18.12.2020
Ja wo verbrennt er denn? AKW-Müll geht in die Luft
Ein Situationsbericht von Heinz Wraneschitz
Haben Sie sich schon einmal gefragt: Wohin verschwindet eigentlich der ganze Müll aus dem Abbruch von Atomkraftwerken? Ein Teil davon geht sprichwörtlich in die Luft – zum Beispiel in Schwandorf. Das letzte Atomkraftwerk (AKW) in Deutschland wird bis zum Jahresende 2022 seine Stromerzeugung aufgegeben haben. „Doch der Rückbau der stillgelegten AKWs wird noch viele weitere Jahre in Anspruch nehmen“, das wissen sogar Finanzmedien.
Klar: Beim „richtigen“ Atommüll, also hochverseuchtem Material aus den Reaktordruckbehältern oder gar die Jahrmillionen strahlenden Kernbrennstäbe, da weiß man, wo der landet: in „Zwischenlagern“. Die sind oft auf dem Gelände des jeweiligen AKW eingerichtet, meist möglichen verbrecherischen Angriffen oder Flugzeugabstürzen hilf- und schutzlos ausgeliefert. Denn bekanntlich gibt es bis heute kein so genanntes „Atommüllendlager“ in diesem unserem Lande. Die Suche nach einem Standort dafür wird noch mindestens bis zum Jahr 2033 dauern. Und wann – oder ob überhaupt - der Bau beginnen wird, das steht mindestens noch in den Sternen.
Doch da gibt es das ganze Zeugs auf jedem AKW-Gelände, das nicht so stark verseucht ist, dass die Aufsichtsbehörden dafür ein Zwischenlagern verlangen würden. „Soweit diese Abfälle nicht aus dem Kontroll- und Überwachungsbereich stammen, gelten die allgemeinen abfallwirtschaftlichen Grundsätze der Vermeidung, des Vorrangs der stofflichen Verwertung und der Nachrang der thermischen Behandlung.“ So ist es nachzulesen im „Vorlagebericht und Beschlussvorschlag zu TOP 8 der öffentlichen Sitzung der Verbandsversammlung am 02.12.2020“ des Zweckverbands Müllverwertung Schwandorf (ZMS). Denn im Müllkraftwerk des ZMS werden seit Jahren tonnenweise „freigemessene Abfälle (Gewerbeabfall)“ verbrannt, werden demnach quasi in Luft aufgelöst; nur eine gewisse Menge Schlacke bleibt übrig. Die werde „entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen aufbereitet und soweit wie möglich stofflich verwendet“, steht in besagtem Beschlussvorschlag des ZMS zu lesen.
„Da können wir nicht still zusehen!“, hat nun die Bayern Allianz für Atomausstieg und Klimaschutz (BAAK) beschlossen. Einige BAAK-Mitgliedsgruppen wehren sich gegen diese „Verbrennung von schwach radioaktivem Atommüll im Müllkraftwerk Schwandorf“, jede auf ihre eigene Art. So hat das BüFA, das „Bündnis für Atomausstieg und Erneuerbare Energien Regensburg“ schon im August einen Offenen Brief an regionale Politiker verfasst. Sogar vom März dieses Jahres stammt ein ebenfalls Offener Brief der bundesweit engagierten „Atommüllkonferenz“ an die zuständigen Umweltminister aller Bundesländer - „bislang ohne Reaktion“. Richard Mergner, Vorsitzender des BUND Naturschutz in Bayern, prangert besonders an, dass Materialien aus dem stillgelegten Atomkraftwerk Grafenrheinfeld sowie dem Atomkraftwerk Isar 1 in der Müllverbrennungsanlage des Landkreises Schwandorf in der Oberpfalz mitverbrannt werden, ohne dass die Bevölkerung dort hierzu informiert wurde“. Eine ganze Reihe von Online-Veranstaltungen zu diesem Thema hatte der „Atommüllreport“ im Herbst angeboten. die jeweiligen Videos sind im Netz anzusehen.
