25.09.2020
Wir basteln uns ein Atomendlager
Ein Statusbericht von Heinz Wraneschitz
"Wir bauen uns ein Atomkraftwerk!" Dieses voll funktionierende, hochexplosive Kernkraft-Kinderspiel, das der sagenhafte Herr Hoppenstedt alias Loriot damals seinem Enkel als Weihnachtsgeschenk mitbrachte, ist leider gerade nicht zu kaufen: Wegen der unklaren Liefersituation, wie der Versender bedauernd mitteilt.
Anders Atommeiler im Großformat: Die sind zu kaufen, werden auch hin und wieder gebaut. Doch deren Aufbau dauert meist Jahrzehnte. Die Wirtschaftlichkeit von Atomkraftwerken (AKW) war schon immer und ist heute mehr denn je nur dank Milliarden-Zuschüssen schönzurechnen.
Aber egal wie: Am Ende ihrer Lebensdauer müssen deren hochradioaktiven Brennstäbe irgendwo für Hunderttausende oder Millionen Jahre versteckt werden. Aus Russland ist immer wieder zu hören: Die Regierung ließe die Mini-Atomreaktoren gleich mit den ganzen Atom-U-Boote außenrum in der Ostsee versenken. Aus den Augen, aus dem Sinn mit dem strahlenden Müll.
In Westeuropa dagegen, beispielsweise in unserer hochtechnisierten Bundesrepublik, ist man auf Sauberkeit fixiert. Uns bescherte insbesondere der bekannteste CSU-Chef Franz Josef Strauß die Atomindustrie nebst Dutzenden AKWs und versprach Reichtum und unversiegenden Atom-Stromfluss.
Doch auch wenn einige seiner Parteifreunde nebst solchen aus der Schwester CDU den 2011 vertraglich geregelten Atomausstieg in Frage stellen: Am 31.12.2022 werden wohl auch die "letzten Drei" den Strom abschalten: Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2.
Aber endgültig Schluss mit dem Atom ist danach noch viele Jahrhunderttausende nicht. Denn die Halbwertszeit von Atomkraft-Uran235 beispielsweise beträgt über 700 Millionen Jahre. Sprich: Nach diesem Zeitraum ist von einem Kilo U235 erst die Hälfte zu Blei zerfallen. Und deshalb müssen die Überbleibsel aus all unseren AKWs irgendwo sicher gelagert werden. Hat zumindest der Bundestag entschieden. Wohl tief unter der Erde. Das hat 2017 die so genannte Endlagerkommission in ihren Abschlussbericht geschrieben. Die hatte im Übrigen von einem "Endlager erst in etwa 100 Jahren" gesprochen.
Doch die Regierung will es schneller. Deshalb hat sie die "Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE)" gegründet. Und diese BGE will am kommenden Montag, 28. September 2020 bekanntgeben, welche Regionen hierzulande dafür überhaupt infrage kommen. "Die Festlegung des Endlager-Standortes wird für das Jahr 2031 angestrebt", so die aktuelle Zeitplanung.
Jedes Atomland sucht Endlager
Dass viele Länder im Westen Europas auf der Auswahlsuche sind, war bei einem Symposium des Dachverbandes der Geowissenschaften (DVGeo) mit dem Titel "Endlagerung in Europa" eindeutig festzustellen. Eine Zusammenarbeit mehrerer, oder gar ein gemeinsames Endlager aller EU-Länder scheint kaum mehr möglich: Augenscheinlich will sich keine Nation ihren Bürger*innen als Atommüllkippe Europas präsentieren. Verantwortliche aus der Schweiz, aus Schweden und aus Finnland präsentierten den jeweiligen Stand der (Vor-)Arbeiten und stellten sich den Fragen der Zuhörenden.
"Überall ist man schon deutlich weiter als bei uns", bestätigte Sylvia Kotting-Uhl, Grünen-Bundestagsabgeordnete (MdB) und Vorsitzende des Umweltausschusses. Aber wirklich vorhanden ist ein solches "funktionierendes", also mit Atommüll gefülltes Endlager auch in diesen drei Ländern nicht.
In der Schweiz wurde 2008 mit der konkreten Erkundung begonnen. Deshalb ist auch bereits länger eine Liste von 27 möglichen Standorten öffentlich. Daraus wurden drei mögliche Gebiete für hochradioaktive Mülllager herauskristallisiert, wie Prof. Meinert Rahn von ENSI, dem "Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat" berichtete. Und er erwähnte auch, dass es bei dem vom Bundesamt für Energie verantworteten Verfahren mit viel Öffentlichkeitsbeteiligung "nur am Anfang Proteste und mager besuchte Regionalveranstaltungen gegeben" habe. Der endgültige Endlagerstandort soll dennoch in der Schweiz erst 2031 festgelegt werden - zum selben Zeitpunkt wie in Deutschland.
