16.06.2023
Kirchentag und Klimaschutz
Eine Reportage von Heinz Wraneschitz
Ja, Kirchentag: Das ist am Ende der Segen, den über 10.000 Menschen mit Kerzen in der Hand am Nürnberger Hauptmarkt gemeinsam feiern. Doch vorher feierten sie die A-Capella-Band Viva Voce: Die Ansbacher hatten gemeinsam mit den Nürnberger Symphonikern den Platz in einen Konzertsaal verwandelt.
Nein, nicht am Kirchentag: Ein paar Tage zuvor in Berlin hatte Kultsänger Herbert Grönemeyer Kritiker der „Letzten Generation“ (LG) abgewatscht mit den Worten: „Wir sollten stolz sein, dass wir endlich eine Generation haben, die uns ein bisschen Feuer unterm Hintern macht.“
Ja, Kirchentag: Da watschen Bundesvizekanzler Robert Habeck und Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser gemeinsam die neben ihnen sitzende LG-Aktivistin mit ihren Worten ab: Die LG-Methoden würden „dem Thema Klima mehr schaden als nützen". Die wohl anstehende nächste LG-Forderung nach einem Bürgerrat will Habeck zwar „mitnehmen“. Aber nur als „Hilfestellung beispielsweise bei der Frage nach CCS: Wollen wir das? Wo lagern wir das?“, also das Verbrennungs-Schadgas CO2. Das soll bei CCS irgendwann irgendwo unter die Erde. Hat der Grüne womöglich das Regierungsziel vergessen, die Nutzung von Kohle, Öl, Gas schnell zu beenden?
Früher, als Habeck noch Minister in Schleswig-Holstein war, kam er per U-Bahn aufs Nürnberger Messegelände. Jetzt steht seine neben Kaesers Nobelkarosse am Messegelände. Kein Wunder also, dass er keine Hände bewegt, als das Publikum in der überfüllten Halle 4A fast einstimmig eine Resolution beschließt. Die Forderung an Bund, Länder, Landkreise und Kommunen: „Protestaktionen des zivilen Ungehorsams für mehr Klimaschutz und das Einhalten von Gesetzen und Verträgen nicht ungerechtfertigt zu kriminalisieren und sich dem Dialog mit gesprächsbereiten Aktivist:innen stellen.“ Denn noch morgens hatten sich LG-Leute vor dem Nürnberger Hauptbahnhof auf den Straßenasphalt geklebt und so den innerstädtischen Verkehr einige Zeit gestoppt.
Ja, Kirchentag: Das ist auch das zeitgleich laufende Hauptpodium in der Frankenhalle mit dem Titel: „Gibt es ein Recht auf Zukunft? Rechtsmittel als letzte verbleibende Option.“
Doch die eigentlich als Impuls-Referentin angekündigte, renommierte Klima-Rechtsanwältin Roda Verheyen ist erkrankt und kann sich nur per Videobotschaft zu Wort melden. So ist ihre Berufskollegin Caroline Douhaire auf sich gestellt bei der Diskussion mit dem streiterprobten NRW-Innenminister Herbert Reul. An ihm tropfen die Titel-Fragen ab; er fühle sich als Innenminister nicht fürs Umweltrecht zuständig. Warum er dann auf dem Podium sitzt? Diese Frage wird ihm nicht gestellt.
Reul sieht zwar die Klima-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2021 „als klaren Auftrag an die Politik, die Gesetze nachzubessern“. Doch die wissenschaftlich erwiesene, immer deutlichere Erwärmung der Erdatmosphäre bremsen, das will er nicht in einem großen, sondern „in vielen kleinen Schritten“. Anwältin Douhaire darauf fast resigniert: „Man kann doch wenigstens erwarten, dass die selbst gesteckten Ziele erreicht werden“, also die Vorgaben der völkerrechtlich gültigen Pariser Klimaverträge.
Später wird Kirchentagspräsident Thomas de Maizière beide Diskussionen als „Bereicherung in einer wunderbaren Art und Weise“ zusammenfassen.
Ja, Kirchentag: Das ist Halle 9 mit gefühlt mehreren 100 kirchennahen Dienstleistern und Organisationen, von denen zumindest dem Autor viele bislang völlig unbekannt waren.
Kirchentag, das ist aber auch Halle 5, der Markt der Möglichkeiten. Dort hat die „Bayern-Allianz für Atomausstieg und Klimaschutz“ ihren Stand direkt gegenüber jenem der Bundes-Endlager-Gesellschaft BASE aufgebaut.
