11.09.2020
Hoffnungsvolle Versprechungen vom Versorger der Hansestadt
Ein Tagungsbericht von Heinz Wraneschitz
„Können wir die Energiewende im Quartier überhaupt lösen?“ Auf diese Frage gibt es eigentlich nur die Antwort: Nein! Denn die Quartiere dieser Welt können nicht autark betrachtet, sondern sie alle müssen in übergreifende Energieversorgungssysteme eingebunden werden. Warum die Teilnehmer des Fachforums „Quartier und Sektorkopplung 2020“ des ZEBAU, des „Zentrum für Energie, Bauen, Architektur und Umwelt GmbH“ in Hamburg, diese Frage mehrheitlich mit „Ja“ beantwortet haben, bleibt also deren Geheimnis. Kein Geheimnis dagegen machte Bastian Pfarrherr von „SNH Innovation“ aus den Plänen, welche das stadteigene Stromnetz Hamburg (SNH) für viele Gebäude und Quartiere der Hansestadt hat.
„Wie kann man den Strom dort bedarfsgerecht zuführen?“ Die Fragestellung in Pfarrherrs Vortrag könnte ob des Tagungsschwerpunkts „Sektorenkopplung“ deplatziert klingen. Ist sie aber nicht. Denn: „Wegen Erweiterungen und Ertüchtigungen im Elektro-ÖPNV, neuer Stadtteile und Elektromobilität zeigen unsere Prognosen zur Lastentwicklung steil nach oben.“ Fossile Energieträger für Verkehr und Heizung würden durch Strom ersetzt; 40 Prozent mehr Lastanforderungen gegenüber heute müsse SNH bis 2040 befriedigen.
Das alles will der Netzbetreiber mit möglichst wenig neuen Kabeln schaffen. Dafür aber „müssen wir erst einmal den Zustand des Netzes erfassen: Das war bisher nicht nötig“, weil der Strom bislang immer von zentralen Erzeugern zum Verbraucher floss, wie Pfarrherr erläuterte. Und danach soll „das Stromnetz Hamburg in Richtung Smart Grid“ umgebaut werden. Einer von vielen Punkten dabei: ELBE, ausgeschrieben „Electrify Buildings for EVs“, also „netzdienliches Laden von E-Mobilen im digitalen Verteilnetz“. Dass dabei zum Beispiel die E-MobilistInnen die Veränderung von Ladeleistung hinnehmen müssen, „ist bereits juristisch in den Anschlussbedingungen abgesichert“, so der Netze-Ingenieur.
Doch ELBE geht weit über E-Mobilität hinaus. Quartiere sollen in Eigenerzeugung gehen, idealerweise noch mit Speicherlösungen und Managementsystemen versehen: So sollen Erzeugung vor Ort, Speicher und Zustrom aus dem Netz optimiert werden. In Zukunft würden Netzverknüpfungspunkte für optimale Lastverteilung sorgen, dezentrale Stromerzeugung werde dies „sinnvoll unterstützen. Genau so sehen wir die Zukunft. Und das treiben wir bewusst voran“, stellte Bastian Pfarrherr heraus.
Was Last- und Lademanagement konkret bewirken können, wurde am Beispiel der Betriebshöfe der Hochbahn deutlich: Hamburg hat beschlossen, den Busverkehr komplett auf E-Antrieb umzustellen. Doch die zusätzliche Anschlussleistung der Höfe zum Laden fällt wesentlich niedriger aus, als die Erweiterung der Flotte erwarten ließe. „Wenn das alles durch ein Managementsystem bei ÖPNV funktioniert, dann erst recht bei Quartieren“: Pfarrherr verbreitete jede Menge Hoffnung mit seinen Projekten, die auch anderswo im Land umgesetzt werden könnten.
Solar muss her!
