12.02.2021
Schifffahrt: letzte Lösung E-Fuels?
Ein Essay von Götz Warnke
In Hamburg an der Elbe, ein wenig abseits und oberhalb der touristisch viel besuchten St.-Pauli-Landungsbrücken, residiert seit 1965 der noble Hafen-Klub Hamburg, ein eingetragener Verein. Die hellen und stilvoll eingerichteten Räumlichkeiten bieten Besprechungsecken und Konferenzräume, Raucherzimmer und Restaurationsflächen – meist mit einer großen Panoramafront zur Elbe, wo man auf Augenhöhe die Kapitäne vorbeiziehen sieht, während diese ihre großen Schiffe Richtung Hafen oder See steuern. Wer dort einmal an einem coronafreien Sommersonnentag zu Gast war, hat sicher auch einen Blick auf die schöne Außenterrasse geworfen.
Im Stil eines klassischen britischen Gentlemen‘s Club ist der Hafen-Klub Hamburg ein Treffpunkt der maritimen Wirtschaft auch über Hamburg hinaus: Reeder, Schiffs- und Versicherungsmakler, die Chefs von Stauereien und Bergungsunternehmen etc. nehmen sich hier Zeit für Austausch und Kontaktpflege. Die Stimmung ist freundlich, der Ton offen-weltläufig, jovial, die Kleidung und die Geisteshaltung konservativ. Von Spöttern wird der teure Club als der sozialste Verein Deutschlands bezeichnet: denn hier filtern die Reeder mit ihren eigenen Lungen die Abgase aus der Luft, die ihre Schiffe visavis hinein geblasen haben. Nicht zufällig ist die Luft in den anliegenden Straßen teilweise die schmutzigste der Bundesrepublik, woran nicht allein die Diesel-Autos Schuld sind.
Nun sind solche Emissions-Probleme natürlich auch der Hafenwirtschaft bekannt, zumal die Internationale Maritime Organisation (IMO) für das vergangene Jahr den weltweit geltenden Schwefelgrenzwert für Schiffstreibstoffe auf 0,5 % herabgesetzt hatte. Bisher gingen Reedereien und Mineralölwirtschaft Hand in Hand, weil erstere den Raffinerie-Abfall (Schweröl/Heavy Fuel Oil) von letzteren immer noch als billigen Schiffstreibstoff nutzen konnten. Dieses ökonomische „Händchenhalten“ ist durch die neuen Grenzwerte nicht mehr so einfach. Und das Problem trifft die maritime Branche finanziell in einer Zeit, in der nicht nur durch Corona der Welthandel keine Höhenflüge mehr macht.
Wo könnte man die Probleme und Lösungen der weltweiten Schifffahrt besser besprechen als auf einer internationalen Konferenz und Messe? Und so trifft es sich eben nicht rein zufällig, dass die SMM, die Weltleitmesse der maritimen Wirtschaft, alljährlich in Hamburg stattfindet – diesmal coronabedingt Anfang Februar statt Anfang September, und dazu online. Die Themen der SMM reichen von Digitalisierung über Schiffs-Services und maritime Sicherheit bis - nicht zuletzt - hin zu Schiffsantrieben. Vier Tage waren für die Onlinemesse angesetzt, wobei der zweite Tag hauptsächlich den Themenkreis Antriebe ventilierte. Und da auch z.T. schmutzige Dinge mit schönen Namen etwas ansehnlicher werden, hatte man hier einen Teil der Veranstaltungen als „Global Maritime Environmental Congress (gmec)“ benannt.
Alles soll so bleiben, wie es ist...
Die Sektion I an diesem Mittwochvormittag beschäftigte sich mit kurzfristigen Lösungen für drängende regulatorische Herausforderungen, z.B. ausgelöst durch die Grenzwerte der IMO. Da gibt es technisch einerseits die Scrubber; die waschen den Dreck aus den Schiffsabgasen, bevor diese den Schornstein verlassen. Vorteil für die konservativen Reeder: erst mal kann alles so bleiben wie es ist, nur die Scrubber müssen eingebaut werden. Ähnlich ist es, wenn man die Schiffe auf LNG, verflüssigtes Erdgas umrüstet: Da ändert sich zwar der Treibstoff, aber die traditionellen Kontakte zu Maschinenbauern, Werften etc. bleiben erhalten.