Die Allianz verschenkt „Castor-Behälter mit 42 Brennelementen“ – drin sind Streichhölzer. BASE dagegen muss dafür sorgen, dass der von zwei Generationen produzierte Atommüll möglichst bald eine Million Jahre an einem sicheren Ort eingelagert werden kann.
Kirchentag: Das sind Veranstaltungsorte wie die Evangelische Hochschule im Stadtteil Gostenhof. Dort sind vor dem Eingang Bänder für Wartende gespannt, die im Verlauf der nächsten Stunden im so genannten „Zentrum Schöpfungsverantwortung“ an Workshops teilnehmen wollen wie „Wirtschaftswandel jetzt! Wie wir die Schöpfung bewahren“. Denn dafür reicht es nicht, nur ein Kirchentagsticket zu haben: zusätzlich muss noch eine Platzkarte her.
So auch für den Workshop „Wohin mit unserem Atommüll?“ Den richtet nicht das Bundesamt BASE aus, sondern das so genannte „Nationale Begleitgremium“ mit der zur Kirchentagsstadt Nürnberg passenden Abkürzung „NBG“. Gleich sechs der 16 aktuell auserwählten NBG-Mitglieder haben sich die Zeit genommen: Sie wollen mit etwa 40 Interessierten darüber sprechen, wie man „Mit Know-how und Öffentlichkeitsbeteiligung zum notwendigen Endlager“ kommen kann, so der Untertitel.
„Jetzt ist die Zeit, den hochradionativen und gefährlichen Müll zu entsorgen. Die Schöpfung muss auch davor bewahrt werden“: So erläutert Markus Dröge, einer der Sechs und ehemaliger Berliner Landesbischof, was die Veranstaltung mit dem Kirchentag – Motto: „Jetzt ist die Zeit“ – zu tun hat.
Das NBG habe die Endlagersuche so zu „begleiten, damit es dort mit rechten Dingen zugeht“, nennt Dröge die Aufgabe. Doch offen bleibt, wie die erfüllt werden kann. Denn immerhin werde es laut der Geologin Prof. Maria-Theresia Schafmeister „von heute an betrachtet 120 Jahre bis zum Endlager“ dauern. Das werden weder die heutigen NBG-Mitglieder – darunter Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein – noch die aktuelle „junge Generation“ erleben. Die die heute Agierenden werden also darauf vertrauen müssen, dass die dann lebenden Menschen die bald zu treffenden, wissenschaftlich fundierten Entscheidungen für den Endlagerstandort „nicht blockieren und torpedieren“.
Diese Gefahr könnte jedoch bestehen. Man denke nur ans Heute: Aktuell blockieren und torpedieren zahlreiche Organisationen, Politiker oder „Wutbürger“ die wissenschaftlich fundierten, notwendigen Schritte, die verhindern sollen, dass die Erderwärmung über das Pariser Klimaziel hinaus steigt.
Kirchentag: Das ist in letzter Konsequenz das Vertrauen auf Gott, der alles richten wird. Deshalb hat Klaus Haas in seinem Projekt „QuantenRausch“ hundertfach das Wort „GOD“ in einen virtuellen Raum gemalt und bezieht sich dabei auf die Schöpfungsidee. Haas ist einer von 50 Künstler:innen, die die Egidienkirche für mehrere Wochen in eine Kulturkirche verwandelt haben. „Locked Out - Hier ist der Raum“, heißt die Ausstellung – passend zum Kirchentagsmotto „Jetzt ist die Zeit“.
Und warum ist Ministerpräsident Markus Söder mehrfach im Programm vertreten? Auf der Roten Couch mitten am Messegelände sagt er: „Weil ich dran glaube.“ Auch das ist Kirchentag.
Der Deutsche Evangelische Kirchentag 2023 fand vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg und Fürth statt. Das 100-Seiten-Programm war so umfangreich, dass allein am 2. Tag des DEKT wegen eines kurzen, aber heftigen Gewitters gleich 68 Freiluftveranstaltungen ausfallen mussten. Von 2000 Programmpunkten insgesamt sprechen die Veranstalter, verteilt auf 30 Orte in Nürnberg (darunter zwölf Messehalten) und acht in Fürth, innen wie außen.
Über die genauen Teilnehmerzahlen kann man nur spekulieren. Denn nur die 70.000, die sich angemeldet und „Tickets“ zu 119 (Vollzahlende für fünf Tage) oder 39 Euro (ein Tag) gekauft hatten, wurden tatsächlich gezählt. Viele Veranstaltungen waren jedoch auch ohne Karten zu besuchen.
Nicht spekulieren muss man über die vielen Hundert freiwilligen Helfer:innen, die den Kirchentag überhaupt erst möglich gemacht haben.