21.05.2021
Manchmal kommt es vor, dass ein Planfeststellungsbeschluss eine Halbwertszeit hat
Ein Kommentar von Tatiana Abarzúa
Das ergebnisoffene Standortauswahlverfahren wird bis 2031 einen Standort in tiefen geologischen Formationen liefern, der für einen Zeitraum von einer Million Jahren die bestmögliche Sicherheit aufweist für den dauerhaften Schutz vor ionisierender Strahlung. Somit bildet es die Grundlage dafür, dass bis zum Jahr 2050 die Einlagerung abgebrannter bestrahlter Brennelemente und weiterer nuklearer Abfälle beginnen kann – so der Plan. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) beziffert die Menge an hochradioaktiven Abfällen aus Brennelementen auf 10.500 Tonnen. Am noch auszuwählenden Standort soll dann ein Endlagerbergwerk errichtet werden, bei dem – sollten künftige Generationen diesen Wunsch haben – sowohl eine Rückholbarkeit der Abfälle während der Betriebsphase gewährleistet ist als auch eine Bergung für 500 Jahre nach dem geplanten Verschluss des Endlagers.
In Deutschland weht ein neuer Wind, der Handlungsdruck für realen Klimaschutz und konsequente Klimapolitik wird klar benannt und eingefordert. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 bezeichnen Juristen, wie etwa Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht, als „historisch“ (Die DGS News berichteten). Es liegt quasi eine neue Rechtslage vor, die ahnen lässt, was das zukünftig juristisch bedeuten kann. Denn der Erste Senat hat die derzeitige Klimaschutzgesetzgebung in Deutschland im Hinblick auf den Zeitraum nach 2030 als verfassungswidrig eingeordnet. Beim Blick auf künftige Generationen ist die Frage berechtigt: Was wollen wir denn als Gesellschaft, um die Freiheitschancen für die künftigen Generationen zu erhalten?
Langzeitsicherheit
Wenn nun der zeitliche Horizont bei klima- und energiepolitischen Entscheidungen konsequent mitgedacht werden muss, könnte eine ganz bestimmte Frage spannend werden. Wird in naher Zukunft die einst abgelehnte Verfassungsklage des Landwirts Walter Traube gegen den Bau eines Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in dem früheren Eisenerzbergwerk Schacht Konrad – im Stadtgebiet Salzgitter – nun anders ausgelegt?
In Schacht Konrad sollen nach Angaben der BGE, die für die Errichtung und den Betrieb des Endlagers zuständig ist, 303.000 m³ „verpackte schwach- und mittelradioaktive Abfälle“ gelagert werden, mit einer Radioaktivität von höchstens 5 x 1018 Becquerel an Beta- und Gammastrahlern und 1,5 x 1017 Becquerel an Alphastrahlern. Der derzeitige Zeitplan lautet: geplante Inbetriebnahme des Endlagers in 2027. Grundlage für den Umbau der Schachtanlage zum ersten deutschen Atom-Endlager ist ein Planfeststellungsbeschluss des Landes Niedersachsen vom 22. Mai 2002, basierend auf den damaligen Stand von Wissenschaft und Technik. Die BGE hat Ergebnisse der „Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen des Endlagers Konrad nach dem Stand von Wissenschaft und Technik“ (ÜsiKo) veröffentlicht. Das "Bündnis Salzgitter gegen KONRAD", das seit März 2021 einen Baustopp für Schacht KONRAD fordert, beauftragte zwei Fachleute, den Geologen Jürgen Kreusch und den Physiker Wolfgang Neumann, die ÜsiKo-Ergebnisse zu bewerten. Laut Neumann begründen die BGE-Gutachter „ihre Bewertungen wesentlich auf die zum Zeitpunkt der Begutachtung gültigen Gesetze und Verordnungen sowie die längst überholten Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle von 1983“, wie in einer Pressemeldung der Stadt Salzgitter vom 3. April zu lesen ist. Deshalb würden die Berichte dem selbst gestellten Anspruch eines Vergleichs mit dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik nicht gerecht. Zum Beispiel in Bezug auf die Einschätzung des Gesundheitsrisikos durch Radon. Kreusch weist darauf hin, „dass im ÜsiKo-Gutachten am Bewertungsmaßstab von 0,3 mSv/a aus 1983 festgehalten wird, anstatt den neuen Maßstab des Bundesumweltministeriums von 0,01 mSv/a für wahrscheinliche und 0,1 mSv/a für weniger wahrscheinliche Entwicklungen des Endlagersystems (Szenarienanalyse) zugrunde zu legen“. Neumann und Kreusch kritisieren, dass zum Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses angenommen wurde, die Unterlagen hätten dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik entsprochen. „Dies sei jedoch schon damals falsch gewesen“, sagen sie.
