07.06.2019
Die Elektroroller kommen (II)
Das In-Kraft-Treten der neuen Verordnung für Elektro-Kleinfahrzeuge rückt näher (siehe DGS-News von letzter Woche), geplant ist der 15. Juni. Die Unternehmensberatung McKinsey schätzte im Januar, dass der europäische Markt für Mikromobilität (E-Scooter, E-Bikes usw.) bis 2030 rund 150 Mrd. Dollar schwer sein kann. Und warum ist Europa so interessant? Weil in Europa 75 % der Einwohner in Städten wohnen.
Heute möchten wir daher einen Überblick bieten, welche Produkte und Services bald verfügbar sein werden. Und das wird schnell gehen: Es werden sich die Anbieter durchsetzen, die zuerst am Markt sind und am schnellsten Verbreitung und genug Nutzer finden, da ist sich die Branche sicher. Es ist also zu erwarten, dass viele Firmen nach Mitte Juni rasch mit vielen Fahrzeugen auf die Straße drängen. Welche davon dann in 2 bis 3 Jahren noch übrig bleiben? Hier sei an die Parallele der Leih-Fahrräder erinnert.
Zwei Arten von Anbietern werden sichtbar werden: Zum einen die Hersteller der Roller: Sie haben nun Planungssicherheit, insbesondere was die technischen Vorgaben angeht, die dann eine Betriebserlaubnis und damit eine Zulassung erhalten können. Ein Großteil der bislang auf dem Markt angebotenen günstigen E-Roller werden aber keine Zulassung erhalten, trotzdem werden die Hersteller sicher bald die große Werbetrommel rühren. Zum zweiten wollen sich in diesem Bereich zahlreiche Mobilitätsanbieter tummeln, die E-Roller flächendeckend in Städten bereitstellen wollen und dann an der Nutzung ähnlich dem Leihrad-Konzept verdienen möchten. Dabei ist der Betrieb einer Leihflotte von E-Rollern aber ungleich schwieriger als bei Fahrrädern, denn die Flotte muss permanent nicht nur technisch intakt, sondern auch in aufgeladenem Zustand gehalten werden. Also müssen entweder die Batterien regelmäßig getauscht oder die ganzen Roller eingesammelt und nach Ladung wieder neu verteilt werden.
Spannend wird es, wenn die Verordnung Mitte Juni in Kraft tritt: Für Berlin und andere Städte bereiten derzeit schon einige Anbieter umfangreiche Sharing-Angebote vor, mit denen dann analog zu Leihfahrrädern, auf einfache Weise Elektroroller ausleihen kann. Das Stadtbild wird sich dann wieder ein wenig ändern.
Der Anbieter Circ (der bis vor kurzem noch Flash hieß) hat per Einzelzulassung bereits seit 5. Juni 50 Elektro-Roller in Herne (NRW) zum Ausleihen bereitgestellt. Das erst 2018 gegründete Start-Up betreibt bereits schon E-Rollerflotten in sieben Ländern mit zusammen rund 30.000 Rollern. Nach Unternehmensangaben werden derzeit mit rund 100 Städten Gespräche über eine Einführung geführt.
Tier Mobility aus Berlin hat die Einführung eines neuen Modells passend zur neuen Verordnung angekündigt. Tier ist bereits in 22 Städten in 10 Ländern aktiv und verleiht E-Scooter an Passanten und Touristen. Der neue Roller wird gemeinsam mit dem chinesischen Hersteller Okai produziert, Aufmerksamkeit hat das Unternehmen durch den Investor Nico Rosberg erhalten, der bei Tier eingestiegen ist. In Nachbarländern ist Tier schon aktiv, darunter in Basel, Zürich und Brüssel.
Wind Mobility ist ebenfalls in Berlin beheimatet und betreibt E-Bikes als Leihmodell schon weltweit in verschiedenen Ländern, in Deutschland unter der Marke Byke. Jetzt sollen auch in Deutschland auch e-Scooter aufgenommen werden. Byke bewirbt auch Konzepte für Firmen-Räder an Mitarbeiter oder als Touristen-Angebot für Hotels.
In Schweden wurde 2018 der Anbieter Vio gegründet, der E-Scooter- und Fahrrad-Sharing anbietet. Mit 350 Mitarbeitern konnten schon über 5 Mio. gefahrene Kilometer verbucht werden. Bis Herbst will Voi in Deutschland in 30 Städten starten und erwartet hierzulande einen der größten Märkte für die Zukunft.
Hive ist eine Tochter des Anbieters Mytaxi und hat im vergangenen Jahr ein E-Roller-Pilotprojekt in Lissabon erfolgreich abgeschlossen. Für Hive steht nun auch ein Markteintritt 2019 in Deutschland und anderen europäischen Ländern auf dem Programm, in München und Hamburg laufen bereits in Sonderbereichen Kleinflotten mit 30 bzw. 100 E-Rollern.
Die zwei große Konzerne Lime und Bird Rides sind in den USA bereits erfolgreich im Leihgeschäft mit E-Scootern. Allein Lime mit Sitz in Kalifornien hat eine Börsenbewertung von rund 2 Mrd. Dollar, Bird ebenso viel. Beide Anbieter drängen auch nach Europa und haben durch ein zu schnelles „Auskippen“ vieler Roller aber schon Städte wie z.B. San Francisco verärgert. Für Europa signalisieren die Konzerne, dass sie „gelernt“ haben und das Ausrollen nun in enger Abstimmung mit den Kommunen voranbringen wollen. Bird hat (siehe Bild) schon zahlreiche Städte auch in Europa versorgt, ist aber in Deutschland noch nicht aktiv. Lime gibt als Standorte auf der Website bereits Berlin und Frankfurt an.
