14.01.2022
Menschenverachtend – der Atom- und Gas-Vorschlag der EU-Kommission
Ein Kommentar von Heinz Wraneschitz
Alle 10.000 Betriebsjahre ein GAU: Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeinem Atomkraftwerk auf der Erde ein „Größter anzunehmender Unfall“ passiert, hat sich mit dem Super-Gau von Fukushima bewiesen. Denn damals gab es 400 AKWs weltweit. Und genau 25 Jahre vorher war in Russland aus dem Block 4 im Tschernobyl der atomare Inhalt in die Luft geflogen.
Nach Fukushima werden sogar noch kürzere GAU-Wahrscheinlichkeiten genannt: „Sie können im momentanen Kraftwerksbestand etwa einmal in 10 bis 20 Jahren auftreten“, haben etwa Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz 2012 ausgerechnet. Wegen der zunehmenden Zahl von AKWs auf der Welt könnte es also schneller zur nächsten Kernschmelze kommen, als wir alle wahrhaben möchten.
Doch nun schlägt die EU-Kommission unter ihrer deutschen Präsidentin Ursula von der Leyen aller wissenschaftlich basierten Faktenlage zum Trotz tatsächlich vor: Atomstrom soll als Grüne Energie gelten können. Okay, nur „unter bestimmten Bedingungen“. Deren gibt es zwei. Aber was genau ist jene „neueste Technologie“, die dafür Voraussetzung ist? Und wo ist die „langfristige Entsorgung des Atommülls“ wirklich gesichert?
Bis heute ist da überhaupt nichts sicher – nicht bei uns in Deutschland, nicht in den USA, nicht in Frankreich. Ja, in Finnland soll der erste Atommüll ab 2025 unterirdisch eingelagert werden. Aber hierzulande stehen die Abfälle der laufenden wie bereits abgeschalteten Reaktoren, in sogenannten „Zwischenlagern“ herum. Der Müll ist in Castorbehältern verpackt, ziemlich ungeschützt vor terroristischen Angriffen oder Flugzeugabstürzen. Wenn etwas passiert, ist die ganze Gegend atomar verseucht, Menschen und Tiere sind verstrahlt, Landstriche unbewohnbar.
Apropos sicher! 2009 erklärten mir Fachleute der Bundes-Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GSF in Garching: Ein Naturumlauf in einem AKW ist sicher nicht möglich. Dass ein solcher Betriebszustand zu einer Kernschmelze führt, hatte in den 1990er Jahren das milliardenschwere Forschungsprojekt UPTF-TRAM herausgefunden. Dann kam Fukushima – und ein Block dort explodierte genau wegen eines aufgetretenen Naturumlaufs.
Das sind nur ein paar Beispiele, warum ich mir sicher bin: Atomkraft ist weder grün noch nachhaltig, sondern einfach nur gefährlich, und deren Nutzung menschen- und umweltverachtend. Gottseidank bin ich damit nicht allein. Ein Bündnis aus BUND, Campact, Deutsche Umwelthilfe, Bürgerbewegung Finanzwende, Greenpeace, IPPNW, NABU, Umweltinstitut und Uranium Network hat an diesem Dienstag (11.1.2022) der Bundesregierung einen gemeinsamen Appell übergeben: „Lasst die Atom-Taxonomie nicht zu.“ Auch Eurosolar „lehnt die Aufnahme von Nuklear- und Erdgastätigkeiten in die EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzierungen ab“.
Nicht zuletzt: Sogar die Bundes-Endlager-Aufsichtsbehörde BASE ist sauer über die EU-Atom-Idee. „Insgesamt kam das BASE zu dem Schluss, dass der Bericht des JRC die Auswirkungen der Nutzung von Atomenergie unvollständig, methodisch unzulänglich und in stark vereinfachender Weise darstellt. Diese Mängel setzen sich im Vorschlag der EU-Kommission vom 31.12.2021 fort“, ist einer aktuellen Stellungnahme zu lesen. Zu diesem Vorschlag, Atom und Erdgas als „nachhaltig“ zu bewerten, hat die Deutsche Umwelthilfe DUH ein brandaktuelles, vernichtendes Gutachten veröffentlicht.
Denn ja, beinah hätte ich das vergessen: Von der Leyens Kommission will nämlich neben Atomkraft auch noch Erdgas die Umweltfreundlichkeitsmedaille verleihen. Denn Gaskraftwerke sind ja ebenfalls als „Brückentechnologie“ gedacht, nur „H2 ready“ müssen sie sein, also für eine spätere Wasserstoffnutzung vorgerüstet. Das wiederum freut natürlich unsere deutsche Ampel-Bundesregierung genauso wie die CDU/CSU-Opposition. Denn – wir erinnern uns düster – die hatte mit der SPD zuletzt zweimal groß-koaliert. Und in die zweite Groko-Phase fiel der offensichtlich-geheime Deal, den der jetzige SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz als damaliger Finanzminister mit den USA eingegangen zu sein scheint: Die Amis dürfen künftig Fracking-Flüssiggas in die Bundesrepublik verschippern.
Im Gegenzug würden sich die Deutschen nur noch proforma-pflichtschuldigst gegen die von Ex-SPD-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder eingefädelte Nord-Stream-2-Erdgasleitung aus Russland wehren. Nur zur ebenfallsigen Erinnerung: Egal, ob Erdgas in den USA per Fracking aus Schiefern gepresst oder in Russland durch Bohrlöcher an die Oberfläche gelangt: Das Zeugs hat als Hauptbestandteil Methan. Das hat gegenüber dem berechtigterweise vielgescholtenen CO2 eine 28-fache Klimawirkung.Und auf dem Weg vom Bohrloch bis zum Verbraucher gelangt davon jede Menge in die Atmosphäre – ob durch undichte Ventile oder Löcher in den Leitungen.
Das zeigt: Nicht nur Atomkraft, auch Erdgasnutzung ist das genaue Gegenteil von nachhaltig! Zudem würden Investoren wie Blackrock und Co. ihre Billionen sicher lieber in pseudo-nachhaltige Gigawatt-Atom- und Gaskraftwerke stecken – da ist mehr rauszuholen als in Megawatt-PV- oder Windkraft-Anlagen. Und damit würde der offiziell allseits als notwendig erachtete Ausbau der Regenerativen wieder einmal massiv behindert.
Mir bleibt nur die Hoffnung, dass verantwortungsbewusste EU-Parlamentarier*innen diesen Irrsinn der Kommission noch verhindern.