Doch diese Techniken waschen allenfalls die schmutzigen Umweltflecken aus Feinstaub, NOX etc. von der Weste der maritimen Wirtschaft. Die noch übleren Klimaflecken gehen damit nicht weg. Die CO2-Emissionen der Verbrennungsprozesse bleiben, ja die Treibhausgas-Emissionen bei LNG steigen sogar durch den Energieaufwand der Kühlung und den unweigerlichen Schlupf von Methan. Wer sich nun fragt, wie es zu solchem Klimaversagen kommt, wird bereits im Titel der folgenden Veranstaltung des gleichen Tages fündig: „Session II - Towards 2050 and beyond: the search for alternative fuels“. 2050 – das ist der Zeitrahmen, auf den hin die Internationale Maritime Organisation (IMO) ihre Klimaziele verortet hat. Und die sind ziemlich unambitioniert: Bis 2050 sollen die Treibausgas-Emissionen (GHG) pro Transport bis um 70% im Vergleich zu 2008 sinken, und die Gesamtemissionen an GHG/Jahr sollen 2050 um mindestens 50% reduziert werden. Dabei weiß heute jeder, der es wissen will, dass die GHG-Emissionen spätestens 2050, wahrscheinlich aber schon ein Jahrzehnt früher bei „Null“ sein müssen, will man das Pariser Klimaziel einer Globaltemperatur-Erhöhung von nur 1,5°C nicht katastrophal verfehlen. "Die Ozeane sind eine eigene Welt" lautet eine gern gebrauchte maritime Sentenz; wie auch immer – die IMO lebt deutlich in einer sehr eigenen Welt.
Die Diskussion in Session II war dann auch entsprechend: noch ein wenig LNG, dann etwas Landstrom, flüchtiger Wasserstoff und schließlich ganz viel E-Fuels in Form von Methanol und Ammoniak. Technisch war das Thema ja bereits am Tag zuvor von den Ingenieur-Professores Watter/Flensburg und Wirz/Hamburg abgehandelt worden; jetzt durften die Vertreter der maritimen Wirtschaft auch noch mal sagen, wie sie sich die schöne Zukunft des Schiffsverkehrs so vorstellen. Denn idealer Weise werden E-Fuels aus grünem Wasserstoff und umweltfreundlichen CO2-Quellen hergestellt; sie verbrennen sauber und emittieren kein zusätzliches CO2 in die Atmosphäre – soweit, so schön, so ideal.
Probleme werden einfach ignoriert
Doch die Probleme des E-Fuels-Pfades kamen in der Session fast gar nicht vor: der hohe Wasserverbrauch, die geringen Mengen von aus der Luft abgeschiedenem CO2, der hohe Bedarf und die auf längere Zeit hinaus mangelnde Verfügbarkeit – der Bundesregierung „sei Dank“ – von entsprechenden Mengen an Erneuerbaren Energien etc.
Dazu kommt, dass sich der Seeverkehr in einer langen Warteschlange von E-Fuel-Fans befindet: der Luftverkehr, die Binnenschifffahrt, der Schwerlastverkehr, die Bahnen, die Chemische Industrie, die Ölheizungsbauer und nicht zuletzt die Firma Porsche möchten auch gern noch was abbekommen. Bei so viel Gedrängel werden die E-Fuels auch künftig teuer bleiben.
Eine andere, günstige Lösung wurde von den Disputanten erst gar nicht angesprochen: Windschiffe. Dabei hatte Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied beim Verband Deutscher Reeder (VDR), in einer Pressemeldung zwei Wochen vor der SMM auf die Einspar-Potentiale der Windschiffe von schon heute bis zu 90 Prozent hingewiesen, und eine Diskussion hierzu auf der gmec angekündigt. Hingegen wollte Moderator Craig Eason, Redaktionsleiter des britischen Schifffahrtsmagazins Fathom World, zum Ende der Session II lieber noch über Nuclear Power diskutieren.
Streit mit Umweltverbänden auf offener Bühne
Im letzten Teil der gemec, der Session III „NGOs meet the shipping industry: Fighting climate change together“ trafen Vertreter von NABU und Fridays for Future einerseits auf Vertreter der maritimen Industrie andererseits. Die Positionen konnten z.T. gegensätzlicher nicht sein, die Kritik der NGOs an den konservativen Maritimen war mehr als deutlich, und das „Fighting climate change together“ im Titel war wohl mehr dem Wunsch der Messeleitung geschuldet denn der Realität.
Also alles nur heiße Luft? Das kann man so nicht sagen. Die hervortretenden Interessen und wie sie von den verschiedenen Protagonisten argumentiert werden, sind schon für sich genommen interessant, auch wenn sie aus klimapolitischer Sicht problematisch sind. Sogar im Bereich der Erneuerbaren Energien gab es einen kleinen Lichtblick: Wärtsilä Marine setzt ihre technische Umrüstung der Paolo Topic zum ersten Hybrid-Solaren Massengutfrachter fort, wie der Schiffsbetreiber Marfin Management berichtete. Dabei geht es darum, große PV-Flächen auf den Ladeluken, ein Batteriesystem und einen klassischen Schiffsmotor energetisch sinnvoll zu integrieren. Das Projekt hat zeitlich unter der Corona-Krise gelitten und wird erst Ende dieses Jahres fertig gestellt werden.
Ansonsten aber wirkt sowohl die maritime Wirtschaft als auch die Messe SMM angesichts der klimapolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhundert wie etwas aus der Welt gefallen.