23.06.2023
Erdgas ist keine Brückentechnologie, das Oktoberfest der Beweis
Eine Analyse von Heinz Wraneschitz
Dass das Oktoberfest in München als weltgrößte Bierfestivität für viele Rekorde taugt, ist hinreichend bekannt. Nun haben Wissenschaftler:innen der Technischen Universität München (TUM) die Biertempel für eine interessante Fallstudie hergenommen.
Aber sie haben nicht, wie vielleicht erwartet, den durchschnittlichen Blutalkoholspiegel für Zeltbesucher weltweit errechnet. Im Zentrum der im Januar im Wissenschaftsmagazin Earth`s Future veröffentlichten Untersuchung stand die Frage: Ist Erdgas (CH4, Methan) tatsächlich die von Politiker:innen verschiedenster Parteien oder von Wirtschaftslobbyisten oft propagierte „Brückentechnologie“ auf dem Weg zum Regenerativen Stromzeitalter?
Um die Antwort vorwegzunehmen: Noch nicht überall, aber schon heute vielerorts. Denn je höher der Anteil an Ökostrom in einem Land wird, umso klimafreundlicher ist es, mit Strom statt mit Gas zu kochen und zu heizen. In immerhin fünf der 25 untersuchten Länder liegen heute schon die Emissionen für die Stromproduktion unter denen der Gasverbrennung zum Heizen und Kochen.
Darunter ist übrigens – ziemlich unerwartet – Brasilien, das laut Studie „einen sehr hohen Anteil an Erneuerbaren Energien hat“. Auch in Deutschland oder Großbritannien „liegen die Stromemissionsfaktoren bereits in der gleichen Größenordnung wie die der Erdgasemissionsfaktoren“, haben die TUM-Forschenden errechnet.
Doch im Vordergrund der Untersuchungen standen nicht die Emissionen beim Erdgasverbrauch selbst. Im Blick des Wissenschaftsteams um Professorin Jia Chen stand ein bisher oft übersehener Aspekt bei der Methannutzung: Die Leckagen. Stammen diese hauptsächlich aus Verlusten auf dem Weg von der Gasquelle zum Endkunden, also aus den Leitungen? Oder entstehen CH4-Verluste besonders beim Verbrauch selbst?
Warum Oktoberfest als weltweite Referenz?
Aber zurück zum Ursprung: Oktoberfest und Methan-Emissionen – wieso glaubt man bei der TUM, die gerade mal zweieinhalbwöchige Sause auf der betonierten „Wiesn“ sei als Basis für eine weltweit angelegte Untersuchung geeignet? „Weil hier Gasendverbrauchsgeräte stark konzentriert sind. Insgesamt werden 40 Prozent des Energiebedarfs auf dem Oktoberfest durch Erdgas gedeckt, hauptsächlich zum Heizen und Kochen“, erläutern die Autor:innen in der Studie. Und weiter: „Aufgrund der umfangreichen Nutzung von gasbetriebenen Koch- und Heizgeräten auf begrenztem Raum ist das Oktoberfest unserer Meinung nach ein gut geeigneter Versuchsaufbau, bei dem die Klimaauswirkungen der Nutzung solcher Geräte recht einfach ermittelt werden können.“ Zumal der Strombezug dort seit Jahren ausschließlich mit Ökostrom aus Wasserkraft gedeckt werde.
Daher sei „das Oktoberfest besonders geeignet, um die Unterschiede in den Gesamt-THG-Emissionen von Erdgas im Vergleich zu Strom aufzuzeigen für den Fall, dass der Anteil der Eerneuerbaren Energien im Laufe der Zeit zunimmt“.
Wie gesagt: die Methan-Leckagen standen im Mittelpunkt der Untersuchung; die Emissionen bei der Verbrennung oder in Kraftwerken sind ohnehin weitgehend bekannt. Die Emissionsmessungen wurden mit mobilen Rucksackgeräten durchgeführt, während derer „die aktuelle Position jedes Datenpunktes mit einer GPS-Anwendung auf einem Smartphone aufgezeichnet wurde, die mit dem Gasanalysator zeitsynchronisiert war“. Doch wurden „zusätzlich zu den Messungen mit dem Rucksack an verschiedenen Orten Luftproben genommen, z.B. innerhalb und außerhalb des Festgeländes, in den Bierzelten, in der Nähe möglicher Emissions-Hotspots auf dem Fest, und in der U-Bahn“. Zur Identifikation, ob es sich bei dem gemessenen Methan um anthropogenes oder biogenes CH4 handelt, wurden Analysen der Kohlenstoffisotope durchgeführt. Dafür wurde „die Isotopensignatur des ausschließlich vom Oktoberfest emittierten Gases bestimmt“.
Und was steht am Ende der Analyse? „Die CH4-Erhöhungen wurden überwiegend durch Erdgas verursacht, das zum Kochen und Heizen auf dem Festgelände verwendet wurde, und nicht durch biogene Prozesse, die von Besuchern stammen. Da der größte Teil des Kochens und Heizens in den Bierzelten stattfindet, sind diese Zelte die Hauptquelle für die CH4-Erhöhung auf dem Oktoberfest“, also durch unvollständige Verbrennung und Leckagen in den Geräten, nicht durch Austritte aus den Leitungen. Dies hätten Messungen in den Zelten bestätigt. Den Beweis haben die Forschenden in eine Grafik gepackt.
Und die Konsequenz der Untersuchung? „Durch Ersatz aller erdgasbetriebenen Geräte auf dem Oktoberfest durch elektrische Geräte hätten 2019 etwa 450 t CO2-Äquivalent eingespart werden können, was 87 Prozent der durch den Energieverbrauch auf dem Oktoberfest verursachten Kohlenstoffemissionen entspricht.“ Hochgerechnet auf die Welt heißt das einerseits: Weil es „in vielen Ländern an elektrischer Infrastruktur fehlt, ist Erdgas in vielen Ländern die billigere Energiequelle im Vergleich zu Strom, so dass es für die Endverbraucher unwirtschaftlich ist, von Gas auf Strom umzusteigen. Einige dieser Probleme sind jedoch eher politischer Natur und könnten von den Regierungen gelöst werden.“
Deshalb wollen Prof. Jia Chen und ihr Team andererseits „mit dieser Studie das Bewusstsein der Menschen dafür schärfen, wie die Kohlenstoffemissionen von Elektro- und Gasgeräten vergleichbar sind. Und wie man in naher Zukunft eine erhebliche Menge an Kohlenstoffemissionen reduzieren könnte.“ Grundvoraussetzung dafür: „Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung muss weiter erhöht werden.“ Erdgas jedenfalls taugt laut Studie nicht als Brückentechnologie.