Am vergangenen Samstag hatte BAAK einen Online-Treff organisiert, in dem das Thema Atommüllverbrennung in Schwandorf breiten Raum einnahm. Doch eigentlich sei das kein lokales Thema: „Die Betroffenheit gehört auf Bundesebene“, erklärte Angela Wolff von „Ausgestrahlt“, die als Gast aus Hamburg zugeschaltet war. „Die meisten Politiker wissen es gar nicht“, merkte die 1. Sprecherin der BAAK, Petra Filbeck, an. Wolff empfahl deshalb: „Die örtlichen Direktkandidaten für die Bundestagswahl ansprechen.“ Was im Fall Schwandorf auch jene Kandidaten rund um Schweinfurt sein müssten. Denn aus dem dortigen Ex-AKW Grafenrheinfeld 1 hat der ZMS „im Jahr 2018 1,54 Tonnen, im Jahr 2019 12,57 Tonnen und im Jahr 2020 mit Stand 04.11.2020 9,13 Tonnen an freigemessenen Abfällen (Gewerbeabfall) angenommen“, ist dem Bericht zur ZMS-Verbandssitzung am 2. Dezember zu entnehmen. Bei diesen „geringen Mengen“ habe Schwandorf „Nothilfe geleistet. Das eigentlich zuständige Müllheizkraftwerk Schweinfurt hat in den Jahren zuvor bei Entsorgungsengpässen des ZMS in erheblichem Umfang Nothilfe geleistet“, begründet das die Betriebsleitung. Sie kündigt aber bereits an: „Die Nothilfemaßnahme wird zum 31.12.2020 beendet werden.“
Nimmt man die Zahlen der „Nothilfe“-Verbrennung her, dann sind die aus dem niederbayerischen Ex-AKW Isar I angelieferten „freigemessenen Abfälle“ ebenfalls nur „geringe Mengen“: 2018 waren es 3,28 Tonnen, 2019 19,8 Tonnen, mit Stand 16.12. im Jahr 2020 13,89 Tonnen, ist vom ZMS zu erfahren.
Geringe Mengen: Das kann man so sehen, wenn man es ins Verhältnis setzt zu den Müllmassen, die der Abriss der AKW insgesamt mit sich bringt. "600.000 Tonnen sind alleine in Greifswald kontaminiert, vier Millionen Tonnen zurzeit an allen Standorten in Deutschland“, hat Carsten Rau herausgefunden. Der Journalist hat den Kino-Dokumentarfilm „Atomkraft Forever“ gedreht, der kürzlich Weltpremiere hatte. „Was für ein Kraftakt, auch in finanzieller Hinsicht, ein gesamtes Werk Stein für Stein und Kabel für Kabel zu dekontaminieren und sicher in Kisten zu verpacken“, kommentiert der MDR Raus aufwühlende Bilder.
Doch der ZMS erklärt seine Aufgabe rein technokratisch: „Mit der Erteilung des Freigabebescheides steht fest, dass für diese Abfälle keine weiteren Sicherungs- oder sonstigen Maßnahmen gegenüber anderen gewerblichen brennbaren Abfällen ergriffen werden müssen. Dies gilt sowohl für den Transport, die Lagerung im Müllbunker als auch für die thermische Behandlung.“ Aus ZMS-Sicht ist die Verbrennung von AKW-Abfall rechtmäßig.
Den betroffenen Bürger*innen und Anti-Atom-Aktiven ist ihre Angst vor dieser Art von Atomkraftwerks-Müllentsorgung jedoch so einfach nicht zu nehmen. Auch, weil in Schwandorf ganz offensichtlich doch etwas verbrannt wird, was nicht ganz so sauber ist, wie die öffentlichen Verlautbarungen vermuten lassen sollen. „Die Rauchgasreinigungsrückstände, die mit erheblichen Mengen an Schwermetallen und sonstigen toxischen Stoffen verunreinigt sind, sind als gefährlicher Abfall zu qualifizieren und werden im untertägigen Bergversatz oder in Untertagedeponien in Salzbergwerken eingesetzt.“ Auch das steht in der Vorlage zur ZMS-Verbandsversammlung vom 2. Dezember 2020.
Wo genau dieser „gefährliche Abfall“ landet, das wollen die Atomkritiker künftig genauer nachverfolgen: Indem sie sich nämlich bundesweit vernetzen, werde ihnen das leichter fallen, wurde bei der Online-Konferenz vom 9. Dezember vereinbart.