31.05.2019
Die Elektroroller kommen (I)
Ab Mitte Juni sollen die Elektroroller auf die Straße kommen. Die „Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) soll zukünftig die neue Mobilitätslösung auf zwei Rädern mit Elektroantrieb regeln. Nachdem bislang der Betrieb von elektrischen Rollern und Hoverboards im öffentlichen Straßenraum schlicht nicht erlaubt ist, wird nun von der neuen Verordnung der entsprechende Rechtsrahmen hergestellt. Erste Einschränkung: Die bei vielen Jugendlichen beliebten Hoverboards wie auch viele der Elektroroller bleiben weiter verboten. Doch dazu unten mehr.
Im Ausland haben die elektrischen Roller ihren Siegeszug schon längst begonnen, meist als Transportmittel der letzten „Meile“ in Metropolen, also zum Beispiel für die Wegstrecke zwischen U-Bahnstation und Arbeitsplatz. Mancherorts sind die Schattenseiten der Einführung schon spürbar: Die neuseeländischen Städte Auckland und Dunedin haben im Februar den Einsatz von speziellen Elektrorollern zeitweise verboten, nachdem es, wohl aufgrund eines Software-Fehlers, zu vielen Unfällen gekommen ist. In Paris hatte man die Roller auf Gehwegen erlaubt – und ist davon nun wieder abgekommen. In der französischen Hauptstadt sind aktuell rund 15.000 Elektroroller unterwegs. Bis zum Jahresende wird eine Zahl von 40.000 Stück prognostiziert, die dann nur auf der Straße fahren dürfen.
In Deutschland wurde im April 2019 ein erster Verordnungsentwurf vom Verkehrsministerium erstellt und in der Öffentlichkeit und den Verkehrsverbänden diskutiert. Der Bundesrat hat am 17. Mai noch Änderungen an dem Verordnungsentwurf vorgenommen, den geänderten Entwurf aber gleichzeitig durchgewunken. Bei den Änderungen ging es vor allem um das Mindestalter zur Benutzung. Hier sind nun 14 Jahre festgelegt. Weiterhin ging es um die Frage, wo die Roller fahren sollen. Gegen das Fahren auf der Straße sprach die eigene Gefährdung des Rollerfahrers im schnellen PKW-Verkehr, gegen das Benutzen des Gehwegs die Gefährdung der Fußgänger. Der Bundesrat sprach sich sowohl für eine Zusammenfassung aller Elektro-Kleinstfahrzeuge aus – unabhängig von der möglichen Geschwindigkeit – und für eine Befahrung der Radwege. Gehwege sind daher auch zukünftig für Elektroroller tabu.
Der politische Prozess lief erstaunlich schnell, dafür dass damit vollständiges Neuland betreten wurde. Man kann nur spekulieren, ob da nicht im Hintergrund einige Firmen Druck gemacht haben und nur deshalb ein so schnelles Verfahren möglich war. Neben den Rollerherstellern haben auch Fahrzeugvermieter ein großes Interesse an einer schnellen Lösung gehabt. Im Entwurf ist das so begründet: Es gäbe eine “hohe Nachfrage seitens Bürgern und der Industrie für diese Fahrzeuge“. Der Gesetzgeber betont in seiner Begründung, dass die Einführung der neuen Fahrzeugklasse auch „umfassend mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vereinbar“ ist. Ein weiterer Grund, warum die Verordnung recht rasch verabschiedet wurde, ist in der Verordnung selbst zu finden: Der Bund verdient auch daran. Die Roller-Hersteller werden (einmalig und jährlich) für die Erstellung der Allgemeinen Betriebserlaubnis (ABE) zur Kasse gebeten, ebenso die Versicherungsunternehmen für den Austausch bezüglich der elektronischen Zuteilung einer Versicherungspalkette. Es muss ja alles seine Ordnung haben, dafür kassiert der Bund.
Technische Anforderungen
Die Anforderungen an die Technik sind mit der Verordnung gesetzt: Der Hersteller eines neuen Elektrokleinfahrzeigs muss eine ABE beantragen und damit auch nachweisen, dass sein Fahrzeug die technischen Kriterien für die Verkehrssicherheit erfüllt, die die Verordnung vorgibt: Dazu gehört z.B. die Geschwindigkeit (darf nicht höher als 20 km/h sein), ein maximales Gewicht von 55 kg und die Außenmaße (maximal 2 m lang, 70 cm breit, 140 cm hoch). Eine Vorgabe ist ebenfalls, dass eine Lenk- oder Haltestange vorhanden ist, daher fallen Hoverboards und elektrische Skateboards raus.
