17.11.2023
Das BVG-Urteil: 60 Mrd. Euro fehlen – was wir heute dazu wissen
Eine Einordnung von Jörg Sutter
Am Mittwoch dieser Woche Eilmeldungen auf allen Kanälen: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Nachtragshaushalt des Bundes von 2021 mit der Verschiebung von Corona-Mitteln in den Klimafonds mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig ist.
Es ging um das 2. Nachtragshaushaltsgesetz, die genaue Entscheidung des BVG kann jede:r hier nachlesen. Im Haushaltsjahr 2021 wurden Kreditermächtigungen von 60 Mrd. Euro bereitgestellt für die Pandemiebekämpfung, die dann nicht benötigt wurden und mit dem genannten Gesetz in den Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) gezaubert worden sind, der damals noch Energie- und Klimafonds (EKF) hieß.
Der KTF ist ein „Sondervermögen des Bundes“, die Umbenennung des Namens sollte auch deutlich machen, dass mit diesem Fondsvermögen – also Schulden - Teile der Transformationskosten gedeckt werden sollen, die in vielen Bereichen, vor allem dem Klimaschutz sehr viel Geld kosten werden. Der Vorteil des KTF: Als Sondervermögen unterliegen die Ausgaben daraus nicht der vereinbarten Schuldenbremse, es kann hier also unabhängig vom Bundeshaushalt gewirtschaftet werden. Die erste Reaktion von Finanzminister Christian Lindner war nach dem Urteil dann auch ein rascher Ausgabenstopp für den KTF. Das Bundesfinanzministerium ist auch federführend für den KTF verantwortlich.
Jedoch ist klar: Was seitens des Bundes bereits genehmigt wurde, wird auch bezahlt. Für andere Ausgaben soll nun erst ein neuer Wirtschaftsplan für den KTF erstellt werden. Die Sperre bezieht sich auch erst auf die Jahre 2024 und 2025. Und was sich im ersten Moment nach einer Vollbremsung anhört, ist es bei genauem Hinsehen aber nicht. Im Haushaltsplan des KTF sind bis 2027 Ausgaben von 212 Mrd. Euro vorgesehen, davon müssen nun 60 Mrd. entweder anderweitig finanziert oder gestrichen werden. Das ist zwar ein herber Einschnitt, aber keine Vollkatastrophe.
Ausnahmen des Ausgabenstopps
Schnell wurde in Berlin auch betont, dass der Ausgabenstopp im KTF nicht die Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und der Wärmewende im Gebäudebereich betreffe, diese laufen also wohl weiter.
Beispiele für Projekte des KTF
Bei etlichen Projekten, die über den KTF finanziert werden oder weiter finanziert werden sollen, ist jetzt natürlich die Frage: Werden die Projekte umfinanziert oder zusammengestrichen? Und: Wie lange dauert die Erstellung eines neuen Wirtschaftsplans für den Fonds, sprich: Wie lange währt die Unsicherheit, ob und wie es weitergeht?
Die Unsicherheit trifft zum Beispiel auch Projekte aus dem Verkehrsministerium: Hier sind im Jahr 2023 knapp 149 Mio. Euro aus dem KTF in Modellprojekte des öffentlichen Nahverkehrs geflossen. Nach einer Auflistung des Bundesverkehrsministeriums stammen in diesem Jahr auch 1,9 Mrd. Euro geplante Zuschüsse zur Errichtung von Tank- und Ladeinfrastruktur aus diesem Topf.
Die Entwicklung von regenerativen Kraftstoffen (60 Mio. Euro in 2023) und Verkehrsanwendungen mit Wasserstoff und Brennstoffzelle (234 Mio. Euro in 2023) sind ebenfalls aus dem Fond gespeist und daher für 2024 fraglich. Die genauen Zahlen für 2024 sind nicht veröffentlicht, aber der Finanzierungsteil der Verkehrsprojekte aus dem KTF soll 2024 gegenüber 2023 um 67 (!) Prozent steigen, von 3,4 auf 5,7 Mrd. Euro.
