28.07.2017
Von Leitungen, Kohlestrom und „Trassenlüge“
In Nürnberg fand letzten Mittwoch der offensichtliche Schulterschluss zwischen einem Stadtwerk, Stromtrassengegnern, dem Bund Naturschutz (BN) und Kommunalvertretern statt. „Diese Situation ist spannend und kreativ“ findet Armin Kroder, Landrat aus dem Kreis Nürnberger Land. Leider komme „die Wahrheit: Die Kohletrassenlüge“ in den Medien zurzeit nicht vor. Dennoch glaube er „an eine gute Energiewende, regional und dezentral. Und deshalb bin ich auch gegen Monstertrassen.“
„Trassenlüge“: Dieses Wort dominiert den Raum. In großen Lettern steht es auf Banderolen neben der Bühne. Aber was genau bedeutet es? Prof. Lorenz Jarass, Berater von Bundesregierung und EU-Kommission, erklärt es anhand von „Daten der Bundesnetzagentur BNetzA, die wir herausgeklagt haben“ so: „Die durch Bayern geplanten Leitungen sind ausschließlich für die ostdeutschen Kohlekraftwerke notwendig.“ Windkraftwerke in Norddeutschland seien jedenfalls nicht der Grund für über 10.000 km neu geplante Höchstspannungsleitungen, auch wenn Bundesregierung, BNetzA, die Braunkohlebergbau oder Übertragungsnetzbetreiber ÜNB anderes behaupten.
„Weil konventionelle Kraftwerke auch dann einspeisen dürfen, wenn die Erneuerbaren Energien (EE) viel Strom produzieren, wird das bestehende Stromnetz überlastet.“ Für den Wissenschaftler Jarass stehen genau deshalb neue Leitungen im „Netzausbaubeschleunigungsgesetz“ NABEG und im stetig aktualisierten Netzentwicklungsplan NEP.
Aber damit Kohlekraftwerke nach und nach abgeschaltet werden können, müsse man zuerst „das Energiewirtschaftsgesetz ändern: Das bestehende Einspeiserecht für konventionelle Energien muss weg. So lange hilft auch kein Einspeisevorrang für Erneuerbare“, da ist er sicher. Zumal der Braunkohlestrom „heute schon ins Ausland, nach Südosteuropa, nach Österreich oder Italien transportiert“ und dort oft sogar verschenkt werde. Ohnehin könne man wesentlich mehr Strom durch die bestehenden Leitungen schicken, ohne Netzausbau, sondern mit „Leiterseilmonitoring“, also billigen Temperatursensoren. Je mehr Strom fließt, desto mehr werden Leitungen aufgeheizt. „Heute weiß niemand, wie heiß die Leiter wirklich sind. Deshalb werden sie nie bis 80 Grad Celsius belastet“, der festgelegten Maximaltemperatur, merkt Jarass an.
Aber stattdessen werden mit dem „unnötigen Übertragungsnetzausbau“ die Durchleitungsgebühren vor allem für Normalstromkunden und den Mittelstand weiter steigen. Die machen bereits einen Großteil der Stromrechnung aus. Und weil den ÜNB ohnehin für jede Leitung Gewinne garantiert würden, für alte wie neue, „erfüllen die ihre „Pflicht, leiten Kohlestrom durch und bauen das Übertragungsnetz weiter aus“.
Von einer „Kostenexplosion“ durch neue Gleichstromtrassen (HGÜ) spricht Rainer Kleedörfer, Prokurist für Unternehmensentwicklung bei der N-ERGIE AG. Stattdessen fordert er: Weniger Leitungsausbau, dafür dezentrale Speicher und Gaskraftwerke bauen, um Lastspitzen zu decken.
Zumal das viele Geld in neue Übertragungsnetze ohnehin „oft bei angelsächsischen Finanzhaien landet“. Denn Anfang des Jahrtausends übernahmen auch ausländische Fondsgesellschaften die hiesigen ÜNB. Nun fordert Kleedörfer: „Das Übertragungsnetz muss mehrheitlich in die Hand des deutschen Steuerzahlers zurück.“ Aber nur, wenn sein Konzern das „massiv gemeinsam mit der Wissenschaft, Bürgern, Organisationen an die Politik heranträgt, haben wir eine Chance“.
Da ist Herbert Barthel gerne dabei. „Gemeinsam Politik mit Ihnen machen, dieser Versuch ist schon etwas Besonderes“, gibt der Energiereferent des Bund Naturschutz Bayern (BN) zu. Und auch, dass es „schwer ist, bestehende Leitungen abzubauen. Aber für jede neue braucht es einen Rechtfertigungsgrund.“ Den aber hätten Regierung wie BNetzA bis heute nicht geliefert. Denn „es fehlt eine Alternativenprüfung: Wie würden Regionalität, wie würde ein dezentrales Energiesystem anstelle von Netzausbau funktionieren?“ Nur der Elektrotechnikverband VDE oder die N-ERGIE hätten solche Berechnungen bisher angestellt.
„Wir lehnen die Netzausbauplanung ab, weil wir die Aussagen der BNetzA nicht glauben.“ Stattdessen wolle auch der Umweltverband BN „gemeinsam eine Energiekonzeptplanung für ganz Deutschland erzwingen“. Doch einige Gäste an diesem Abend hegen Zweifel: Die Parteien glaubten doch eher der „Trassenlüge“.