Und woher kommt künftig der in den Quartieren notwendige, zusätzliche Strom? Natürlich vor allem von den Dächern und aus den Fassaden der dortigen Gebäude, wenn es nach Bernhard Weyres-Borchert geht. Der DGS-Präsident und das DGS-Solarzentrum Hamburg sind bei den Hamburger Energielotsen aktiv, kooperieren also mit der dortigen Handwerkskammer. Die dürfte ob der präsentierten Zahlen viel Arbeit auf ihre Mitgliedsfirmen zukommen sehen: Gerade mal zwei Prozent des möglichen solaren Dach- und Fassaden-Potenzials seien in Hamburg ausgeschöpft. Laut Weyres-Borchert entspreche die dort installierte Photovoltaik-(PV-)Leistung von 45 MWp gerade mal „einem DIN-A-3-Blatt Solarfläche pro Einwohner“. Eindrücklich räumte er mit der Mär auf, dass PV-Module nur bei 35 Grad Neigung und Südausrichtung Strom produzieren: „Mit 20 Grad Neigung auf einem Norddach liegt der Ertrag immer noch bei 75 Prozent des Optimums.“ Ebenso sei es an einer Südfassade.
Sonnenschutz an Bürogebäuden lasse sich dank des Doppelnutzens genauso solar verwirklichen, wie an Balkonen von Mietwohnungen Module angebracht werden können, um ohne großen technischen Aufwand Eigenstrom zu produzieren. Oder: „Eine Solarfassade zu einer Wasserfläche hin kann die reflektierte Strahlung nutzen“ – ein Effekt, den kaum jemand im Blick habe. Diese und viele weitere Beispiele führte er vor.
Wie andere Referierende sah der DGS-Präsident in der Kombination von Solarstrom und Wärmepumpe gerade für Neubauten eine gute Heizungsalternative im Quartier. „Doch leider schaut es beim Mieterstrom, der einst unsere große Hoffnung war, auch im jetzt veröffentlichten Entwurf der EEG-Novelle schlecht aus. Es passiert kaum etwas.“ Konkret: Nur bei 0,5 Prozent der aktuellen PV-Installationen fließt der Strom vom Dach direkt in die Wohnungen der Mieter darunter. Bernhard Weyres-Borchert macht dafür vor allem die Gesetzes-Bürokratie verantwortlich: „Man kann relativ schnell die Lust verlieren.“
Das bestätigte der Architekt Paul Frank, der besonders das Problem von Baugenossenschaften ansprach: Wenn die Mieterstrom verkaufen, würden sie durch die Einnahmen gewerblich und verlören so Steuerprivilegien. Auch Wohneigentumsgemeinschaften stünden vor rechtlichen Problemen mit Mieterstrom. Nur durch legale Tricks wie die Gründung von Contracting-Gesellschaften könne Mieterstrom auch im Miet- und Eigentums-Geschosswohnungsbereich umgesetzt werden, so Frank.
Noch tiefer stieg Rechtsanwalt Dirk Legler in die Gesetzeslage ein. Er nannte das künftige EEG genauso wie das bundesdeutsche Gebäude-Energie-Gesetz GEG „nicht sehr ambitioniert“. Positiv sei, dass das GEG vom Hamburger Klimaschutzgesetz (KSG) „flankiert“ werde, beispielsweise durch dessen Solarpflicht. „Eine klassische Win-Win-Situation im Quartier“ würde das KSG so erzeugen. Wenn nur die Frage, „was genau ist ein Quartier?“, so leicht zu beantworten wäre, wie es auf den ersten Blick scheint. „Komplizierte Regelungen werden teilweise noch komplizierter“, stellte Legler fest und nannte neben der Sektorenkopplung für die Wärme als Beispiel „die Verkehrswende mit PV- oder KWK-Strom“.
Fazit
Es gibt viele Chancen auf Erneuerbare Quartiersversorgung. Aber die Bürokratie macht es interessierten Kommunen, Firmen und Wohnungseigentümern nicht gerade leicht, die dafür notwendige Sektorenkopplung umzusetzen.
PS: Schade, dass die Teilnehmer der Online-Veranstaltung heftigst unter den teilweise unterirdischen Übertragungsbedingungen von Bild und Ton zu leiden hatten. Die halbstündige „Testtesttest“-Zeit vor Beginn konnte das wohl erwartete Problem sichtlich nicht beheben.