„Solange nicht bewiesen ist, dass Schacht Konrad den heutigen Anforderungen an ein tiefengeologisches Lager für radioaktive Abfälle entspricht“, fordert Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) den sofortigen Baustopp.
Der Landwirt Walter Traube hatte beim Bundesverfassungsgericht eine Klage eingereicht gegen den Bau des geplanten Endlagers in Schacht Konrad Das Gericht lehnte diese Klage ab (Beschluss vom 10. November 2009) und stützte sich unter anderem auf folgende Argumentation: „Die Fragen, die die Endlagerung radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung im Hinblick auf die Langzeitsicherheit aufwirft, betreffen der Sache nach erst in der (fernen) Zukunft aktuell werdende Szenarien, die keinen Bezug zu einer gegenwärtigen Betroffenheit des Beschwerdeführers in einem eigenen verfassungsbeschwerdefähigen Recht erkennen lassen. Ein dem Beschwerdeführer selbst als Grundrechtsträger zustehendes, verfassungsbeschwerdefähiges Grundrecht auf Verhinderung erst nach seinen Lebzeiten eintretender Gefährdungen für die Umwelt und nachfolgende Generationen lässt sich weder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG noch aus sonstigen grundrechtlichen Verbürgungen ableiten.“ Auch die Stadt Salzgitter hatte gegen den Umbau von Schacht Konrad zum ersten deutschen Atom-Endlager geklagt. Aus formalen Gründen – eine Stadt könne sich bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben nicht auf Grundrechte berufen – hatte das Bundesverfassungsgericht die Klage nicht zur Entscheidung angenommen. Alle rechtlichen Mittel gegen den Bau des Endlagers seien nun ausgereizt, sagte damals Stadtsprecher Norbert Uhde zur Süddeutschen Zeitung.
Beim Blick auf besonders betroffene künftige Generationen.
Die Argumentation beim Abweisen der beiden Klagen widerspricht sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 bei der Klage gegen die bisherige Klimaschutzgesetzgebung. Die Richterinnen und Richter beziehen sich hier auf Artikel 20a des Grundgesetzes. Dieser Artikel sei „eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die besonders betroffenen künftigen Generationen binden soll“, so die Richterinnen und Richter im Beschluss vom 24. März 2021. Artikel 20a des Grundgesetzes im Wortlaut: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
Renaissance der Anti-Atom-Bewegung?
Die Argumente der Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD sind auch nach zehn Jahren noch aktuell, etwa: das ehemalige Eisenerzbergwerk wurde ohne Auswahlverfahren zum Atommüllstandort erklärt. Stattdessen sollten hier, bei schwach- und mittelaktiven Abfällen, die gleichen Kriterien angewendet werden wie bei der Bestimmung eines Atommüllstandortes für hochradioaktiven Müll. Also ein vergleichendes Auswahlverfahren, und damit verbunden die Festlegung von Sicherheitsstandards. Zu diesen Kriterien muss die Möglichkeit der Rückhol- und Revidierbarkeit gehören, was bei Schacht Konrad nicht der Fall ist. Aus mindestens diesen Gründen ist die zentrale Forderung der AKW-Kritiker, „nach Gorleben auch Schacht KONRAD aufgeben“ dringend. Unterstützung bei der Kampagne #konrad_gameover erhält das „Bündnis Salzgitter gegen KONRAD“ nach eigenen Angaben von 77 Initiativen aus der Anti-Atom-Bewegung und von Umweltverbänden. Wenn die derzeitige Regierung dieses Thema nicht anpackt, dann wird das ab Herbst die neue Regierung machen müssen.
TL;DR ;-) *
Beim Blick auf besonders betroffene künftige Generationen steht noch eine Frage im Raum: Liebe Fridays, der Atomausstieg ist greifbar nah: nächstes Jahr werden die drei letzten AKWs in Deutschland abgeschaltet - yippee! Doch das Thema Atommüll ist noch nicht gelöst. Ist das auch auf Eurer Agenda? Die Standortsuche hat begonnen.. und bis 2031 ist noch viel zu tun..
* Was bedeutet tl;dr? Hier die Auflösung: https://kulturbanause.de/faq/tldr/