die Integration von PV-Modulen in Fahrzeuge wird heute als „Vehicle integrated PV“ (VIPV) bezeichnet, ist aber deutlich älter als der Begriff: Erste entsprechende Autos entstanden durch die PV-Aufrüstung historischer Elektroautos aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg bereits in den 1960er Jahren, denen in den 1970ern verschiedene Prototypen folgten. Schließlich verbreiteten sich Solar-Schiebedächer wie beim ab 2009 gebauten Toyota Prius 3; sie dienten vor allem der Innenraum-Klimatisierung an heißen Tagen. Dass damals schon deutlich mehr ging, zeigt der in Kleinserie gebaute Pöhlmann EL „Solar“ von 1984, der im Prinzip schon das konnte, was der Sion von Sono Motors künftig können soll: zumindest einen Teil des täglichen Arbeitsweges aus eigener Kraft solar-elektrisch zurücklegen. Wohin aber die Reise wirklich geht, nämlich zum solar-autarken Fahrzeug, zeigte ab 1985 die Tour de Sol, die seit den 1970er Jahren entwickelten Solarflugzeuge und die seit 1987 alle 2-3 Jahre in Australien ausgetragene World Solar Challenge. Heute gibt es mit dem Lightyear One eine echte Solar-Limousine, die zumindest in sonnenreichen Gebieten ihre Antriebsenergie mittels PV decken kann. Und es gibt die Studie des Fraunhofer ISE aus dem vergangenen Jahr, die zeigt, dass die deutsche Durchschnitts-Jahresfahrleistung eines PKW in Höhe von 15.000 km bilanziell rein solar abgedeckt werden kann.
Dass VIPV nicht nur bei Straßenfahrzeugen und Flugzeugen funktioniert, ist klar; auch für Züge und Boote gibt es die verschiedensten Beispiele. Doch während bei den meisten Fahrzeugen die potentiell zur Verfügung stehenden solaren Flächen relativ klar sind, besteht gerade beim Auto wegen der häufigen Verschattungen im Straßenraum ein erhöhter Bedarf an Ermittlung entsprechender Flächen. Diese sollen im Folgenden lokalisiert und skizziert werden:
Dach und Motorhaube
Die Oberseiten des Autos werden bei praktisch allen VIPV-Fahrzeugen zuerst solarisiert. Sie haben die geringste Verschattung und sind vor zufälligen Beschädigungen im Parkraum sicher. Dies macht es attraktiv, hier weitere Flächen zu gewinnen. Eine Methode ist ein nach vorn ausziehbares PV-Dach, wie es auf der eCarTec 2009 in München an einem Hotzenblitz gezeigt wurde. Das dreiteilige Dach spendet bei bestimmten Sonneneinfallswinkeln zugleich Schatten für die Kabine. Eine weitere Option sind seitlich ausfahrbare Solardächer, wie sie die TU Eindhoven bei ihrem solar-autarken Wohnmobil Stella Vita umgesetzt hat. Dieses Konzept ist zwar wegen des verwendeten Hubdachs beim Wohnmobil gut umsetzbar, dürfte aber bei einem PKW auf Parkplätzen an Grenzen stoßen. Eine dritte Möglichkeit ist ein nachführbares PV-Dach, das während der Fahrt nahtlos auf dem Fahrzeugdach aufliegt. Dies vergrößert zwar nicht die Dachfläche, erhöht aber den Wirkungsgrad der Zellen.
Karosserie-Seitenteile, Front und Heck
Auch die Karosserieteile lassen sich unproblematisch zur Generierung von Solar-Strom einsetzen, wie u.a. das Beispiel des Sion zeigt. Gleiches gilt für Front und Heck, wobei die Front nur dann einen größeren Energie-Beitrag leisten kann, wenn sie wie beim klassischen VW Bulli möglichst groß ist und nicht durch eine Kühlerhaube reduziert wird. Seiten, Front und Heck sind zwar häufig nicht direkt beschienen, profitieren aber von Lichtreflektionen anderer Fahrzeuge, von solchen von Wasserflächen oder Hochhäusern, die zum Teil erheblich sein können. Insbesondere ist bei der Konstruktion der Seiten und des Hecks darauf zu achten, dass diese nicht zu schnell verschmutzen, was z.B. bei Radkappen unvermeidlich ist.
Die Fenster
Hier ist zwischen hinteren und vorderen Fenstern zu unterscheiden. Die hinteren Fenster sind unproblematisch: Das Heckfenster hat durch elektronische Kameras im Heck und in den Außenspiegeln seine ursprüngliche Bedeutung zur Überwachung des rückwärtigen Verkehrs verloren; die hinteren Seitenfenster waren noch nie ein Problem, wie z.B. der dort befestigte Sonnenschutz für Kindersitze zeigt. Alle diese Fenster ließen sich problemlos durch semitransparente Solarmodule ersetzen. Schwieriger wird es bei der Frontscheibe und den vorderen Seitenscheiben, weil hier Sicherheitsaspekte wie Blendungsfreiheit und ungehinderte Durchsicht auch bei schlechten Witterungsbedingungen berührt sind, die zudem noch von den staatlichen Stellen verschiedener Länder unterschiedlich interpretiert werden.
Der Innenraum
Es mag überraschend klingen, aber der Innenraum bietet weitere PV-Ernte-Optionen: Bekannt sind die traditionellen Solar-Ladegeräte für Autobatterien, die über den Zigaretten-Anzünder angeschlossen werden. Sie zeigen zumindest, wo im Fahrzeug eine mögliche PV-Installationsfläche vorhanden ist. Ein weiterer Ort ist die Kofferraum-Auflage. Dazu könnten PV-Rollos an den vorderen Seitenscheiben kommen, die beim Verlassen des Autos automatisch herunter fahren, und zugleich den Fahrzeuginnenraum gegen Überhitzung schützen. Bei weiterer Entwicklung der PV-Folien könnten in fernerer Zukunft auch die Fahrzeugsitze solarisiert werden. Das nutzt zwar nichts bei vollbesetzten Autos, aber die meisten PKW sind den Großteil des Tages unbesetzte „Stehzeuge“. Das gilt übrigens auch für E-Motorroller und E-Motorräder mit ihren Sitzbänken, die sich solarisieren lassen.
Fazit
Klar ist, dass für die unterschiedlichen Solar-Flächen am/im Fahrzeug auch unterschiedliche PV-Materialien (Silizium, OPV, etc.) eingesetzt werden müssen. Doch das kann kein Hinderungsgrund für die Solarisierung der Verkehrsmittel sein. Denn die wird schon aus Klimaschutzgründen unweigerlich kommen, auch wenn es den Mineralölkonzernen und Energiedienstleistern nicht passt.