In Schweden ist man schon ein Stück weiter, wie Peter Wikberg vom "Swedish Nuclear Fuel and Waste Management", kurz SKB verriet: Bereits 2009 wurde Forsmark als Endlager festgelegt, wo sich seit 1985 ein atomares Zwischenlager befindet. "284 Kommunen wurden gefragt, ob sie den Atommüll wollen." Nur wenige sagten Nein. Am Ende blieben sechs Standorte übrig. Dass es so hohes Interesse gab "und keine Gegner in den Kommunen" erklärte Wikberg auch mit den "200 Mio. Euro für jeden Standort". Wann aber in Schweden Atommüll gelagert werden kann, ist jedoch noch nicht klar.
Finnland kurz vor dem "Go"
Am Weitesten mit der "Endlager-Erfolgsstory" ist nach Aussage von Jari Makkonen Finnland. "Onkalo ist das erste sichere Endlager", erklärte der für "Sales und Marketing" zuständige Mitarbeiter von Posiva Solutions OY, der Betreiberfirma. Denn schon in ein paar Jahren soll dort, 450 Meter unter der Erde auf einer Halbinsel, also eigentlich unter dem Meer, Atommüll eingelagert werden. Anders als in Deutschland ist die Sicherheit auf 100.000 Jahre berechnet, sagte Makkonen. Doch wie viel Wasser dort eindringen darf, auf diese Frage hatte der OY-Verkaufschef "gerade keine Antwort parat".
Dass es in und um Onkalo herum keine Proteste gegeben habe, hat für Jari Makkonen vor allem einen Grund: "Dort, wo AKWs stehen, wird auch ein Endlager leichter akzeptiert, als wo keine stehen. Die Menschen sind Atomkraft gewohnt." Und darüber hinaus sei "allgemein Öffentlichkeitsbeteiligung der Schlüssel zum Erfolg": Selbst bei kleinsten Festen oder an Sportplätzen habe die Firma Infocontainer aufgestellt und die Leute begeistert für den Atommüll. Und vielleicht hat ja auch etwas Wirtschaftsförderung nachgeholfen.
Deutschland dagegen setzt darauf, dass ein 18-köpfiges "Nationales Begleitgremium (NBG)" die Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle vermittelnd begleitet - unabhängig, transparent und bürgernah". So zumindest ist dessen Eigenbewertung. Aber ganz im Ernst: Wer hat schon jemals vom NBG gehört? Wer kennt diese 18 "Wissenschaftler*innen, Studierende, interessierte Bürger*innen" dieses "unabhängige, pluralistisch zusammengesetzte gesellschaftliche Gremium", das "in der Bandbreite der Mitglieder die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt"?
Ein Mitglied des NBG stellte sich dieser Tage im Nürnberger Presseclub vor, das man dort wohl nicht erwartet hätte: Bayerns Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU). Der wurde - von wem auch immer - "gefragt, ob ich mitmachen würde" und dann von Bundestag und Bundesrat gewählt.
Gut: Beckstein hat Atomerfahrung. Als bayerisches Staatsregierungsmitglied hat er am Bauzaun der nie gebauten Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf die (Zitat Beckstein) "bürgerkriegsähnlichen Zustände" bekämpft. Und er bekennt auch: "Dass wir die AKW abschalten, das sehe ich anders. Ich habe dem Ausstiegsbeschluss nicht zugestimmt." Dennoch ist er sicher: Die Aussage der aktuellen Staatsregierung, dass es im Freistaat Bayern keinen geeigneten Atommüll-Standort gebe, "hat rechtlich keinerlei Bedeutung. Im Bundesrat hat Bayern dem Suchgesetz zugestimmt." Und im Jahre 2031 werde die Politik entscheiden, wo das Endlager hinkommt. "Oder wenn der Zeitplan nicht gehalten werden kann, dann halt 2035."
"Aber zu warten, bis die Kernfusion so weit ist, die Zeit haben wir nicht", ergänzte in Nürnberg Prof. Miranda Schreurs, die Co-Vorsitzende des NBG von der Hochschule für Politik an der TU München. Denn man könne den Menschen an den einstigen AKW-Standorten nicht bis "St.Nimmerlein" die oberirdischen Zwischenlager von Müll-Castoren zumuten.
Beckstein und Schreurs sind jedenfalls sicher: Internationale Zusammenarbeit werde es beim Endlagern von Atommüll auch künftig nicht geben. Selbst mit Blick auf Fichtelgebirge und Bayerischen Wald und die auf angrenzender tschechischer Seite erwartete Erkundung von Lagerstätten sieht Beckstein keine Chance auf ein Lager mit zwei Eingangsstationen.
Aber warum dauert es bei uns so lange mit der Suche, während die Finnen schon bald einlagern werden? "Die rechnen mit 100.000 Jahren Sicherheit, wir mit Millionen Jahren. Wir sind Perfektionisten - wir wollen das beste Lager haben", lautete Günther Becksteins Einschätzung in Nürnberg.
Vielleicht besser, als ein Endlager zu basteln. In Loriots Weihnachtssketch passiert bekanntlich nach wenigen Minuten der Atomspielzeug-GAU.