Weiterhin müssen zwei unabhängige Bremsen, ein Licht und eine Hupe bzw. Glocke vorhanden sein. Diese technische Vorgabe wird bei vielen derzeitigen Billigrollern nicht erfüllt, diese würden dann erst gar keine ABE erhalten. Und auch diese Punkte sind in der Verordnung wieder typisch deutsch geregelt. Eine Kostprobe gefällig? „Ein Elektrokleinstfahrzeug muss mit lichttechnischen Einrichtungen ausgerüstet sein, die den Anforderungen des § 67 Absatz 1 Satz 3 und 5, Absatz 2 Satz 2 bis 7, Absatz 3, Absatz 4 Satz 1 und 4, Absatz 6 Satz 3 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung entsprechen und in einer amtlich genehmigten Bauart gemäß § 22a Absatz 1 Nummer 22 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ausgeführt sind, soweit in den nachfolgenden Bestimmungen nichts Abweichendes geregelt ist.“ – so die eKFV. Alles klar? Und das ist noch nicht alles: Neben rutschhemmenden Oberflächen der Standfläche über die elektrische Sicherheit bis hin zur Einhaltung der Grenzwerte der elektromagnetischen Verträglichkeit ist die Liste der Anforderungen noch lang.
Hier stellt sich auch die Frage, warum E-Roller weit stärker reguliert werden als E-Bikes, die trotz höherer Geschwindigkeit weniger Anforderungen zu erfüllen haben. Und: Sowohl der Bundesverband Elektrokleinstfahrzeuge (Electric Empire) als auch der Bundesverband Elektromobilität (BEM) warnten im April vor dem Kauf, weil viele der derzeit angebotene Modelle auch nach Einführung der Verordnung nicht legal im Verkehr betrieben werden dürfen.
Die Verordnung regelt auch genau, wo gefahren werden darf: In erster Linie auf Radwegen, wenn diese fehlen, darf innerorts auf der Fahrbahn gefahren werden, in verkehrsberuhigten Bereichen ist das ohnehin möglich. Außerorts sind Radwege zu benutzen, die Straße ist tabu. Das Verkehrsministerium hat sich ursprünglich gewünscht, dass langsame Roller auch auf Gehwegen gefahren werden dürfen, doch dies wurde vom Bundesrat abgelehnt. Kritik für diesen Vorschlag gab es auch von der Versicherungswirtschaft und auch von Fußgänger- und Radfahrverbänden, die sich schon im vergangenen Jahr gegen die Zulassung auf Gehwegen aussprachen.
Der Roller im ÖPNV
Die in der Verordnung vorgeschriebene Versicherungspflicht schafft noch ein großes Problem: Die Mitnahme im öffentlichen Nahverkehr. Viele Nahverkehrsunternehmen schließen die Mitnahme von versicherungspflichtigen Fahrzeugen schlicht aus, darunter Bahnen, aber z.B. auch die Flixbusse. Dabei ist manch ein Roller so kompakt und zusammenfaltbar, dass er ideal mitgenommen werden kann und den Besitzer vom Zielbahnhof nach Hause oder zum Arbeitsplatz bringt. Der VDV (Verband der Verkehrsunternehmen) hat seinen Mitgliedern kürzlich empfohlen, die Mitnahme für klappbare und nicht zu schwere Roller zuzulassen. Zu befürchten ist ein rechtlicher Flickenteppich und die Unklarheit, wo nun mitgenommen werden darf und wo nicht. Attraktive und einfache Mobilität sieht anders aus.
Neuer Verkehrsraum nötig
Schon im vergangenen Jahr hat die Berliner Senatsverkehrsverwaltung gegenüber dem Scheuer-Ministerium betont, dass Radwege in Großstädten wohl zukünftig auch mehr Platz brauchen, sollten die Roller kommen. Dieser Aspekt muss nun rasch von den Verkehrsplanern aufgegriffen werden, sonst drohen Frust, Verkehrschaos und Unfälle. Und auch wenn die neuen Roller nur auf Radwegen und der Straße gefahren werden dürfen, erhöht sich auch der Flächendruck auf Gehwege: Parken sollen die Roller nämlich dort, denn „Parkraum ist ein knappes Gut“, so schrieb das Verkehrsministerium in seinem Referentenentwurf. Sind breite Radwege mit schlaglochfreiem Belag vorhanden und genug Parkflächen zur Verfügung, kann die neue Fahrzeugklasse ein kleiner Baustein der Verkehrswende sein und auch helfen, die Angebote der öffentlichen Verkehrsmittel attraktiver zu machen. Sicher ist jedoch auch: Die große Verkehrswende und die nötige CO2-Einsparung werden durch die E-Roller nicht zu erreichen sein.
Im Teil II zu diesem Thema werden wir in der kommenden Woche auf Anbieter und Sharing-Angebote eingehen.
Jörg Sutter