21.06.2019
LNG in der Seeschifffahrt
Im noblen Hafen-Klub Hamburg, direkt an den durch Luftschadstoffe extrem belasteten St. Pauli-Landungsbrücken, stellte am vergangenen Dienstag die Maritime LNG Plattform [1] ihr Positionspapier "LNG für die Schifffahrt: Luftqualität und Klimaschutz" [2] vor. Die 2014 gegründete Plattform ist ein eingetragener Verein und versteht sich als nationale LNG-Initiative mit dem Ziel, dem Treibstoff Liquefied Natural Gas (= verflüssigtes Erdgas, LNG) einen höheren Anteil in der gewerblichen Schifffahrt zu verschaffen. Sie hat rund 100 nationale und internationale, meist institutionelle Mitglieder. Das in acht Kapitel unterteilte Positionspapier ist gerade mal acht Seiten lang, hat es aber „in sich“ und ist so aufschlussreich wie die Podiumsdiskussion bei seiner Präsentation. Doch zuvor einige Punkte zum besseren Verständnis:
Was man wissen muss
Große Seeschiffe, insbesondere solche für den Warentransport, haben eine Einsatzdauer von rund 30 Jahren. Wegen der seit 2008/2009 anhaltenden Schifffahrts-Krise gibt es derzeit relativ wenige Neubauten, d.h. neue Schiffe mit fortschrittlicher Technologie. Seeschiffe werden um ihre Antriebsanlage, sprich den Motor, herum gebaut; ein nachträglicher Austausch des Motors ist in den meisten Fällen nicht möglich. In vielen Fällen müssen beim Bau zum Teil unterschiedliche Interessen berücksichtigt werden: die des Eigners, des Reeders/Charterers und auch von Dritten wie Schiffsmakler etc.
Im Gegensatz zum Straßen-, Luft- und Binnenschiffsverkehr kann im Seeverkehr kein Land allein Emissionsgrenzwerte aufstellen, da die Schiffe ggf. auf die Häfen von Nachbarländern ausweichen würden, von denen aus der Weitertransport mit deutlich energieintensiveren Verkehrsmitteln wie Bahn und LKW erfolgen würde. Für die Seefahrts-Emissionen ist die Internationale Maritime Organisation (IMO) zuständig, die ab 2020 für die Schifffahrt nur noch schwefelarmen Treibstoff zulässt, so dass das billige, aber umweltfeindliche Schweröl über kurz oder lang aus den Treibstoff-Tanks verschwinden wird. Nach dem Willen der IMO wird auch der CO2-Ausstoss bis 2050 um 50% sinken.
Hier soll LNG ins Spiel kommen, ein durch das Herunterkühlen auf -162°C verflüssigtes und damit komprimiertes Erdgas, das sauberer verbrennt als die erdölbasierten Treibstoffe. LNG wird per „Bunkerschiff“ zu den Seeschiffen geliefert während deren Entladezeiten oder auf See, d.h. die Tankstelle kommt zum Schiff – nicht umgekehrt. Dabei ist gerade die internationale Seeschifffahrt darauf angewiesen, dass diese Betankung rund um den Globus problemlos funktioniert. Doch es gibt noch zu wenig LNG-Schiffe – eine Art Henne-oder-Ei-Problem. Nur in der Nord- und Ostsee sind die Kapazitäten wohl derzeit ausreichend; die Bunkerschiffe holen sich hier das LNG von den Flüssiggas-Terminals in Rotterdam oder Klaipeda. Die ersten Ansätze zu LNG im maritimen Bereich gab es ab 2014 in Skandinavien. Heute verbraucht die Weltflotte mit ca. 90.000 Schiffen jährlich rund 370 Millionen Tonnen fossilen Treibstoffs.