Im Vergleich zu den jetzt in Frage gestellten 60 Mrd. Euro ist das natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber es trifft eben gerade wieder innovative und klimaschonende Verkehrsprojekte und den ÖPNV. Zitat des Verkehrsministeriums (vor dem BVG-Urteil): „Auch in den nächsten Jahren wird eine Finanzierung der Programme des KTF auf hohem Niveau für das Erreichen der Klimaziele und die Erfüllung der europäischen Vorgaben und Ziele von zentraler Bedeutung sein“.
Das Umweltministerium hat bislang laut Website mit Mitteln aus dem KTF in Höhe von rund 1. Mrd. Euro kalkuliert, die fast alle in den Bereich „Maßnahmen zum Natürlichen Klimaschutz“ fließen sollten.
Der Großteil der Projekte, die aus dem KTF nicht nur im kommenden, sondern auch in den folgenden Jahren (bis 2027) auf der Ausgabenliste standen, gehören jedoch zum Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), darunter:
- Die Gegenfinanzierung der entfallenen EEG-Umlage: Nachdem im vergangenen Jahr die EEG-Umlage entfallen ist, wurde das vom Bund (genauer: KTF) übernommen. Volumen allein in dieser Position bis zum Jahr 2027: rund 48 Mrd. Euro.
- Finanzierung der BEG-Förderung in den Jahren 2024 bis 2027 mit gesamt 59 Mrd. Euro.
- Aufbauunterstützung von Produktionskapazitäten und Rohstoffversorgung, vor allem im Halbleiterbereich mit rund 4 Mrd. Euro. Hierzu schrieb das BMWK noch am 15.11. in einem Überblickspapier zum KTF, das der DGS vorliegt: „Diese soll ab 2024 aus dem KTF finanziert werden, als verlässliche finanzielle Grundlage dafür, dass diese Schlüsseltechnologie sich in Deutschland ansiedelt.“ Stand Mittwoch ist jedoch dieser verlässlichen Finanzierung gerade der Boden entzogen worden.
- Aufbau der Wasserstoffwirtschaft: Hierzu hatte Minister Robert Habeck ja gerade (14.11.) die Errichtung eines Kernnetzes für Wasserstoff in Deutschland öffentlich angekündigt.
- Das ganze Dilemma geht weiter bis hin zu den Förderprämien für Elektrofahrzeuge, die privaten Käufern als Zuschuss gewährt und nach Aussage des BMWK auch 2024 noch dem KTF bezahlt werden soll.
- Erst in den vergangenen Wochen sind weitere 10 Mrd. Euro des KTF verplant worden: Nämlich für die Strompreisentlastung der Wirtschaft.
Und wie geht es jetzt weiter?
Die Bundesregierung hat zunächst einmal erklärt, das Gerichtsurteil genau prüfen zu wollen. Doch entweder müssen die fehlenden 60 Mrd. Euro jetzt entweder aus anderen Quellen finanziert werden – das aber unterliegt der Schuldenbremse, wird daher schwer wird und über eine einfache Ausgabenanhebung nicht zu realisieren sein. Oder Einsparungen und Streichungen müssen folgen. Beides wird bei der sowieso schon regelmäßig zerstrittenen Ampel-Koalition nur mit extremer Mühe durchsetzbar sein. Man muss nicht Prophet sein, um zu befürchten: Das BVG-Urteil wird zu einer Ausbremsung von etlichen Maßnahmen vor allem im Bereich des Klimaschutzes führen.
Ob das auch Auswirkungen auf die Verabschiedung des Bundeshaushaltes für 2024 hat, der am gestrigen Donnerstag auf der Tagesordnung des Bundestags stand, war bei Redaktionsschluss noch nicht klar.
Und noch eine weitere Konsequenz könnte im Raum stehen: Nach der erfolgreichen Klage der CDU/CSU-Vertreter gegen den KTF drohte die Union vorgestern damit, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds ebenfalls zu Fall bringen zu wollen. Hier geht es um ein Gesamtvolumen von 150 Mrd. Euro.
PS: Mehr zu den Auswirkungen des BVG-Urteils im Beitrag von Heinz Wraneschitz: "Photovoltaik und Strompreis – wo geht’s hin?"