17.02.2023
Elektroautos für Regelenergie – ja oder nein?
Eine Einordnung von Jörg Sutter
Schon öfters in den vergangenen Jahren wurde die Idee verbreitet, dass Elektrofahrzeuge sich doch auch an der Stabilisierung des Stromnetzes beteiligen könnten: Das „bidirektionale Laden“. Nun zeigt ein aktuelles Projekt, dass es auch einfacher geht. Doch ist das auch sinnvoll?
Was ist Regelenergie
Die Netzbetreiber und Kraftwerksbetreiber simulieren im Vorfeld, wieviel Strom in Deutschland in der kommenden Zeit, zum Beispiel am kommenden Tag, verbraucht werden wird. Das richtet sich nach Wochentag und Wetter, aber auch nach der Feriensituation oder Sondereffekten wie Fußball-Meisterschaften. Die aus den vielen Randbedingungen gewonnene Prognose des genauen Stromverbrauchs allgemein und im Tagesverlauf wird dann mit Kraftwerkskapazitäten hinterlegt. Kraftwerke werden zugeschaltet oder abgeregelt, wenn zu wenig oder zu viel Strom in den Netzen zu erwarten ist.
Diese Prognose ist immer fehlerbehaftet, es kann einfach nicht präzise vorhergesagt werden. Deshalb braucht es die so genannte Regelenergie, die dafür sorgt, dass durch Zukauf weiterer Stromerzeugungskapazität auch zeitnah der reale Stromverbrauch sicher gedeckt werden kann. Diese Regelenergie wird von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) zur Verfügung gestellt, die diese Leistung einkaufen müssen.
Ein aktuelles Projekt
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass bei einem aktuellen Projekt nicht ein lokaler Netzbetreiber, sondern die Tennet als einer der vier ÜNB im Land Projektpartner eines Regelenergie-Projekts mit Elektrofahrzeugen ist. Gemeinsam mit dem Batterieanbieter sonnen wurden etliche Haushalte mit Elektrofahrzeugen in ein virtuelles Kraftwerk integriert. Ziel war es, erstmals auf solch einem Weg kurzfristige Schwankungen im Stromnetz schnell auszugleichen. Die Details zum Projekt stehen hier zur Verfügung.
Ziel: bidirektionales Laden
Um Regelenergie in beiden Bedarfsrichtungen nutzen zu können, wären für die Elektrofahrzeuge bidirektionale Wallboxen notwendig, die aber derzeit noch nicht wirklich verfügbar sind. Der Einsatz des Ladens und auch Entladens aus dem Auto-Batteriespeicher ist in vielen Ländern von Japan bis zur Schweiz kein Problem. Doch bei uns wurden erst einige Demoversuche gestartet. Während in den Niederlanden Firmen wie der Autobauer Hyundai mit über 150 Fahrzeugen einen Modellversuch machen, sehen die Versuche bei uns noch spärlich aus: BMW testet mit nur wenigen (in Worten: Zwei!) Fahrzeugen bei München. VW hatte schon seit 2020 angekündigt, dass die ID-Reihe das auch können soll, ist aber derzeit auch noch im Teststadium. Neue Informationen zu einer Begrenzung der Nutzbarkeit lassen aufhorchen.
Auch auf dem EUREF-Campus in Berlin, der neuen Heimat der Geschäftsstelle der DGS, wird erprobt: Der Anbieter Mobility House hat dort den wirtschaftlichen Vorteil von Vehicle-to-grid (V2G) untersucht.
Das oben genannte, aktuelle Projekt der Tennet nutzt aber kein bidirektionales Laden, sondern normale Wallboxen: Die Fahrzeuge können also bei Strommangel im Netz nicht mit Strom aus der Batterie aushelfen, sondern es wird nur die Ladung der Fahrzeugbatterien gedrosselt. Also nur ein gesteuertes Laden, abhängig von der Netzqualität. Im Netzwerk eines virtuellen Kraftwerks, bei dem viele kleine Fahrzeuge, Solaranlagen und Batteriespeicher datentechnisch verbunden sind, kann das trotzdem Sinn machen.
Vorteile für den Fahrzeugnutzer
Als erstes ergibt sich bei dem Konzept des obigen Projektes kein zusätzlicher Abrechnungsaufwand, weil das eigene Fahrzeug je genauso (nur eventuell verzögert) vollgeladen wird wie sonst üblich auch. Bei bidirektionalen Laden würde auch die Batterie durch die zusätzlichen Lade- und Entladevorgänge stärker belastet – das fällt hier ebenfalls weg. Doch welche Vorteile dies monetär für den Fahrzeugbesitzer haben kann, ist noch offen.
Nachteile für den Fahrzeugnutzer
Erst einmal gibt in dem Projekt der Nutzer vor, wann das Fahrzeug wieder geladen benötigt wird. Dadurch kann die Möglichkeit der gedrosselten Ladeleistung ohne Nutzungseinschränkung ausgerechnet werden. Das ist für elektrisch Zweitfahrzeuge sicherlich kein Problem. Bei einem elektrischen Erstfahrzeug, das mit viel Laufleistung unterwegs ist und sowieso zuhause nur mit 11 kW geladen werden kann – da wäre eine weitere Drosselung richtig unsinnig. Gerade weil die heutigen größeren Fahrzeuge mit Batteriegrößen zwischen 50 und 80, teils schon über 100 kWh unterwegs sind. Wenn die (sicherlich auch eher selten) leer nach Hause kommen, dauert es ohnehin (bei 11 kW) schon rund 10 Stunden, bis der Akku wieder voll ist. Jetzt noch gedrosselt aufladen, wäre für die Nutzer eher unpraktisch.
Eine echte Bidirektionalität hätte dagegen zusätzlich noch den Vorteil, dass der Fahrzeugnutzer mit dem Anstöpseln an seiner Wallbox in der Garage auch noch eine Stromreserve für seinen Haushalt zur Verfügung stellen könnte, zum Beispiel für den Fall eines (real sehr unwahrscheinlichen) Stromausfalls im öffentlichen Netz. Doch klar ist: Auch diese Funktion kann nur genutzt werden, wenn das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Ausfalls daheim geparkt und angeschlossen ist. Das ist – vor allem bei Berufspendlern – auch nicht so häufig der Fall.
Andere Möglichkeiten
Mit großen Netz-Batteriespeichern kann auch das Problem der Regelenergie angegangen werden; solche Pufferbatterien entstehen derzeit bei Heilbronn (BW) oder in Norddeutschland. Aus meiner Sicht kann damit das Regelenergie-Problem und die Netzstabilität besser und effizienter angegangen werden als kleinteilig mit vielen Fahrzeugen. Aber wie so oft: Es entscheidet nicht nur die Effizienz, sondern viele weitere Faktoren bis hin zum Interesse der Elektrofahrzeug-Besitzen:innen, die vielleicht zukünftig noch ein paar Euros mit der Reserve ihrer Batterie verdienen möchten.
Nachdem die ersten positiven Ergebnisse gemeldet worden sind, können wir für die Zukunft dennoch gespannt sein.