Das Positionspapier
Nach einigen einleitenden Sätzen, die auf eine laut IMO mögliche, wenn ungesteuerte Steigerung der maritimen CO2-Emissionen von 50 bis 250% bis 2050 und auf die Verantwortung der Seeschifffahrt für Umwelt- und Klimaschutz verweisen, stellt das Paper nüchtern und ehrlich fest: „Dieses Papier wird den Beitrag von (fossilem) LNG zur Erreichung der globalen Klimaschutzziele in der Schifffahrt aufzeigen um klarzustellen, welche Rolle es bei der maritimen Energiewende haben kann. Gleichzeitig wird verdeutlicht, dass LNG nur ein Teil der Lösung sein kann und die Hauptvorteile des LNG in der massiven Reduzierung von Luftschadstoffemissionen (Stickoxide, Schwefeloxide, Feinstaub) liegen. Hier sollte der Schwerpunkt der LNG-Diskussion im maritimen Sektor liegen.“
Und so geht es weiter. Das Reduktionspotential von LNG wird bei Schwefeloxiden und Feinstaub mit bis zu 100%, bei Stickoxiden mit bis zu 80%, bei Klimagasen allerdings nur bis zu 20% angegeben. Und das Papier weist auch direkt auf bestehende Probleme hin: „Gleichfalls gilt es festzuhalten, dass der Hauptbestandteil von fossilem LNG Methan (CH4) ist, das klimaschädlicher als CO2 ist, wenn es unverbrannt in die Atmosphäre gelangt. Dieser sogenannte Methanschlupf (Methan-Entweichung) kann entlang der gesamten maritimen LNG-Versorgungskette, d.h. Förderung, Verflüssigung, Transport und im Schiffsbetrieb auftreten.“ Danach werden verschiedene diesbezügliche Problembereiche und Erhebungsschwierigkeiten in der LNG-Versorgungskette benannt. Ebenso als ein Kapitel angesprochen werden „4. Klimaneutrales LNG/Klimaneutrale Treibstoffe“: das Papier verweist auf LNG aus Biomasse, worin wieder Skandinavien führend sei, wie auf LNG aus Power-to-X-Verfahren, was z.B. Audi im niedersächsischen Werlte umsetze. Andere klimaneutrale Antriebe wie Batterien (für kleine Fähren) oder Wasserstoff („wirtschaftlich nicht darstellbar“) sieht das Paper nicht als ernst zu nehmende Konkurrenz. Als anstehende, wichtige Maßnahmen werden aufgeführt: Minimierung des Methanschlupfes entlang der gesamten Versorgungskette; Zertifizierung von LNG mit Blick auf die unterschiedliche Klimabilanz der verschiedenen Quellen, Transportwege etc.; Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für klimaneutrales LNG.
Insgesamt führt das Papier Potentiale und Probleme des LNG-Einsatzes im maritimen Bereich in einer für eine Interessenorganisation ungewohnten, klaren Weise auf. Es unterscheidet sich damit wohltuend vom elenden PR-Geschwätz anderer Interessenverbände, die selbst noch traurige Effizienz-Technologien noch als Lösung des Klimaproblems hypen.
Die Podiumsdiskussion
Die Diskussion bot weitere interessante Einblicke und Positionen. Auf dem Podium standen Plattform-Vorsitzender Mahinde Abeynaike, Managing Director des LNG-Lieferanten Nauticor (Hamburg), Prof. Dr. Friedrich Wirz, Leiter der Arbeitsgruppe Schiffsmaschinenbau an der TU Hamburg, Plattform-Initiator Ole von Beust, ehemals 1. Bürgermeister von Hamburg und Plattform-Geschäftsführer Georg Ehrmann. Hier einige Punkte:
Abeynaike führte aus, dass die Schifffahrt es in den letzten Jahren gut geschafft habe, unter dem allgemeinen „Umweltschutz-Radar“ zu bleiben; das könne so nicht weitergehen. Außer in der Nord- und Ostsee sei die LNG-Abdeckung noch mangelhaft, der Markt noch nicht profitabel.
Ehrmann meinte, dass die Kreuzfahrtschiffe heute First Mover bezüglich LNG seien, weil sie zur Zielscheibe der Umweltverbände wurden; heute würde kaum ein Kreuzfahrer ohne die Möglichkeit zur LNG-Nutzung geplant.
Wirz antwortete, in der Tat seien Kreuzfahrtschiffe ein leichtes Kritik-Ziel, zumal sie schöne Häfen anliefen, und der Dreck ihrer Abgase so viele Menschen betreffe. Ihn habe vielmehr die Entwicklung bei den großen Container-Schiffen überrascht, zumal LNG an Bord mehr Bunkerplatz brauche als herkömmlicher Treibstoff. Die neuen Schiffe der Reederei CMA-CGM hätten sogar eine Bunkerkapazität von 18.000 Kubikmeter. Da könne die Bunkerung von LNG 6 bis 8 Stunden dauern, was in Häfen zeitlich kaum machbar sei – kleinere Schiffe wären dagegen kein Problem. Zur Reduktion des Treibstoff-Verbrauchs generell seien die Drosselung der Motorleistung und Geschwindigkeit eine Lösung.