Eigene E-Roller zum Kaufen gibt es derzeit im Elektrohandel bereits ab rund 300 Euro, dieser Preis wird aber für Fahrzeuge mit zukünftiger allgemeiner Betriebserlaubnis und den technischen Anforderungen der neuen Verordnung (Licht, Bremsen usw.) nicht haltbar sein. Aktuelle Modelle, die bereits eine Zulassung besitzen, liegen eher in der 2.000-Euro-Klasse. Als Anbieter von Kauf-Rollern stehen derzeit oder bald schon bereit (Beispiele, kein Anspruch auf Vollständigkeit):
BMW ist mit seinem X2City im Geschäft. 20 bis 30 km Reichweite mit bis zu 20 km/h werden geboten, der Vertrieb erfolgt seit Februar durch Kettler – dieser Namen wird vielen noch aus Jugendzeiten von den Kettcars bekannt sein. Durch den Kniff, dass der Fahrer alle paar Sekunden einen Fußtaster auf dem Stehbrett betätigen muss, ist es gelungen, das Fahrzeug als Pedelec zuzulassen. Es darf daher schon jetzt auf der Straße und auf Radwegen gefahren werden, eine Versicherung ist nicht nötig.
Metz mit dem Moover: Dieser Roller wird im fränkischen Zirndorf gefertigt und besitzt schon seit Februar 2019 eine ABE des Kraftfahrtbundesamtes. Der Roller hat eine Spitzenleistung von 500 W und besitzt hochwertige Scheibenbremsen, der Roller ist klappbar und wiegt rund 16 kg, die Reichweite wird vom Hersteller mit bis zu 25 km angegeben. Der Preis liegt derzeit bei rund 2.000 Euro.
Das Berliner Unternehmen Unu hat einen neuen Unu Scooter gemeinsam mit Bosch und LG entwickelt. Dabei handelt es sich um einen größeren Roller, der auch mit 2 Personen gefahren werden kann. Der Verkauf soll im August starten, der Preis wird laut Hersteller bei 2.799 Euro liegen. Die Reichweite soll bis zu 100 Kilometer erreichen.
VW hat auf dem Genfer Autosaloon zwei Scooter-Modelle vorgestellt, diese sind jedoch noch Studien, Details dazu sind noch nicht verfügbar.
Ein anderes Konzept verfolgen die Kölner Plev Technologies mit Ihrer Entwicklung Steereon: Das Fahrzeug ist (erkennbar an der Mofa-Plakette) schon als Kleinkraftrad zugelassen, soll 50 km bei 25 km/h schaffen. Es ist faltbar, für mehr Agilität mit einer Allradlenkung ausgestattet, wiegt dafür aber rund 20 kg. Und ein Nachteil: Auf Radewegen ist es derzeit tabu. Die Produktentwicklung ist noch nicht abgeschlossen, so dass auch der Preis noch nicht feststeht, es sollen aber zwischen 2.500 und 3.000 Euro sein.
Ein reines Mietkonzept für einen eigenen E-Scooter bietet Grover aus Berlin an, bei denen auch viele andere technische Produkte einfach gemietet werden können. Bislang wurde ein chinesischer Scooter angeboten, der aber nicht der neuen Verordnung genügt. Derzeit ist das Angebot nicht verfügbar, es ist zu vermuten, dass hier auf ein neues Produkt umgestellt wird.
Es wird sicherlich auch in Zukunft die Umweltfreundlichkeit der E-Scooter und ihrer Mobilitätslösungen im Fokus bleiben: Prinzipiell können – so bestätigt auch das Umweltbundesamt und das Forschungsinstitut KIT – die E-Roller ein Baustein für die Mobilitätswende sein. Das sind sie aber nur, wenn durch sie bisherige Autofahrten ersetzt und nicht Fußgänger auf Rollerfahren umsteigen. Weiterhin müssen die Mobilitätsanbieter sicherstellen, dass sowohl der Betrieb (viele Servicefahrten) als auch die Entsorgung alter Roller (Elektroschrott, Akkus) in umweltverträgliche Weise erfolgen. Sonst wird die Akzeptanz der neuen Mobilität sicher rasch wieder schwinden. Die vielen Leihanbieter werden in Zukunft sicher dafür sorgen, dass die Preise der Roller deutlich sinken werden – das kann nur über große Stückzahlen gelingen.
Jetzt muss aber erst die Verordnung in Kraft treten, dann der Wettbewerb beginnen. Auch einige organisatorische Hürden (z.B. die Frage nach der Mitnahme der E-Scooter im Nahverkehr) muss noch zügig gelöst werden. Klar ist aber: Insbesonders die großen Sharing-Anbieter haben sich für den Marktstart massiv mit Finanzmitteln ausgestattet. Für interessierte Kunden kann das eine spannende Zeit der neuen (und hoffentlich sicheren und günstigen) neuen Mobilität werden.
Wer das Thema Elektroroller entspannt betrachten möchte: Der Komiker Torsten Sträter hat seine Sicht und Erfahrung mit seinem eigenen E-Roller im April in der Sendung „Nuhr im Ersten“ kundgetan.
Jörg Sutter