Die IMO werde nach den Schwefeloxid-Grenzwerten auch Partikel-Grenzwerte erlassen; die Regulierung erfolge über Preise und Verbote. Dagegen seien zwar die Klimaziele ehrgeizig, wenngleich nicht unerreichbar. Allerdings seien die CO2-Reduktionsmöglichkeiten in der Seeschifffahrt gegenüber den Luftschadstoff-Reduktionsmöglichkeiten klein.
Wenn man künftig synthetischen Treibstoff herstelle, müsse überlegt werden, ob dieser gasförmig sein muss, oder ob man dann eventuell gleich auf platzsparende Flüssigtreibstoffe umschwenke. Es bleibe das Problem, dass die Reduktion der spezifischen Emissionen (z.B. pro Tonnen-Kilometer) so gar nichts helfe, wenn das weltweite Frachtaufkommen weiter wachse. „Es ist eine grundsätzliche Frage: müssen wir so viel Dinge wie Turnschuhe rund um die Welt fahren?!“
Von Beust meinte, die meisten Kunden wollten heute nicht mit ihrer Kreuzfahrtreise Klimaunheil anrichten. Ähnliches würde künftig auch der Konsument für die Beförderung seiner Waren verlangen. Bei klimaneutralem synthetischen LNG existierte ein politisch-ökonomische Problem: während der Preis für konventionelles LNG bei 300 €/t liege, müsse allein durch Umlagen/Steuern der Preis für synthetisches LNG drei Mal so hoch sein. Hier seien finanzielle Entlastungen notwendig.
Wirz widersprach: Es gehe vielmehr darum, dass CO2-Emissionen generell teurer würden. Das Seeschiff befördere heute 90 % der weltweiten Waren, erzeuge aber nur knapp über 2 % der Emissionen. Selbst wenn fossile Kraftstoffe das 10fache des derzeitigen kosten würden, wäre der weltweite Schiffstransport noch ökonomisch darstellbar. Nach seiner Meinung dürfte der Anteil der LNG-Schiffe 2050 bei 10 bis 20% der Weltflotte liegen; der Rest der Antriebe seien nicht nur Dieselmotoren, sondern auch Brennstoffzellen und Gasturbinen. Ein Problem sei immer die Speicherung der großen Energiemengen, die pro Seeschiff bei hunderten von MWh liegen könne. Viele chemische Energiespeicher seien zudem ungeeignet – Ammoniak wegen seiner Giftigkeit und Wasserstoff wegen seiner schwierigen Handhabbarkeit. Wichtig sei es, nicht ständig eine neue Antriebs- oder Speichertechnologie zu favorisieren und die „nächste Sau durchs Dorf“ zu treiben. Wegen der langen Einsatzdauer der Schiffe brauche die Schifffahrt Investitionssicherheit.
Abeynaike merkte an, dass heute die Kosten für die Herstellung von biogenem oder synthetischen LNG insgesamt beim 8-fachen des herkömmlichen LNGs lägen. Daher gehe es jetzt erst einmal um eine Schritt-für-Schritt-Umstellung auf die LNG-Nutzungsoption. Im Übrigen mische Skandinavien bereits Bio-LNG dem fossilen LNG bei. Dieser Weg könne auch interessant für größere Biogas-Anlagen sein, die aus der EEG-Förderung fallen. Generell sei die Technologie da, wenn der Markt da sei. Schon heute sei bei jeder Neubauverhandlung LNG eine Option. Doch es würden generell zu wenige Schiffe gebaut; daher käme LNG kaum zum Zuge. Dabei sei LNG für Schiffe, die immer die gleichen Linien bedienten, besonders interessant (weil man sie so leichter und verlässlicher auftanken könne/GW).
Wirz wies darauf hin, dass weltweit 200 bis 300 LNG-Schiffe in den Auftragsbüchern ständen. Da es gerade in der Containerschifffahrt mit Schiffseigner und Charterer oft mehrere Beteiligte gäbe, führe dies oft zu Kompromissen. So würden viele Neubauten mit Dual-Fuel-Motoren ausgestattet, so dass die Schiffe zwar LNG-ready seien, vorläufig aber mit dem billigeren schwefelarmen (aber mehr Luftschadstoffe freisetzenden /GW) Diesel gefahren würden. Die Bezeichnung „Übergangstechnologie“ für LNG sei dabei nicht hilfreich, da sie ein „morgen überholt“ impliziere.
Eine geringe Rolle auf dem Podium spielte die öffentliche Diskussion um ein norddeutsches LNG-Import-Terminal an den drei möglichen Standorten Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven, zumal viele Plattform-Mitglieder hier unterschiedliche Interessen haben. Abeynaike hielt ein LNG-Terminal in Deutschland aus ökonomischen und ökologischen Gründen für wünschenswert, da es die Fahrten der kleineren Bunkerschiffe zu auswärtigen Terminals verkürze. Ehrmann verwies darauf, der eigentliche Grund für den Bau der Anlande-Terminals sei, dass die Niederlande wegen Bodensenkungen und Erdbeben ab 2029 kein Erdgas mehr liefern würden – diese 22 %-Lücke könne auch Nordstream II nicht ausgleichen. Ökonomisch wichtig sei die Kombination von der Einspeisung ins Erdgas-Netz und der Weiterverschiffung über Bunker-Terminals. Von Beust führte aus, dass das Flüssiggas dazu aus Katar käme und kein Fracking-Gas sei, da letzteres wegen seines hohen Preises schon aus ökonomischen Gründen hier nicht auf den Markt käme. Aber Fracking und das derzeit negative Image der USA unter Trump ließen sich halt leichter politisch instrumentalisieren. Bei den Import-Terminals laufe das Genehmigungsverfahren; alle drei sollten 2022 fertig sein, je rund 500 Millionen € kosten und nach bisheriger Planung ohne öffentliche Förderung auskommen.
Fazit
Sowohl im Positionspapier als auch in der Podiumsrunde wurden viele Punkte zu einer maritimen Energiewende zutreffend beschrieben: LNG primär als Umweltschutz- und weniger als Klimaschutz-Treibstoff, die Notwendigkeit der Reduktion von Motorleistung und Geschwindigkeit im Seeverkehr, der alternativlose Weg hin zu treibhausgasneutralen Treibstoffen, die Minderung der Transportvolumina durch Minderung unser Konsumansprüche, die Notwendigkeit einer Regulierung des Seeverkehrs über Preise und Verbote.
Auf der anderen Seite steht die Weltflotte mit ca. 90.000 Schiffen und einem jährlichen Treibstoffverbrauch von rund 370 Millionen Tonnen, die bei einen „weiter so“ oder gar „mehr“ alle Ansätze einer maritimen Energie- und Klimaschutz-Wende zu überrollen droht wie eine Freakwave. Denn solche Treibstoff-Mengen dürften sich nach derzeitigem Stand weder biologisch noch synthetisch herstellen lassen – dazu fehlen einfach die Energiemengen, besonders im klimapolitisch notwendigen Zeitraum 2040 bis 2050. Dazu kommt, dass auch die Herstellung von LNG wegen der notwendigen Tiefstkühlung recht energieintensiv ist. Was also tun?
Auch wenn heute noch viele Schiffbauer dem skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen, so könnte doch die Rückkehr zu Windschiffen [3] – neben einer Reduktion unseres Konsums – ein Teil der klimapolitischen Lösung sein: Sie sähen schon aus Stabilitätsgründen anders aus, hätten kleinere Motoren, würden langsamer fahren, und hätten weniger Container an Bord. Und sie würden erheblich weniger Treibstoff verbrauchen, da die Motoren nur bei ungünstigen Winden, Flauten und in engen Fahrwassern eingesetzt würden. Dieser immer noch nicht unerhebliche Restverbrauch an Treibstoff ließe sich dann über regeneratives LNG abdecken.
Götz Warnke
[1] https://www.lng-info.de
[2] https://www.lng-info.de/fileadmin/user_upload/news/20190618_Maritime_LNG_Plattform_Positionspapier_Klimaschutz.pdf
[3] https://www.dgs.de/news/en-detail/010219-windschiffe-die-dekarbonisierung-der-meere/